ANFORDERUNGEN AN EIN NATIONALES ENTSCHNEIDUNGSKONZEPT |
|
Zusammenfassung eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 28.08. bis 29.08.2001 |
|
Worum geht es?Der flächen? und artenbezogene Naturschutz in Deutschland handelt in der Regel eher kleinräumig und lässt überregionale Aspekte häufig außer acht. Großräumig wirksame funktionale Beziehungen zwischen Populationen und ihren Lebensräumen (z.B. MVP, Minimalareale) bleiben weitestgehend unberücksichtigt. Die Planungen für die verschiedenen Biotopverbundkonzepte der Bundesländer sowie die Diskussionen um ein nationales Biotopverbundsystem konzentrieren sich bislang primär auf die noch verbliebenen Landschafts- und Habitatfragmente. Überlegungen zur Verknüpfung der Fragmente über bestehende Autobahnen, Bundesstraßen, Kanäle oder Bahntrassen hinweg bestehen meistens nicht. So zeigte sich bei vorangegangenen Seminaren der NABU-Akademie (Nationales Biotopverbundsystem, Grünbrücken), dass diesbezüglich auch seitens der Naturschutzplaner Nachholbedarf eingeräumt wird. Folgt man zum Beispiel den Zielbeschreibungen für den Umgang des Naturschutzes mit der Planung von Verkehrswegen (vgl. PLACHTER 1991), so finden sich dort Empfehlungen wie: Räumliche Bündelung von Verkehrswegen, konsequente Umgehung naturnaher und für den Naturschutz bedeutsamer Biotope bei der Auswahl der Linienführung und Ausbau bestehender Verkehrswege statt Neubau von Verkehrswegen. Die Fragmentierung und Zerschneidung der Landschaft lässt sich dadurch nicht oder nur bedingt verhindern bzw. mindern. Bestenfalls kann der status quo festgeschrieben werden. Empfehlungen zur Defragmentierung bzw. zur gezielten Entschneidung von Landschaften sucht man vergebens. Oder um es bildlich auszudrücken: Der Naturschutz begnügt sich mit dem Schutz von Inseln. Fährlinien oder Brücken zur Verbindung der Inseln mit dem Festland oder zur Verbindung der Inseln untereinander stehen nicht zur Diskussion. Vor diesem Hintergrund werden auch in Deutschland zunehmend technische Maßnahmen diskutiert (z.B. "Grünbrücken"), um diesem Problem zu begegnen. Bei Neubauprojekten sind derartige Maßnahmen zum Teil bereits Standard. Der Umbau bestehender Verkehrsadern mit dem Ziel die Durchgängigkeit der Landschaft zumindest an strategischen Standorten zu erhöhen, findet im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz oder den Niederlanden bislang kaum Beachtung. Ziel der Veranstaltung war es, Klarheit über die Notwendigkeit eines derartigen Konzeptes zu erlangen und naturschutzfachliche/naturschutzpolitische Anforderungen an ein "nationales Entschneidungskonzept" zu formulieren. Wie ist der Stand der Dinge?Der Bau von Verkehrswegen, insbesondere der Straßenbau, greift durch seine bau-, anlage- und betriebsbedingten Auswirkungen vielfältig in Natur und Landschaft ein. Das dichte Straßennetz bewirkt eine Zerschneidung und Verkammerung der Landschaft. Dadurch werden die Raum- und Funktionszusammenhänge der Landschaft gestört (Trenn- und Barriereeffekte). Im Bereich der Tier- und Pflanzenwelt können sogenannte "Verinselungseffekte" auftreten, der genetische Austausch zwischen den "Inseln" wird behindert und die Restgröße der "Inseln" ist so gering, dass sie den Raumansprüchen mancher Arten nicht genügen. Die Zerschneidung von Landschaften und Lebensräumen ist damit zu einer wichtigen Ursache für den Verlust biologischer Vielfalt geworden. Die Barrierewirkung von Verkehrswegen auf Tiere wird seit vielen Jahren in der Literatur beschrieben. Praktische Konsequenzen zeitigen die Barrierewirkungen in Windunfallstatistiken oder Warnschildern an Straßen. Barriereeffekte können gleichermaßen von kleinen Wirtschaftswegen, von mehrspurigen Fernverkehrsstraßen, von Eisenbahntrassen oder von künstlichen Wasserstraßen ausgehen. Allein die Existenz eines Verkehrsweges rechtfertig aber nicht die Annahme, dass der Verkehrsweg auch landschaftszerschneidende Wirkungen entfaltet. Dr. Matthias Hermann (Ökolog Freilandforschung) wies darauf hin, dass die Stärke der Barrierewirkung ganz entscheidend von einer Vielzahl von Sekundärfaktoren, die die Überwindbarkeit der Hindernisse beeinflussten, bestimmt würde. Eine mehrspurige Fernverkehrsstraße, die auf langen Strecken geständert durchs Mittelgebirge geführt würde, müsse anders beurteilt werden, als eine bodengebundene, stark befahrene Landstraße im Tiefland. Im ersten Fall erlaubten Talbrücken zumindest die punktuelle Querung des Hindernisses durch einzelne Individuen. Im zweiten Fall sei hingegen die Querung auf dem gesamten Streckenabschnitt im einem deutlich höheren, ggf. sogar populationsrelevanten, Mortalitätsrisiko verbunden. Wie stark die Zerstückelung der Landschaften durch Verkehrswege mittlerweile vorangeschritten ist, stellte Heide Esswein (Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg) am Beispiel Baden-Württembergs dar. Die landesweite quantitative Analyse der Zerschneidung habe gezeigt, dass die "effektive Maschenweite" mit 13,7 km2 deutlich geringer sei, als bisher angenommen. Die effektive Maschenweite, so Esswein weiter, sei ein von Jochen Jäger entwickelter Index, der die Wahrscheinlichkeit, mit der sich zwei Tiere in einem Gebiet begegnen könnten, beschreibe . "Je mehr Barrieren in die Landschaft eingefügt werden, umso niedriger wird die effektive Maschenweite und um so geringer wird die Begegnungswahrscheinlichkeit", sagte Esswein. Dr. Michael Henneberg wies ergänzend darauf hin, dass Begleitbauwerke die Barrierewirkung von Verkehrswegen unter Umständen noch wesentlich steigern. Beispielsweise plane man für den Neubau der A20 in Mecklenburg-Vorpommern, eine komplette Abtrennung der Trasse gegenüber dem umgebenden Landschaftsraum durch Wildschutzzäune. Die A20 würde daher den Landschaftsraum in Ost-West-Richtung als massiver Sperrriegel durchziehen. Angesichts der fortschreitenden Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrswege plädierte Uwe Krüger (BUND LV Hessen, AK Naturschutz) für ein Strategiekonzept zur Erhöhung der Durchgängigkeit der Landschaften. Hier bestünde dringender Handlungsbedarf, zumal kurz- und mittelfristig eine Wende im Verkehrsbereich nicht erwartet werden könne. Die Prognosen deuteten vielmehr auf eine weitere Steigerung des Straßenverkehrsaufkommens hin und damit bestünde die Gefahr, dass zunehmend mehr Natur unter die Räder komme. Der Naturschutz dürfe sich dadurch jedoch nicht entmutigen lassen, sondern müsse vielmehr getreu des niederländischen Grundsatzes "Utopie ist machbar, Herr Nachbar!" engagiert nach Lösungen suchen und mit der Konkretisierung seiner Ideen beginnen. Die Diskussion um die Verbesserung der Durchgängigkeit der Landschaft mit Hilfe technischer Querungsbauwerke müsse darüber hinaus auch im Kontext der Überlegungen für ein bundesweites Biotopverbundsystem gesehen werden. Der Naturschutz sei schlecht beraten, so Krüger, wenn er Biotopverbund und Wildtierkorridore nur für die "Inseln" vorsähe, die Wiederherstellung von Verbindungen zwischen den Inseln aber außer acht ließe. Er plädierte daher für eine "nationale Entschneidungsstrategie" nach niederländischem Vorbild. Diese Strategie müsse sich in einem ersten Schritt auf Entschneidungsmaßnahmen an den Zerschneidungs-Brennpunkten von nationaler Bedeutung konzentrieren. Im weiteren müssten dann die Probleme an Standorten von regionaler oder lokaler Bedeutung angegangen werden. In diesem Zusammenhang setzte sich Krüger kritisch mit der bisherigen Verfahrensweise auseinander. Viele der in Deutschland bislang gebauten Querungshilfen seien lediglich "politische Grünbrücken". Ihr Bau erfolge in erster Linie auf Zuruf und nur selten unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten. Dem Ziel des Naturschutzes die Durchgängigkeit der Landschaft wieder zu erhöhen, würden sie deshalb kaum gerecht. Aus der Kritik an "politischen Grünbrücken" lässt sich jedoch nicht die biologisch-ökologische Unwirksamkeit von Querungshilfen im allgemeinen ableiten. Zwar sind ausführliche Untersuchungen zur Effizienz von Querungsbauwerken über Verkehrswege vergleichsweise selten, auch bezieht sich die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen auf größere Säuger wie beispielsweise Dachse oder Huftiere, aber die Untersuchungen von Pfister et al. (1997) rechtfertigen durchaus die Annahme, so Mathias Hermann, dass Grünbrücken prinzipiell für alle terrestrischen Tierarten geeignet seien, den Barriereeffekt von Straßen zumindest lokal zu mindern. Voraussetzungen dafür wäre aber die optimale Einbindung in den umgebenden Landschaftsraum, die genügend große Dimensionierung und eine den Zielarten entsprechende Gestaltung. Weniger geeignet seien Grünbrücken allerdings für Arten, die an Wasser oder Feuchtlebensräume gebundene Arten sind. Habitate für diese Tiergruppen ließen sich im Brückenbereich nur schwer bzw. lediglich unter besonderen Umständen (beispielsweise bei Hanglage der Bauwerke) schaffen und unterhalten. Grundsätzlich gelte, so Hermann, dass Grünbrücken am wirksamsten sind, wenn sie nicht nur die Funktion eines Querungskorridor haben, sondern als Teil des Lebensraumes gestaltet werden. Grünbrücke über die A20 (Photo: M. Henneberg) Was muss getan werden?Die anschließenden Diskussionen und die Vertiefung der Thematik in Arbeitsgruppen zeigte, dass die ökologische Wirksamkeit von Querungsbauwerken nicht überwertet werden sollte. Sie sind landschaftsökologische Prothesen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie sind zur Minimierung der Eingriffswirkung eines Verkehrswegevorhabens in die Landschaft und den Naturhaushalt sinnvoll und notwendig. Als technische Verbundelemente können sie dem Biotopverbund beim Brückenschlag zwischen zerschnittenen Lebensräumen helfen. Die vermögen es, zumindest einen Rest an Genfluss zu gewährleisten. Das grundsätzliche Problem der voranschreitenden Zerschneidung der Landschaft lösen sie jedoch nicht. Und somit sind sie keine Legitimation für weitere Landschaftszerschneidungen. Eine nationale Naturschutzstrategie zur Verbesserung der Durchgängigkeit von Landschaften darf daher aus Sicht der Teilnehmer nicht nur auf das Allheilmittel "Querungshilfen" setzen, sondern muss sich auf den drei Säulen Vermeidung, Vermindung und Sanierung gründen:
Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder Zitatempfehlung: |
|
Weiterführende Links zum Thema |
|
|
|
Literatur |
|
|
|
Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder. |
|
|