Agenda 21 – Kinderdorf

Ergebnisse eines Projekts zur Konzeptentwicklung für ein Agenda 21 – Kinderdorfs im Regionalen Umweltzentrum Gut Sunder

Warum Agenda 21?

Die Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung (UNCED) vom 3.-14. Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete mit der Agenda 21 einen globalen Aktionsplan, der in 40 Kapiteln die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme, denen die Weltgemeinschaft an der Schwelle zum 21. Jahrhundert gegenübersteht, aufzeigt.

Kapitel 25 der Agenda 21 fordert, Kinder auf allen für sie relevanten Ebenen aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und sicherzustellen, daß ihnen eine sichere, gesunde und damit lebenswerte Zukunft geboten wird. Kinder sollen als angehende Erwachsene an der Gestaltung ihrer Lebensräume beteiligt werden.

Die umweltpädagogische Vision

Die in fast 15 Jahren außerschulischer Umweltbildungsarbeit auf Gut Sunder gewonnenen Erfahrungen zeigen, daß es selbst bei einem in der Regel fünftägigen Aufenthalt außerordentlich schwierig ist, Schüler mit Fragen der nachhaltigen Nutzung, dem schonenden Umgang mit Ressourcen, des Schutzes und der Nutzung der Biodiversität u.a. vertraut zu machen. Die Hauptursache für diese Schwierigkeit besteht unseres Erachtens darin, daß es unter den vorhandenen gesellschaftlichen Bedingungen im allgemeinen und den strukturellen Bedingungen des Zentrums im besonderen kaum möglich ist, für die Schüler und Schülerinnen hautnah erlebbar zu machen, was es heißt, Ressourcen nachhaltig und schonend zu nutzen. Umweltwechselwirkungen können aufgrund langer und schwer überschaubarer Prozeßwege in der Regel nur in Ausschnitten und nur selten in ihrer Gesamtheit erfaßt werden.

Heizwärme, Strom oder warmes Wasser stehen den Schülern beispielsweise unbegrenzt zur Verfügung. Der Einkauf und die Zubereitung der Lebensmittel erfolgt durch das Küchenpersonal. Reinigungskräfte beseitigen die Verschmutzungen. Selbst kleine Schäden repariert der Hausmeister.

Eine gedankenlose, häufig über das erforderliche Maß hinausgehende Inanspruchnahme der vorhandenen Ressourcen ist die Folge. Strom wird nicht als kostbar empfunden, da er nicht selbst erzeugt, sondern ad libidum über die Steckdose zur Verfügung steht. Auch Trinkwasser strömt in hoher Qualität und scheinbar unbegrenzt aus den Leitungen. Gründe zum Sparen werden nicht unmittelbar deutlich. Und mit Einleitung des Abwassers in die Kanalisation ent-„sorgt" sich auch die Verantwortung für die Reinhaltung der Gewässer und den Schutz des Trinkwassers.

Anders sähe es sicherlich aus, wenn der Strom für das mitgebrachte Radio aus eigener Kraft erzeugen müsste (z.B. durch Windräder), man selbst dafür verantwortlich wäre, warmes Wasser zu produzieren (z.B. durch Solaranlagen) oder die beschädigte Unterkunft ohne aufwendige technische Hilfsmittel mit einfachen Mittel selbst repariert werden könnte (z.B. mit Lehm und Stroh).

Aus den vorgenannten Überlegungen erwuchs die Idee eines Umweltzentrum der kurzen Prozesse, daß die technischen und infrastrukturellen Bedingungen schafft, unter denen Schüler unter pädagogischer Anleitung und im überschaubaren und begreifbaren Rahmen des Zentrums Verständnis für Kreislauf- und Nachhaltigkeitsdenken entwickeln und zu aktivem Tun gelenkt werden können.

"Agenda 21 macht Spaß" oder "Agenda 21 ist keine Hexerei" sollte das Motto dieses Zentrums lauten, das den Kinder zwar nur für den begrenzten Zeitraum mehrerer Tage, dafür aber mit hoher Intensität die Herausforderung bietet, in den Betrieb, die Instandhaltung und die Weiterentwicklung der Einrichtung einbezogen zu sein und Einblicke in die Wechselbeziehungen von eigenem Handeln und Umweltauswirkungen gewinnen zu können.

Darüber hinaus müssten hinreichend Natur-Spielräume zur Verfügung, die den Kindern nicht nur die Möglichkeit zum Beobachten von Tieren und Pflanzen oder zum Bewundern von Naturerscheinungen geben, sondern ihnen gleichzeitig helfen, ihr sinnliches Wahrnehmungsvermögen zu verbessern, eigene motorische Fähigkeiten zu trainieren, Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl aufzubauen, Kreativität und Phantasie zu schulen und lernen, Gefahren einzuschätzen.

Damit würde das Umweltzentrum nicht ein Auslaufmodell, sondern ein Prototyp für die Bewältigung der Zukunft. Es wäre die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.

Von der Vision zum Plan

Dank der Unterstützung der Niedersächsischen Umweltstiftung war es möglich, die von umweltpädagogischer Seite skizzierten „Visionen" in Zusammenarbeit mit Doz. Dr.-Ing. habil Coers von der Dozentur für Umweltprobleme des Bauens der Fakultät Bauingenieurwesen der TU Dresden auf eine planerische Ebene zu übertragen und ihre Machbarkeit unter technischen, baurechtlichen und finanziellen Gesichtspunkten zu prüfen. Der räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Regionalen Umweltzentrums Gut Sunder stellten dabei zwar den „planerischen Hintergrund" dar, gleichzeitig sollte aber auch die weitgehende Übertragbarkeit der modellhaft entwickelten Ergebnisse auf andere Standorte möglich bleiben.

Das Agenda 21-Kinderdorf

Die kleinste organisatorische, strukturelle und räumliche Einheit, in der kulturelle sowie soziale, legislative, wirtschaftliche und private Elemente als auch energetisch sowie stofflich notwendige Ein- und Austräge integriert sind, und in der Prozesse im Sinne der lokalen Agenda 21 erlebt werden können, ist das Dorf. Es liegt daher nahe, daß "Agenda 21-Trainingszentrum" als Dorf zu gestalten.

Das Agenda 21-Dorf  umfaßt einschließlich der Spiel- und Rückzugsbereiche eine Fläche von ca. 2000 m2, eignet sich für den mehrtägigen Aufenthalt von 25 bis 30 Grundschul- und Orientierungsstufenschülern und ist in der Zeit von April bis Oktober nutzbar. Möglichkeiten für eine Winternutzung (Heizung) sind nicht vorgesehen.

Ein erhöhter Spiel- und Erlebnisplatz bildet das Dorfzentrum, da diese Funktionen für die zukünftigen Dorfbewohner von besonderem Interesse sind. Um das Zentrum herum sind das Gemeinschaftshaus, das zum Speisen, für Veranstaltungen, für gemeinsame Bastel- und ähnliche Arbeiten vorgesehen ist, sowie die Einrichtungen für situationsorientiertes Erleben und Lernen (z.B. Baustelle, Gärtnerei, Abfallstation) angeordnet. Im weiteren Umkreis befinden sich die einzelnen Wohnhütten und Rückzugsbereiche.

Sieben Fachwerkhäuser in eingeschossiger Holzständerkonstruktion stellen die Gebäudesubstanz des Dorfs dar. Umgeben von einem Weidenzaun und nur über ein „offizielles Tor" zugänglich, bilden fünf je 25 m2 große Gebäude, die als Wohnhütten für Schüler und Lehrer dienen, und ein Gemeinschaftshaus den eigentlichen Dorfkern. Die Aussenwände der Gebäude bestehen aus einem Mauerwerk aus Strohleichtlehmziegeln, die sich gut für den Selbstbau eignen und demzufolge von den Kindern unter Anleitung hergestellt bzw. repariert werden können. Für die Fußbodenoberflächen finden Holzdielen, Holzplaster oder gestampfter Lehm Verwendung. Die Auswahl möglichst natürlicher und vor Ort verfügbarer Baumaterialien entspricht dem Bedürfnis nach gesundem Bauen und Wohnen, die Ausführung in Fachwerkbauweise trägt zudem dem Landschaftsbild Rechnung.

Um dem Ziel er nachhaltigen Nutzung gerecht zu werden, wird das auf den Dachflächen anfallenden Regenwasser gesammelt werden, um dann z.B. auf der Baustelle, im Garten oder auf dem Spielplatz genutzt werden. Die Abfallstation, in der Abfälle gesammelt, sortiert und nach Möglichkeit recycelt werden, ist mit einem ein Gründach eingedeckt, um den Kindern diese Variante eines umweltfreundlichen Daches näherzubringen und um einen besseren Übergang vom Dorf zur Umgebung herzustellen.

Eine oberirdische Zisterne ermöglicht den Dorfbewohnern das Auffangen von Regenwasser und ein Brunnen mit Handpumpe stellt Grundwasser zur Verfügung. Das Wasser wird u.a. zum Vorspülen der Eßgeschirre oder zum Händewaschen verwendet. Die Reinigung des verschmutzten Wassers (ca. 300 l pro Tag) realisiert eine kleine Pflanzenkläranlage, die von den Kindern betreut wird und deren Reinigungswirkung mit einfachen chemischen, physikalischen Methoden kontrolliert wird.

Die Versorgung mit elektrischer Energie erfolgt grundsätzlich über regenerative Energiequellen. Der Gesamtverbrauch von 67,9 kWh pro Monat (24 V DC Verbraucher) und 165,4 kWh pro Monat (230 V AC Abnehmer) wird durch ein aus Schrotteilen selbst hergestelltes Windrad mit Windsteuerfahne auf dem Dach der Werkstatt, ein aus Holz gefertiges Wasserrad mit Generator und eine Solaranlage aus ebenfalls selbstgefertigten Serpentinenkollektoren sichergestellt.

Wichtiger Bestandteil des Kinderdorfs ist ein Spielgelände, das im wesentlichen aus den Elementen Teich, Hügel, Garten, Spielwiese und Baustelle besteht. Hecken und Weidengeflechte trennen die Bereiche untereinander ab und schaffen „Spielräume". Hier finden sich verschiedene Installationen, die im Vorübergehen berührt werden können: ein schmaler Durchgang aus Rundhölzern, eine Drehtür, ein aus der Erde herausragender Stumpf zum Bockspringen, Trittstellen aus Holz und Keramik, eigenartige Gerüche aus Duftkästen, eine Wandtafel zum Malen, ein mit Wasser gefüllter muldenartig geformter Stein usw. Ein hölzernes Modellgerinne, das mit Wasser aus der Regenwasserzisterne gespeist wird, lädt zum Experimentieren ein. Ställe für die von den Kindern betreuten Kleintiere wie Hühner oder Gänse gehören ebenfalls dazu. Im „Kindergarten" befinden sich darüber hinaus ebenerdige Beete, Hochbeete, Kräuterspirale, Hügelbeet, Kraterbeet oder eine Streuobstwiese. Hier werden als Ergänzung zur bereitgestellten Verpflegung leckere und gesunde Lebensmittel von den Schülern selbst erzeugt. Auch ein Gartenhaus und der Kompost sind hier zu finden. Die Baustelle bzw. die Werkstatt erfüllt nicht nur Spielfunktionen, sondern dient auch der Vorbereitung notwendiger Instandhaltungen und Reparaturen auf dem Spielgelände oder innerhalb des Dorfs.

"Ihr seid die Zeit - seid ihr gut, sind die Zeiten gut!"

Das konzipierte Kinderdorf würde - sofern es eines Tages realisiert werden sollte - vermutlich in bislang einzigartiger Weise Möglichkeiten bieten, damit Kinder in dem für sie überschaubaren und begreifbaren Rahmen eines kleines Dorfes Verständnis für Kreislauf- und Nachhaltigkeitsdenken entwickeln können, was letztendlich der Intention der "Agenda 21" entspreche. Es wäre eine kindgerechte kleine Welt, in der die zukünftige große Welt der Erwachsenen ihre Probe hielte.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

Danksagung
Die NABU-Akademie Gut Sunder und das Regionale Umweltzentrum danken der Niedersächsischen Umweltstiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung des Vorhabens.

Unser herzlicher Dank gebührt ferner Herrn Doz. Dr.-Ing. habil. Coers von der Dozentur für Umweltprobleme des Bauens der Fakultät Bauingenieurwesen der TU Dresden sowie den Studierenden Claudia Cawaleck, Manuela Werner und Thomas König, die im Rahmen ihrer Semesterarbeit mit viel Engagement unsere Visionen zum Plan werden ließen.