Die Rückkehr von Wolf und Luchs - Wie gehen wir damit um?

Ergebnisse eines Seminars vom 06.11. bis 07.11.1999


Das Comeback der großen Zwei * Erfahrungen mit Großraubtieren in der Schweiz * Was bleibt zu tun? * Wolf, Luchs und Bär - eine Knacknuss für den Naturschutz?


wolf.jpg (13580 Byte)Zu einer Zeit, in der ein Großteil der europäischen Fauna in Bedrängnis geraten ist, befindet sich eine kleine, aber für den Naturschutz bedeutsame Artengruppe im Aufwärtstrend: die Großraubtiere wie Wolf, Bär und Luchs sind europaweit auf dem Vormarsch. Für den Naturschutz ist das ein Lichtblick, doch führt die Entwicklung auch zu Konflikten. Die Gesellschaft muss lernen, die Lebens- und Wirtschaftsräume wieder mit Großraubtieren zu teilen.

Die EU hat die Großraubtiere zu den in Europa besonders gefährdeten Arten erklärt. Gesetzlicher Schutz alleine reicht für ihren Erhalt jedoch nicht aus. Die Hauptaufgabe muss darin bestehen, die gesellschaftliche Akzeptanz für Großraubtiere durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit positiv zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund, daß in Teilen der Bevölkerung nach wie vor erhebliche, wenn auch auf Unkenntnissen beruhende Vorbehalte u.a. gegen “den bösen Wolf” existieren und einseitige Darstellungen in den Medien (z.B. Anzeigenkampagne eines großen deutschen Automobilherstellers) das öffentliche Bild der Großraubtiere verzerren, erweist sich diese Aufgabe als große Herausforderung für den Naturschutz. Ziel des Seminars war es, die vorhandenen Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten, um darauf aufbauend Konzepte für zielführende Maßnahmen zur Akzeptanzförderung für Großraubtiere zu entwickeln, die Antworten auf folgende Fragen geben:

  • Handelt es sich bei der Einwanderung von Wölfen um ein vorübergehendes Phänomen oder gibt es Anzeichen für einen Einwanderungstrend (aktueller Stand und Perspektiven)?

  • Sind Luchsnachweise in Deutschland Zufallsereignisse oder Hinweise auf bevorstehende Arealausweitungen (aktueller Stand und Perspektiven)?

  • Wie stellt sich das Bild von Wolf und Luchs heute in der Öffentlichkeit dar (sozialpsychologische und kulturhistorische Aspekte)?

  • Welche Wege führen zu einem praktikablen Umgang mit Großraubtieren in der Kulturlandschaft ?

  • Sind national und international abgestimmte Aktions- und Managementpläne für Großraubtiere erforderlich?

Das Comeback der großen Zwei

Kommt der Wolf zurück?

Wölfe leben heute wieder in vielen Ländern Zentraleuropas.

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Quelle: http://www.large-carnivores-lcie.org/Species/Wolf/Karte-wolf.gif
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Seit einigen Jahren mehren sich auch die Anzeichen für eine Rückkehr des Wolfs nach Ostdeutschland. Ein kleines Vorkommen an den Unterläufen von Warthe und Oder, soll nach Auffassung von Experten den Ausgangspunkt der Zuwanderungen darstellen.

Berichte (oder Gerüchte?) sprechen für 1997 von 2 ostdeutschen Rudeln bzw. etwa 10 Wölfen. Und 1997-1998 soll angeblich ein weiteres Rudel in Sachsen überwintert haben.

Gerd Schumann (Umweltministerium Brandenburg) ging in seinem Beitrag auf die Frage des Vorkommens von Wölfen in Ostdeutschland, insbesondere Brandenburg, ein. Er führte aus, dass gegenwärtig keine systematische Bearbeitung des Wolfs in Brandenburg erfolge. Folglich lägen auch keine verlässlichen Angaben zu eventuellen Vorkommen oder Bestandszahlen vor. Festzuhalten sei jedoch, das die Wölfe im benachbarten Polen seit dem 15. Januar 1998 landesweit nicht mehr gejagt werden dürften. Sollte dieses zum erwarteten Anwachsen der dortigen Vorkommen führen, so hielten die Fachleute die Rückkehr des Wolfs nach Ostdeutschland für möglich. Für diesen Fall läge bereits ein von der Wildbiologischen Gesellschaft München angefertigter Managementplan vor.

Was kommt mit dem Wolf auf uns zu?

An Beispielen aus Ostpolen und Estland beschrieben Jörn Theuerkauf (Osterholz-Scharmbeck) und Gesa Kluth (Landesanstalt für Großschutzgebiete, Eberswalde) die Situation der dortigen Wolfsvorkommen. Jörn Theuerkauf, der gegenwärtig Studien an Wölfen im Gebiet des Bialowezia Nationalparks durchführt, berichtete, dass sich die dortigen Wölfe, die sowohl in der bäuerlich genutzten Kulturlandschaft sowie auch in den Wäldern des Nationalparks lebten, in ihrer Tag-Nacht-Aktivität vollkommen auf die Anwesenheit des Menschen eingestellt hätten. Während des Tages konzentrierten sie sich auf die störungsarmen Gebiete des Waldes, verließen diese aber auf ihren nächtlichen Streifzügen. Wurfbaue befänden sich selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zu menschlichen Aktivitätszentren (in der Nähe von Straßen u.a.). In der dortigen Weidewirtschaft sei es gebräuchlich, die Tiere auf den Weiden anzupflocken. Das erleichtere den Wölfen den Zugriff und Risse an Weidetieren seien daher nicht ungewöhnlich. Seitens der Bevölkerung würden diese Vorfälle als „natürlich“ angesehen und nicht weiter problematisiert. Durch konsequentes Handeln aller Beteiligten (Ablappen, Einsatz von Herdenschutzhunden, ausnahmsweise Tötung einzelner Individuen) würde darüber hinaus versucht, Übergriffen von Wölfen auf Haustiere vorzubeugen und die Akzeptanz für den seit 1998 geschützten Wolf zu fördern. Deutlich anders stelle sich die Situation seines Wissens jedoch im benachbarten Weißrussland dar, wo der Wolf nach wie vor als „Pest“ angesehen und massiv verfolgt würde.

Eine ähnliche Situation beschrieb Gesa Kluth für Estland. Ausgebend von einem Tiefpunkt in den siebziger Jahren, würde seit Ende der achtziger Jahre (wirtschaftlicher, sozialer Umbruch) ein deutlicher Anstieg der Wolfspopulation beobachtet. Für die Mitte der neunziger Jahre sei der estnische Wolfsbestand auf 600 Individuen, bei einer Dichte von 1,5 bis 2,5 Wölfen/100 km2 Waldfläche, geschätzt worden. Der Wolf sei nicht geschützt, sondern unterläge einer intensiven Bejagung. Selbst in Naturschutzgebieten dürften Wölfe gejagt werden, wenn dadurch die Zielsetzung nicht beeinträchtigt würde. Probleme im Zusammenleben von Menschen und Wölfen verursachten zum einen Angriffe von Wölfen auf Hunde und Vieh, die nicht entschädigt würden, sowie die Konkurrenz zwischen Wölfen und Jägern, die primär zur persönlichen Fleischbeschaffung jagten.

Leben Luchse in Deutschland?

Mit aktuellen Luchsnachweisen in Deutschland beschäftigten sich die Beiträge von Mathias Hermann (Ökolog-Freilandforschung, Landau), Thomas Kaphegyi (Forstzoologisches Institut der Universität Freiburg) und Heinrich Spittler (LÖBF).

Meldungen von Luchsen gibt es in Deutschland wieder seit dem Beginn der achtziger und vermehrt seit Anfang der neunziger Jahre. Gesicherte Nachweise liegen aus dem Pfälzerwald, dem Schwarzwald und den deutsch-tschechischen Grenzwäldern (Bayerischer Wald, Erzgebirge, Sächsische Schweiz) vor. Darüber hinaus gelang Spittler der Nachweis einer Luchsin unbekannter Herkunft im Arnsberger Wald im Winter 1998/1999.

Mathias Hermann berichtete, dass erste Hinweise auf Luchse aus dem Pfälzer Wald seit 1980 vorlägen. Bis 1997 seien 188 Meldungen (126 Beobachtungen, 36 Risse und 26 sonstige Meldungen) erfasst worden, die sich im wesentlichen auf den mittleren und nördlichen Teil des Pfälzerwaldes konzentrierten. Die Luchsmeldungen aus dem Schwarzwald würden, so Thomas Kaphegyi, seit 1995 systematisch erfasst und ausgewertet. Bestätigt werden konnten 15 Direktbeobachtungen, 2 Spuren- und 1 Kotfund. Stephanie Schadt ergänzte, dass der Luchsbestand im Bayerischen Wald auf 10 bis 15 Tiere geschätzt würde, während es sich bei den weiteren Funden im deutsch-tschechischen Grenzgebiet um Einzelnachweise handele.

Woher kommen die Luchse?

Die Herkunft der Luchse ist unklar. Es gibt Hinweise, die auf nicht genehmigte Aussetzungen oder Ausbrüche aus Gehegehaltungen hindeuten. Für den Pfälzerwald kann darüber hinaus die Einwanderung aus den Nordvogesen und im Schwarzwald die Zuwanderung aus der Schweiz nicht ausgeschlossen werden. Bei den Ansiedlungen im deutsch-tschechischen Grenzgebiet dürfte es sich in der Regel um eingewanderte Tiere aus der Tschechischen Republik handeln.

Gibt es noch geeignete Lebensräume für Luchse in Deutschland?

Luchse sind an großräumige Waldlandschaften gebunden, scheinen aber im Hinblick auf Nahrung und Deckung keine spezifischen Habitatanforderungen zu stellen. Wenn ausreichende Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind, scheint sich der Luchs auch in direkt von Menschen besiedelten Räumen behaupten zu können.

Unter Berücksichtigung weiterer populationsökologisch bedeutsamer Faktoren ermittelt die von Stephanie Schadt (Universität München) vorgestellte GIS-Simulation weitere potentielle Luchslebensräume im Mittelgebirgsraum, im Harz und in den norddeutschen Heidelandschaften (Lüneburger Heide, Truppenübungsplätze).  Die Ergebnisse des Modells erlaubten einige Spekulationen über die Zukunft des Luchses in Deutschland. Zöge man die für eine kleinste überlebensfähige Population (minimal viable population) geeigneten Gebiete in Betracht, könnten in Deutschland bis zu 400 Luchse leben. Doch selbst bei diesem hypothetischen Maximum wäre die gesamte Population immer noch zu klein, denn der für das langfristige Überleben der Art erforderliche Mindestbestand sei auf 500 Individuen, die im Austausch miteinander stünden, zu schätzen. Das Modell zeige jedoch, dass gerade hinsichtlich der Verknüpfung der potentiellen Areale erhebliche Mängel bestünden.

Insgesamt sei ein Ost-West-Gefälle für die potentielle Eignung der Habitate feststellbar. Die möglichen Siedlungsgebiete in Ostdeutschland und im deutsch-tschechischen Grenzgebirge böten ungestörte, ausgedehnte Waldflächen für jeweils mindestens 70 Luchse. Darüber hinaus sei es wahrscheinlich, dass dortige Luchsvorkommen Anschluss an die polnische Population bzw. über das Sudetengebirge an die Vorkommen in den Karpaten fänden.

Quelle: http://141.40.104.206/loek/diplomarb/schadt/ergebnis/html2_11.gif

Weiter im Westen liegende Gebiete wie das Rothaargebirge und der Schwarzwald seien zwar auch für den Luchs geeignet, wären gegenwärtig jedoch von anderen Populationen isoliert. Eine Verbindung der Luchspopulationen in Deutschland sei grundsätzlich wohl nur schwer möglich. Insbesondere das dichte Straßennetz stelle eine gravierende Ausbreitungsbarriere dar, da hier viele Tiere bei Unfällen zu Tode kämen.

Großraubtiere in der Schweiz - Was können wir aus den dortigen Erfahrungen lernen?

In der Schweiz breiten sich gegenwärtig Populationen wildlebender Grossraubtierarten aus, bzw. steht eine solche Ausbreitung unmittelbar bevor. Diese aus Sicht des Naturschutzes  grundsätzlich erwünscht Entwicklung stößt aber auf den Widerstand der Bevölkerung. Das damit einhergehende Konfliktpotential wurde von Seiten des Naturschutzes frühzeitig erkannt. Aus diesem Anlass initiierte das Schweizerische Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) das Projekt KORA (Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz). Dessen Aufgabe ist es, . Dessen Aufgabe ist es, zu aktuellen Problemen im Zusammenhang mit der Erhaltung oder dem Management von Raubtieren die wissenschaftlichen Grundlagen für umsetzbare Lösungen zu erarbeiten.

Die Akzeptanzprobleme, mit denen sich der Naturschutz in der Schweiz zur Zeit konfrontiert sieht, schilderte der Beitrag von Anja Lobin (KORA). Am Beispiel des Luchses stellte sie heraus, dass die Ursachen für die Akzeptanzprobleme nur selten eine objektiv fassbare Grundlage hätten. In der Schweiz würden beispielsweise rund 360.000 Schafe gehalten und Verluste von 1 bis 5% während der Sömmerung der Herden seien nicht ungewöhnlich. Zwar könne es lokal zu erheblichen Übergriffen auf die Schafherden kommen, insgesamt verursachten die Luchse aber nur 0,4% der Verluste.

Risse an Haustieren würden grundsätzlich entschädigt, wenn ein Wildhüter oder eine andere anerkannte Institution den Luchs als Verursacher ermittele. Zwischen 1973 und 1999 seien 1.182 Haustiere gerissen und mit 320.000 SFR entschädigt worden. Nichts desto trotz würden die Luchse als die größten Feinde der Schafherden dargestellt.

Die Ergebnisse radiotelemetrischer Untersuchungen belegten hingegen, dass sich die Luchse überwiegend von Rehen und Gemsen ernährten. Dieses habe jedoch wiederum die Jäger auf den Plan gerufen, die ihrerseits nun eine substantielle Reduktion der Luchsbestände forderten, weil sie die Luchse für den Rückgang der Rehpopulationen verantwortlich machten. Da die schweizerische Bundesregierung aber an dem Totalschutz der Luchse festhalte, würden Luchse oftmals das Opfer illegaler Abschüsse.

Die von Anja Lobin für den Luchs aufgezeichneten Akzeptanzprobleme sind symptomatisch für die Gesamtproblematik der Großraubtiere in der Schweiz. Marcel Hunizker (Abteilung Landschaft und Gesellschaft der schweizerischen WSL) setzte sich in seinem Beitrag mit den dafür ursächlichen gesellschaftlichen Hintergründen auseinander. Er berichtete, dass diese Entwicklung der Großraubtiere aus der Sicht der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung grundsätzlich erwünscht zu sein scheine (zumindest in Meinungsumfragen), es aber dort, wo die Raubtiere tatsächlich auftauchten, sehr schnell zu erheblichen Akzeptanzverlusten komme.

Zu den Kernfragen, mit denen sich der Naturschutz in der Schweiz vor diesem Hintergrund beschäftige, gehöre:

  • Welches sind die Ursachen und Hintergründe für die mangelnde bzw. vorhandene Akzeptanz?

  • Wie lassen sich  wirkungsvolle Strategien und Maßnahmen entwickeln, mit denen sich die Konflikte lösen oder zumindest entschärfen lassen, um somit ein nachhaltig friedliches Zusammenleben von Mensch und Raubtier zu ermöglichen?

Prädation und Projektion

Am Beispiel des Wolfs in der Schweiz stellte Hunziker die bisherigen Ergebnisse seiner Studien vor. Er führte aus, dass das Verhältnis des Menschen zum Wolf durch zwei unterschiedliche Ebenen bestimmt sei:

  • Der Ebene der konkreten Probleme der Prädation von Nutz- und Haustieren und des Schalenwilds und der Angst um die physische Unversehrtheit des Menschen,

  • der Ebene der symbolischen Bedeutung des Wolfes bzw. der Projektionen auf den Wolf.

Während der Ebene der symbolischen Bedeutung des Wolfs zunächst aufgrund der niedrigen Anzahl der Wölfe und Schadensfälle in der Schweiz noch die größere Bedeutung zu komme, sei anzunehmen, dass die Ebene der konkreten Probleme erst mit der weiteren Ausbreitung des Wolfes an Bedeutung gewinnen würde.

Der wichtigste Faktor auf der konkreten Ebene schiene die Betroffenheit zu sein. Wie groß diese sei, hänge einerseits von der empfundenen Angst um die physische Sicherheit des Menschen, andererseits vom Ausmaß des befürchteten finanziellen und emotionalen Verlustes durch den Riss von Nutz- und Haustieren ab. Das Beispiel des Luchs zeige, dass Menschen sich auch dann von Luchsrissen betroffen fühlten, wenn sie persönlich keinen unmittelbaren Schaden zu erwarten hätten. Die „solidarische“ Betroffenheit hinge von der räumlichen Distanz zu den Vorfällen und von der sozialen Integration der unmittelbar Betroffenen in die Gemeinschaft ab.

Darüber hinaus sei auch die Kommunikation zwischen den verschiedenen Interessengruppen, den Betroffenen und den Behörden sowie den Naturschutzorganisationen ein wichtiger Faktor. Hier sei ein großes gegenseitiges Misstrauen feststellbar. So würden die Wolfsgegner unterstellen, dass die kürzlich im Wallis aufgetauchten Wölfe von den Naturschützern willentlich ausgesetzt worden seien. Gleichzeitig hegten aber auch Naturschützer und Behörden erhebliche Zweifel an der Bereitschaft der Wolfsgegner zu einer einvernehmlichen Lösung der Konflikte zu kommen.

Mythologie und Zeitgeist

Weiterhin zeige die Analyse der mythologischen Wolfbilder einerseits die der negativ besetzten Märchenfigur des verschlingenden Wolfes (z.B. Rotkäppchen und der böse Wolf), andererseits aber auch durchaus positive  Bilder (z.B. Romulus und Remus mit einer Wölfin als Ziehmutter). Die empirischen Untersuchungen zeigten ferner, dass die Wolfsbilder nicht nur aus der Mythologie und Märchenwelt stammten, sondern ebenso in unterschiedliche Weltbilder eingepasst seien und den Schweizer Zeitgeist zwischen Moderne und Postmoderne widerspiegelten. Dabei konnten drei Idealtypen der Deutung des Wolfes unterschieden werden: der traditionsorientierte Wolfsgegner, der postmoderne Wolfsfreund, der scheinbare Wolfsfreund.

Der traditionsorientierte Wolfsgegner orientiere sich in seinem Denken an den Werten und Errungenschaften der Epoche der Moderne. Zivilisation bedeute für ihn die Überwindung der natürlichen Wildnis und der gesellschaftlichen Barbarei. Er steht somit auch der Unterwerfung der Natur durch den Menschen positiv gegenüber. Der Wolf sei für den  traditionsorientierten das Symbol für das Unzivilisierte und Wilde, und die Wolfsfreunde seien diejenigen, die die zivilisatorische Entwicklung umzukehren wünschten.

Demgegenüber sei der postmoderne Wolfsfreund von einem starken Individualismus und dem Wunsch nach einem Leben im Einklang mit der Natur gekennzeichnet. Der Wolf stünde in diesem Zusammenhang als Symbol für die Dynamik und den Willen zur Selbstbehauptung gegenüber Umweltzerstörungen u.ä.. Daher befürworte der postmoderne Wolfsfreund die Anwesenheit des Wolfes in der Schweiz auch dann, wenn sich daraus konkrete Probleme ergeben würden.

Ein innerer Konflikt zwischen der Orientierung an traditionellen Werten der Moderne einerseits und der Suche nach einem neuen, individuellen - postmodernen – Wertgefüge andererseits bestimme hingegen den scheinbaren oder ambivalenten Wolfsfreund. Aufgrund seines gespaltenen Welt- und Wolfsbildes neige der ambivalente Wolfsfreund dazu, den Wolf dann zu akzeptieren, wenn er persönlich nicht betroffen sei, aber ins Gegenteil umzuschlagen, wenn sich aus der Anwesenheit des Wolfes für ihn eine persönliche Konfliktsituation ergäbe. Die Ergebnisse würden zeigen, so Hunziker, dass in der Schweiz ein großer Teil der Bevölkerung diesem Typus zugehörig sei, was auch den Widerspruch zwischen dem hohen Anteil an Wolfsfreunden in den verschiedenen Kurzumfragen und dem Widerstand bei der konkreten Präsenz des Wolfes erklären könnte.

Konkrete Maßnahmen

Im weiteren vertrat Hunziker die Ansicht, dass erfolgreiche Maßnahmen für eine nachhaltig friedliche Koexistenz von Mensch und Wolf sowohl die konkreten Probleme als auch die Symbolik in Rechnung zu stellen hätten. Die Aufklärung der Bevölkerung bezüglich des vom Wolf ausgehenden Gefahrenpotentials für den Menschen und die geplanten Maßnahmen zum Schutz des Kleinviehs sowie die finanzielle Abgeltung im Schadensfall eigneten sich gut, um die Probleme auf der konkreten Ebene zu entschärfen. Als Voraussetzung für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen müssten aber bestehende Kommunikationsprobleme gelöst werden, damit sinnvolle Maßnahmen entwickelt und erfolgreich implementiert werden könnten. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit würde die Akzeptanz dieser Maßnahmen bei den Betroffenen maßgeblich erhöhen.

Den Akzeptanzproblemen, die ihre Ursache in der Projektion von Ängsten und Wünschen auf den Wolf hätten, könne nicht dadurch begegnet werden, dass die Bilder als unwahr bezeichnet würden. Viele Schweizer verfügten mittlerweile aufgrund der umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit über recht gute Kenntnisse zur Biologie und Ökologie von Wölfen, die tief in Denkweisen und Wertvorstellungen verwurzelten Wolfsbilder seien dadurch aber nicht beseitigt worden.

Die Vernetzung der Wolfsbilder mit Denkweisen und Wertvorstellungen bringe mit sich, dass die Einwanderung des Wolfes in Verbindung mit anderen gesellschaftlich oder regional relevanten Themen diskutiert werden müsse. So sei beispielsweise die Frage nach der Art der zukünftigen Landschaftsgestaltung und der Landschaftsnutzung in der Schweiz zu stellen. Im Zuge einer solchen Diskussion ließe sich die Vielfalt der Symbolik des Wolfes aufzeigen und positiv besetzte Bilder wie der Wolf als sozial eingepasstes Rudeltier oder als Symbol für eine „fortschrittlich-nachhaltige“ Naturnutzung vermitteln.

Hunziker kritisierte in diesem Zusammenhang die Naturschutzverbände und Behörden, die oftmals an starren Schutzvorstellungen festhielten und der Bevölkerung kein dynamisches Verhältnis zur Natur, dass aber für die Akzeptanz der großen Raubtiere wichtig sei, vorlebten. Ferner sei es an der Zeit, dass sich der Naturschutz um moderne Formen der Öffentlichkeitsarbeit bemühen müsse. Es zeige sich zwar, dass die von den Naturschützern betriebene Öffentlichkeitsarbeit das Wissen um die Biologie und Ökologie der Raubtiere positiv beeinflusst habe, da die Naturschützer und Biologen jedoch als parteiisch angesehen würden, hätte die stark von naturwissenschaftlichen Argumenten bestimmte Öffentlichkeitsarbeit keinen signifikanten Einfluss auf die Ablehnung/Akzeptanz von Wolf und Luchs.

Was bleibt zu tun?

Es ist zu erwarten, dass sowohl Wölfe als auch Luchse in den nächsten Jahren zumindest in Teilen Deutschlands wieder vermehrt auftreten werden. Die Erfahrungen, insbesondere in der Schweiz, lassen aber auch erwarten, dass die Rückkehr der „charismatischen Zwei“ (der Braunbär dürfte allenfalls in den deutschen Alpen von Bedeutung werden) von der Bevölkerung häufig mit Vorbehalten und Sorgen begleitet werden wird.

Der behördliche sowie der ehrenamtliche Naturschutz in Deutschland muss daher die Rückkehr von Wolf und Luchs vorbereiten, wenn er nicht Gefahr laufen will, dass sich die ehemals wirksamen Ausrottungsgründe wiederbeleben und jeden Versuch der natürlichen Wiederansiedlung bereits „im Keim ersticken“. Doch was bedeutet das für die Praxis?

Vertrauen und Akzeptanz schaffen!

Eine der grundlegenden Fragen der Diskussionen war, ob und in welchem Umfang die Öffentlichkeit bereits frühzeitig einbezogen werden sollte. Während einige der Teilnehmer dafür plädierten, kein "großes Aufheben" zu machen und die Tiere "still und heimlich" einwandern zu lassen, sprachen sich andere, gerade vor dem Hintergrund der schweizerischen Erfahrungen, für eine offensive Öffentlichkeitsarbeit aus. Es müsse einem weiteren Vertrauens- und Akzeptanzverlust des Naturschutzes bereits im Vorfeld begegnet werden, so der Tenor.

Der Naturschutz muss zur Kenntnis nehmen, dass die Vorbehalte und Akzeptanzprobleme ihre Ursache nicht in einer mangelnden Kenntnis der Biologie und Ökologie der Arten haben, sondern in häufig in rational nur schwer nachvollziehbaren Sorgen und Ängste begründet sind. So werden ökonomische (z.B. Haustiere) oder ideelle Schäden (z.B. Jagd) befürchtet, Bedrohungsgefühle entwickelt oder Veränderungsängste auf den Naturschutz allgemein bzw. die Raubtiere im besonderen projiziert. Der Naturschutz muss sich mit diesen, wenn für ihn auch bislang ungewohnten Sachverhalten und Argumenten auseinandersetzen und versuchen, den Sorgen und Ängsten der Mitbürger durch vertrauensbildende Maßnahmen zu begegnen.

Als eine der wichtigsten Voraussetzungen wurde in diesem Zusammenhang angesehen, dass der Naturschutz für die Bürger nicht zu einer schwer durchschaubaren und unkalkulierbaren Größe werden darf. Die Ziele des Naturschutzes müssen deshalb transparent und nachvollziehbar in Managementkonzepten dargestellt werden. Die Managementkonzepte müssen das grundsätzliche Ziel verfolgen, einen Umgang mit den genannten Arten anzustreben, der die Schutzanliegen in Einklang bringt mit dem Anspruch, Schäden und Konflikte in Grenzen zu halten. Ein Managementkonzept muss daher ein abgestuftes Bündel von Maßnahmen vorsehen. Dazu zählen die drei Elemente Prävention, Kompensation und Abschuss.

Vorsorge, Schadenvergütung …

Die Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen Wolfs- und Luchsschäden an Kleinviehherden ist eine langwierige Aufgabe. Patentlösungen, so zeigen es die Erfahrungen der Luchs- und Wolfsstaaten, wird es keine geben. Um die Akzeptanz der Großraubtiere bei der Bevölkerung nicht aufs Spiel zu setzen, bedarf es daher einer vernünftigen Entschädigungspraxis und - für den Fall, dass sie untragbare Schäden anrichten, - einer flexiblen Handhabung von Abschussgenehmigungen.

Die Höhe der Entschädigungszahlungen muss so gestaltet werden, dass sie von den Geschädigten allgemein als gerecht empfunden wird. Die vielfach von den Teilnehmern diskutierte Umkehr der Beweispflicht, nach der der Halter den Verursacher des Schadens eindeutig nachweisen muss und auch zu belegen hat, dass die zumutbaren Vorsorgemaßnahmen von ihm ergriffen worden sind, erwies sich in der Schweiz zwar als wenig praktikabel, scheint aber ohne vernünftige Alternative zu sein. Bei frischen Kadavern lässt sich anhand der Verletzungen, der Bissspuren und weiterer Indizien verhältnismäßig sicher feststellen, ob ein Luchs, ein Fuchs, ein wildernder Hund oder ein Wolf der Verursacher war. In allen anderen Fällen (z.B. bei unbeaufsichtigt weidenden und nur spärlich kontrollierten Herden) gestaltet sich hingegen eine zweifelsfreie Diagnose ausgesprochen schwierig. Eine allzu großzügige, gutgläubige Entschädigungspraxis, so die schweizerischen Erfahrungen, führe dazu, dass nahezu jedes Tod aufgefundene Tier, dem Wolf oder Luchs zugeschrieben würde.

… und wenn nötig Abschuss!

Die Erfahrungen aus Polen, der Schweiz oder anderen Ländern lassen keinen Zweifel daran, dass es in Einzelfällen auch unumgänglich sein wird, Großraubtiere, die untragbare Schäden anrichten, zu töten. Die Möglichkeit und Bereitschaft zu raschem und konsequentem Handeln erwies sich in diesem Zusammenhang als ausgesprochen hilfreich. Lange Entscheidungs- und Diskussionsprozesse würden in gravierenden Schadensfällen, so die Erkenntnis, zu erheblichen Akzeptanzverlusten führen.

Die Rückkehr wissenschaftlich begleiten!

Der Naturschutz wird nur in der Lage sein, Vertrauen und Akzeptanz zu entwickeln, wenn er selbst bestens über die Lage vor Ort informiert ist. Ansonsten läuft er Gefahr, selbst das Opfer von Gerüchten oder Halbwahrheiten zu werden. Einigkeit herrschte daher hinsichtlich der Notwendigkeit einer wissenschaftlich begleiteten Rückkehr von Wolf und Luchs. Dieses gilt insbesondere für die "hotspots" der Wolfseinwanderung entlang der deutsch-polnischen Grenze sowie für den Luchs in den deutsch-tschechischen und deutsch-französischen Grenzgebieten. Durch regelmäßige Feldarbeit sind einwandernde Tiere zu ermitteln, zu überwachen (z.B. Analyse von Kotfunden und Spuren, Auswertung von Rissen) und zu dokumentieren. Dabei sollte selbstverständlich die Zusammenarbeit mit den Fachinstitutionen und -verbänden der Nachbarländer gesucht werden.

Lebensräume entwickeln!

Die Erfahrungen der zentraleuropäischen Länder mit Wolfs- und/oder Luchsvorkommen zeigen, dass beide Arten relativ unspezifische Anforderungen an ihren Lebensraum stellen. Das Wolfshabitat oder den Luchslebensraum gibt es nicht! Sowohl Wolf als auch Luchs sind überaus flexibel. Sie scheuen die Nähe des Menschen nicht, wenn ihnen ein paar störungsarme Rückzugsgebiete, wo sie ihre Ruhephasen verbringen und ungestört ihren Nachwuchs aufziehen können, zur Verfügung stehen. Diese Bedingungen finden sie auf den großflächigen (aktiven oder ehemaligen) Truppenübungsplätzen, Nationalparks und anderen Schutzgebieten im Osten Deutschlands, aber auch die Truppenübungsplätze in Norddeutschland sowie die größerflächigen Waldgebiete der Mittelgebirge scheinen noch mehr oder weniger gut geeignete Lebensstätten zu bieten.

Ob diese potentiellen Lebensräume überhaupt von den Wölfen und Luchsen dauerhaft besiedelt werden können, bleibt im Moment fraglich. Die intensive Zerschneidung der Landschaft durch Straßen und Kanäle, dürfte der Ausbreitung als Barriere entgehen wirken und den Austausch potentieller Teilpopulationen beeinträchtigen. Denn neben illegalen Tötungen sind insbesondere Verluste durch Straßenverkehr eine der wichtigsten Mortalitätsfaktoren für die Großraubtiere.

GIS-Simulationen, wie sie von Stephanie Schadt für den Luchs vorgestellt worden sind, können bei der Identifizierung der Problempunkte helfen. Die Ergebnisse sollten in ein nationales Biotopverbundkonzept eingearbeitet werden. Zur Entschärfung der Problempunkte müsste der Bau von Grünbrücken oder anderen Querungshilfen angestrebt werden.

Wolf, Bär und Luchs - eine Knacknuss für den Naturschutz

"Managing wildlife means managing humans". Dieses Zitat von Prof. Dr. Alistair J. Bath verdeutlicht in prägnanter Form die Herausforderungen vor denen der Naturschutz angesichts der Rückkehr von Wolf und Luchs steht. Die Neubegründung und langfristige Sicherung von Populationen großer Carnivoren in Deutschland wird ohne die Kooperation mit den direkt oder indirekt betroffenen Menschen nicht erfolgreich sein. Der Schutz und das Management der charismatischen Drei (Wolf, Luchs und Braunbär) ist gleichermaßen eine naturschutzbiologische wie auch sozialpolitische Aufgabe. Dabei erweist sich die "human dimension", der Rückhalt in der Bevölkerung und die Gewinnung ihrer Akzeptanz, als der springende Punkt. Nur wenn es dem Naturschutz gelingt, diese Nuss zu knacken, haben Wolf, Luchs und Braunbär eine Chance!

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

Zitat: SCHULTE, R. (2000): Die Rückkehr von Wolf und Luchs - Wie gehen wir damit um? - Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 06.11. bis 07.11.1999. www.nabu-akademie.de/berichte/99wolf.htm (20.06.00)


Weiterführende Links zum Thema

  • Large Carnivores Initiative in Europe: The LCIE is a dynamic network of representatives from governments, international and national non-governmental organisations, scientists and other experts. With members from 25 countries, it works across Europe to promote the coexistence of brown bears, lynxes, wolves and wolverines with human societies. The LCIE builds on important activities throughout the continent, disseminating valuable experience and knowledge.

  • International Wolf Center: The International Wolf Center supports the survival of the wolf around the world by teaching about its life, its association with other species and its dynamic relationship to humans.


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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.