Management von wilden Gänsen
Wilde Gänse wie Blässgänse, Nonnengänse und Ringelgänse streben alljährlich aus
ihren arktischen Brutzonen kommend dem milden atlantischen Westen Europas zu, um hier den
Winter zu verbringen (Madsen et al. 1999). Da sie in großen Scharen auftreten (Spilling
et al. 1999) und Pflanzenfresser sind, bewirken sie bei den Landwirten, auf deren Flächen
sie niedergehen, Besorgnisse wegen möglicher Ernteschäden. Diese Besorgnisse sind
weitgehend unbegründet: (1) Die Kulturpflanzen wie Raps und Wintergetreide können den
Verbiss durch die Gänse mit Hilfe ihrer Regenerationsleistung zum größten Teil wieder
ausgleichen (vgl. Bergmann im Druck). (2) Mehr als die Hälfte der entnommenen Biomasse
wird - wenigstens zur Vegetationszeit im Frühjahr - durch die Düngewirkung des
hinterlassenen Gänsekots zurückerstattet (Balkenhol et al. 1984).
Dennoch gibt es Situationen und Bedingungen, unter denen aus Weideschäden Ernteschäden
werden können, d.h. Ertragseinbußen für die Landwirte entstehen können. Hierzu trägt
vor allem die Bejagung bei, die über die starke Beunruhigung der Gänse zu erhöhtem
Energieverbrauch und Konzentrierung der Vögel auf ungestörten Flächen führt (Mooij
1991, Bergmann 1999).
Um Weide- und spätere mögliche Ernteschäden zu vermeiden, gibt es ein ganzes Arsenal
von Managementmaßnahmen unterschiedlicher Qualität. Sie variieren sowohl in ihrer
Wirksamkeit als auch in ihrer Verträglichkeit für die Gänse und ihrem ökonomischen
Kostenaufwand. Die überwinternden Wildgansarten in Deutschland sind zum größten Teil
Fernwanderer (Rutschke 1987). Sie verdienen nach internationalen Konventionen (Bonner
Konvention, Ramsarkonvention, AEWA)und - rechtlich verbindlicher - nach europäischer
(EU-Vogelschutzrichtlinie) und deutscher Gesetzgebung (Naturschutzgesetz § 20) Schutz.
Dieser Schutz schließt auch die Lebensräume ein. Alle Managementmaßnahmen müssen daher
auch nach Schutzgesichtspunkten bewertet werden (Spilling 1999). Dies geschieht in Abb. 1,
in der die einzelnen Managementmaßnahmen von oben nach unten nach sinkender Wertigkeit
für die Gänse angeordnet sind. Die Maßnahmen in der Ebene 4 sind eher als nachteilig zu
bewerten, die der Ebenen 5 und 6 abzulehnen.
Ebene 1
Das höchste Ziel muss in einer Duldung der Vögel bestehen (vgl. Spilling 1999).
Diese würde es ihnen ermöglichen, auf möglichst großer Fläche nach eigener Wahl
ungestört zu weiden. Dabei würden sie, wenn die Erwartung zutrifft, die Flächen
extensiv nutzen, d.h. unterhalb einer Schadensschwelle von ca. 2000 Gänsetagen/ha bleiben
(Bergmann & Wille, im Druck). Zugleich würde durch fehlende Störwirkungen ihr
Energieverbrauch und entsprechend der von ihnen erzeugte Weidedruck Minimalwerte
erreichen.
Infolge der Duldung könnten Gänse durch Habituation geringe Fluchtdistanzen gegenüber
dem Menschen einhalten, was die Entwicklung eines ökonomisch gewinnträchtigen
Gänsetourismus fördern würde (Wille in Vorb.). Falls die Duldung den Landwirten nicht
zuzumuten wäre, könnte man sie durch Zahlung einer Duldungsprämie fördern. Dies wäre
besser als Ausgleichszahlungen für erlittenen Schaden zu leisten, zumal ein durch Gänse
erzeugter Ernteschaden kaum objektiv gemessen werden kann (Spilling 1999).
Ebene 2
Die Landwirte können selbst durch verschiedene Maßnahmen dazu beitragen, einen
möglichen Ernteschaden zu vermeiden oder zu vermindern. Diese Maßnahmen gehören
teilweise zum üblichen landwirtschaftlichen Vorgehen, teilweise können sie dem Landwirt
zusätzliche Kosten verursachen. Ein erstes Verfahren wäre Nutzungsänderung. In
unmittelbarer Nachbarschaft eines Gänseschlafplatzes auf einem Gewässer ist es wenig
sinnvoll, Wintergetreide anzubauen. Der Anbau von Sommergetreide könnte hier helfen,
Konfliktsituationen mit überwinternden Gänsen zu vermeiden. Sehr nützlich könnte es
auch sein, Getreide- oder Maisstoppelfelder in den Winter hinein liegenzulassen, anstelle
sie bald nach der Ernte umzupflügen. Wegen der noch verbliebenen Körnernahrung können
sie Gänsescharen eine Zeitlang binden.
Auch Zwischenfrüchte, die später als Gründüngung umgeackert werden, könnten den
Gänsen zwischendurch als Nahrungsgrundlage dienen.
Ebene 3
Um besonders empfindliche Kulturen in sensiblen Stadien der Entwicklung zu schützen,
kann man sie zeitweise durch Überspannen mit Draht schützen. In Abständen von ca. 10 m
werden Drähte zwischen Pfosten auf einer Höhe von ca. 1 m über die Fläche gespannt. Da
diese Drähte die Vögel beim Landen und Starten behindern bzw. weil sie im Wind ein
summendes Geräusch erzeugen, vermeiden die Gänse die auf diese Weise überspannten
Flächen. Dieses Verfahren wird zum Beispiel auf der holländischen Insel Texel verwendet
(Postma, mündl. Mitt.). Die Kosten werden dort vom behördlichen Naturschutz getragen,
anderenfalls müssen sie von den Landwirten übernommen werden. Dieses passive
Abwehrverfahren schränkt zwar die Wahlfreiheit der Gänse ein, kann aber vertreten
werden, wenn genügend andere Flächen für die Vögel zur Verfügung stehen.
Ebene 4
Ablenkfütterung im engeren, hier gemeinten Sinne beinhaltet ein Verfahren des
Vertragsnaturschutzes. Auf bestimmten Flächen werden entsprechend einer vorher mit dem
Landwirt getroffenen Vereinbarung die Früchte wie z.B. Getreide nicht geerntet, sondern
belassen. Sie werden dann zu einem geplanten Zeitpunkt durch Walzen für die Gänse
zugänglich gemacht. Noch extremer sind Verfahren, bei denen Getreide oder Mais direkt auf
bestimmten Nahrungsflächen für die Vögel verteilt werden. Diese Verfahren führen zu
ungewöhnlich hohen Konzentrationen von Vögeln, deren Bedeutung für das Individuum noch
nicht abgesehen werden kann. Auch ist ungewiss, in welchem Ausmaß die Vögel länger in
der Region gebunden oder sogar hierher gelockt werden, was im Sinne der Landwirtschaft
eher kontraproduktiv sein könnte. Wiederholtes Verscheuchen kostet den Landwirt Energie
bzw. Zeit bzw. Geld, führt aber nur zu kleinräumiger Verlagerung des Problems und ist
nur wenig wirksam (Percival et al. 1997) . Auch kostet es die Vögel zusätzliche Energie,
deren Verlust sie durch zusätzliches Fressen wieder gutmachen müssen.
Ebenen 5 und 6
Sowohl der Abschuss zum Zweck des Vertreibens als auch derjenige zur Reduktion der
Gänsepopulation widersprechen den oben genannten Schutzzielen. Sie müssen durch
Jagdausübungsberechtigte vorgenommen werden, da Gänse zum größten Teil jagdbare
Vogelarten sind. Müßte diese Jagdausübung bezahlt werden, wäre sie als Maßnahme
teuer. Zudem mögen sich Jäger ungern als Helfer in der Landwirtschaft betätigen.
Schließlich hat die Bejagung der Vögel zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen. Solange
noch mit Bleischrot geschossen wird, führt das dazu, dass viele Vögel nur verletzt
werden und mit Blei im Körper allmählich dahinsiechen (Übersicht bei Ridder 1999).
Außerdem wird viel Blei in der Landschaft konzentriert, was wiederum direkt oder indirekt
in der Nahrungskette aufgenommen und transportiert zu weiteren Vergiftungen bis hin zum
Menschen führen kann. Zusätzlich führt der Abschuss zu großer Scheu der überlebenden
Vögeln. Sie verbrauchen, wie oben geschildert, mehr Energie und Nahrung und suchen sie
auf kleinerer ungestörter Fläche. Abschuss führt daher zu verringerter Kapazität der
Landschaft für die Vögel und ist kontraproduktiv aus der Sicht des Landwirts (Bergmann
& Wille in Vorb.).
Die genannten Maßnahmen können in ähnlicher Weise auch gegenüber Schwänen und
Kranichen eingesetzt werden. Wirkungslose Maßnahmen oder solche mit nur kurzfristiger
Wirkung gibt es auch. Dazu gehören Vogelscheuchen aller Art (Abb. 2). Sie schaden weder
den Vögeln noch helfen sie dem Landwirt, können aber in der Landschaft für sensible
Menschen lästig werden, besonders wenn sie in Form von Knallapparaten Geräusch erzeugen.
Literatur
Balkenhol, B., H.-H.
Bergmann, R. Hollländer und M. Stock (1984): Über den Einfluß von Gänsekot
auf die Vegetation von Grünflächen. Ökol. Vögel 6: 223-247
Madsen, J., G. Cracknell & T. Fox (Eds., 1999): Goose populations of
the western Palearctic. Wetlands Int. Publ., Wageningen and Kalö
Mooij, J.H. (1991): Hunting - a questionable method to regulate
goose-damage. Ardea79: 219-224
Percival, S.M., Y. Halpin & D.C. Huston (1997): Managing the
distribution of barnacle geese on Islay, Scotland, through deliberate human disturbance.
Biol. Conserv. 82: 273-277
Ridder, K. (1999): Gänsejagd und ihre Auswirkungen. Staatsexamensarbeit
Universität Osnabrück
Rutschke, E. (1987): Die Wildgänse Europas. Akademie Verlag, Berlin
Spilling, E. (1999): Optionen beim Umgang mit Gänseproblemen.
Naturschutz und Landschaftsplanung 31: 244-246
Spilling, E., H.-H. Bergmann & M. Meier (1999): Truppgrößen bei
weidenden Bläß- und Saatgänsen (Anser albifrons, A. fabalis) and der Unteren
Mittelelbe und ihr Einfluß auf Fluchtdistanz und Zeitbudget. J. Ornithol. 140: 325-344 |