Leben und Überleben in der Agrarlandschaft - Der Kiebitz und die Problematik von Grünlandschutzprogrammen |
Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 1. - 3. März 1996 |
Der Kiebitz und sein Lebensraum, Ursachen des Bestandsrückgangs; Verbesserung der Habitatbedingungen |
Der Vogel des Jahres 1996 Als Vogel des Jahres 1996 steht der Kiebitz stellvertretend für die Agrarökosysteme der Wiesen und Weiden. Sein Leben und Überleben ist damit aufs engste mit der zukünftigen Entwicklung der Agrarlandschaft im allgemeinen und der Bewirtschaftung des Grünlandes im besonderen verknüpft. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand deshalb die Diskussion naturschutzfachlicher Eckpunkte und Anforderungen für eine nachhaltige Nutzung des Grünlandes. Der Kiebitz und sein Lebensraum Der eigentliche Lebensraum des Kiebitzes sind Landschaften
mit halbwüsten- oder gar wüstenartigem Charakter. In der offenen mitteleuropäischen
Kulturlandschaft besiedeln Kiebitze bevorzugt kurzrasige (< 15 - 20 cm) und nicht dicht
bewachsene Grünländereien mit grosser Flächenausdehnung. Jegliche Art größerer
Strukturen, insbesondere wenn sie als Ansitzwarten für Prädatoren dienen können, wird
von den Vögeln als störend empfunden. Verzögerte Vegetationsentwicklung erweist sich
als einer, insbesondere für die Aufzucht der Jungtiere, bedeutendsten Habitatfaktoren.
Neben Hochmoorkomplexen und feuchten Weideflächen stellen zunehmend auch Maisäcker
geeignete Lebensräume für den Kiebitz dar. Ursachen des Bestandsrückgangs Die bislang vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin,
daß die Ursachen des Bestandsrückgangs vorrangig im ausbleibenden Fortpflanzungserfolg
zu sehen sind. Langjährige schwedische und niederländische Untersuchungen belegen einen
Zusammenhang zwischen Reproduktionserfolg und der Intensität der Bodenbearbeitung. Neben
Gelege- und Jungtierverlusten beeinträchtigen insbesondere anthropogene Veränderungen im
Wasser- und Nährstoffhaushalt der Feuchtwiesen die erfolgreiche Aufzucht des Nachwuchses,
da sie im Frühjahr zu beschleunigtem Graswachstum führen und somit die kurzrasige
Vegetationsstruktur nachteilig beeinflussen.
Sowohl H.Schekkerman (Institut for Bos- en Naturbeheer,
Wageningen) als auch Dr. W. Petersen-Andresen (Amt f. Land- u. Wasserwirtschaft, Husum)
konnten in ihren Beiträgen von positiven Erfahrungen mit der Einrichtung von
Wiesenvogelreservaten berichten. In den niederländischen Wiesenvogelreservaten erreichen
Kiebitze die höchsten Siedlungsdichten, jedoch ist der Anteil in Reservaten brütender
Kiebitze im Verhältnis zum Gesamtbestand gering. Die deutschen Erfahrungen sind hingegen
ambivalent: in den wenigen vorhandenen Wiesenvogelreservaten gehen die Bestände zurück
oder stagnieren auf niedrigem Niveau. Positive Ergebnisse konnten nur dort erzielt werden,
wo eine deutliche Anhebung der Wasserstände möglich war. Insgesamt ist der Anteil der in
Schutzgebieten brütenden Kiebitze auch in Deutschland relativ niedrig. So brüten
beispielsweise in vier großflächigen Schutzgebieten an der schleswig-holsteinischen
Westküste trotz der sehr hohen Brutdichten nur etwa 10 - 20% des Bestandes, während der
weit überwiegendere Teil auf konventionell bewirtschafteten Flächen zu finden ist.
Verbesserung der Habitatbedingungen Fest steht jedoch, daß für die Sicherung und Entwicklung
der Kiebitzbestände Maßnahmen zur großflächigen Verbesserung der Brutbedingungen
erforderlich sind. Dabei müssen allein für die norddeutsche Tiefebene Größenordnungen
von mehreren hunderttausend Hektar in Betracht gezogen werden. Die Tatsache, daß die
bisher eingeleiteten Schutzmaßnahmen nur auf rund 40.000 ha Fläche wirken, verdeutlicht
die immensen Anstrengungen, die von Naturschutz und Landwirtschaft gleichermaßen zum
Schutz der Wiesenvögel zukünftig noch unternommen werden müssen. Solange jedoch durch
konkurrierende Programme einerseits die Entwässerung von Feuchtwiesen gefördert wird,
während andere die Extensivierung des Grünlandes unterstützen, scheint ein agrar- und
naturschutzpolitischer Konsens noch in weiter Ferne zu stehen. Der Schutz des Kiebitz und
seiner Lebensgemeinschaft bedarf jedoch dringend klarer und in der Zielsetzung eindeutiger
politischer Rahmenbedingungen, denn die Schicksalsfrage der Wiesenbrüter wird sich an der
Struktur und Bewirtschaftungsintensität großräumiger Grün-Landschaften entscheiden und
nicht an lokal oder regional durchgeführten Naturschutzmaßnahmen. |
Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder. |