Die Wiederherstellung dynamischer Prozesse in Flußlandschaften - eine Herausforderung |
Ergebnisse eines Seminars vom 14.11. bis 15.11.1998 |
Während Jahrtausenden bestimmten die Flüsse ihren Lauf
selber. Mit eindrücklicher Dynamik gestalteten sie ein vielfältiges Landschaftsbild und
schufen gleichzeitig ein kleinräumiges Mosaik unterschiedlicher Lebensräume. Natürliche
Flußlandschaften beherbergen entsprechend eine außerordentliche Vielfalt verschiedenster
Lebensformen - von Bewohnern stehender oder fliessender Gewässer über jene in
schattig-feuchten Wäldern bis zu Tieren und Pflanzen auf extrem heiss-trockenen
Sandbänken und Kiesfluren. Seit Jahrhunderten kämpft der Mensch gegen die
Verwilderung seiner Lebensräume" an. Den kulturhistorisch gewachsenen
Interessen wie Berechenbarkeit und Regelbarkeit, Nutzungsansprüchen, Wertsteigerung und
Raumbedarf stehen insbesondere wilde Flußsysteme mit der für sie typischen
Unbeständigkeit und Unvorhersagbarkeit entgegen. Die Lebensräume der Flußlandschaften mit ihren spezifischen Arteninventaren sind bis auf kleinste Restbestände aus der mitteleuropäischen Kulturlandschaft verdrängt worden. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Eingriffe in vielen Fällen ihre volle Wirkung erst allmählich entfalten. Darüber hinaus erfolgen die Eingriffe ständig aufs Neue. So zwingt allein der Trend zu größeren Schiffseinheiten und größeren Abladetiefen förmlich zu weiterem Ausbau der Flüsse. Muß der Fortbestand der wenigen naturnahen Fließgewässer- und Aueökosysteme deshalb langfristig pessimistisch beurteilt werden? Oder sind Konzepte denkbar, die zumindest für repräsentative Flußlandschaften die Wiederherstellung der natürlichen Fließgewässerdynamik und regelmäßiger großräumiger Überflutungen der Aue realisierbar machen? Ziel der Veranstaltung war es, am Beispiel verschiedener Flüsse die Chancen der Revitalisierung dynamischer Prozesse zu erörtern sowie nach realisierbaren Strategien und Konzepten zu suchen. Totholz und Hochwasser ein Muß für dynamische Flußlandschaften Seit mehreren hundert Jahren führt der Mensch in Mitteleuropa einen intensiven Kampf gegen Flüsse mit ihren unbändigen und unberechenbaren Hochwässern. Stauanlagen und Längsverbauungen sollten den Flüssen die Kraft nehmen und sie in kalkulierbare Bahnen außerhalb der ehemaligen Aue zwängen. Die oft kilometerbreiten Überschwemmungsbereiche mit ihren komplexen Lebensraumgefügen haben Siedlungen, Industrieanlagen oder der Intensivlandwirtschaft Platz gemacht, und die ursprüngliche Dynamik als wesentliches Charakteristikum der Aue ist verschwunden. Die Entkopplung von Fluß und Aue und der Verlust der Dynamik bedeutete, so Dr. Reich (Universität Marburg) in seinem einleitenden Beitrag, das Ende der Sand- und Kiesbänke und des Holzes im Fluß. Zusammen mit der abnehmenden Wasserqualität gaben diese Eingriffe vielen Tier- und Pflanzenarten und Lebensräumen der Flußlandschaften den Gnadenstoß. Dort, wo die Natur noch halbwegs in Ordnung ist, wie zum Beispiel in den von Reich untersuchten Gewässern des nordhessischen Berglandes, kommen bis zu 70 Kiesbänke auf einen Kilometer Gewässerlänge. Gleiches gilt für das Totholz, das erst bei Hochwasser seine gestaltende Kraft entfaltet und unter naturnahen Bedingungen von Gehölzen der Auwälder bereitgestellt wird. Während es in naturfernen Flüssen und Bächen fast vollständig fehlt, sind naturnahe Gewässer mit bis 25m3/100 m Gewässerlauf ausgesprochen reich an Treibhölzern. Stauanlagen, die den Wasserabfluß regeln, und Längsbauwerke, die den Wasserabfluß auf ein Hauptgerinne einengen, nehmen dem Wasser die gestaltende Kraft. Ziel der Redynamisierung muß sein, diese Situation so weit wie möglich umzukehren. Der Rückbau der Stauanlagen ermöglicht den im Jahreslauf unbeeinflußten Wasser- und Geschiebetransport. Der Abfluß von Spitzenhochwässern, die von herausragender Bedeutung für die Ausgestaltung der Gewässermorphologie sind, muß wieder möglich werden. Mit der Beseitigung der Längsbauwerke erhält der Fluß den Raum in der Aue zurück, den er zur Ausbildung eines naturnahen Fließverhaltens benötigt. Kies- und Sandbänke stellen für viele Fischarten wichtige und unersetzbare Lebensraumstrukuren dar. Von Landwüst (Bundesanstalt für Gewässerkunde), der in seinem Beitrag die Situation der Flußlandschaften aus fischökologischer Sicht beleuchtete, verwies in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die nachteiligen Auswirkungen des Quer- und Längsverbaus der Flüsse. Im Rheinsystem beispielsweise sind gerade die Nebengewässer wie die Mosel stark durch Querbauwerke beeinträchtigt. Daraus resultieren für die Fischpopulationen negative Verinselungseffekte. Wanderfischen wie den Lachsen verwehren die vier bis sechs Meter hohen Staustufen den Aufstieg in die Laichgebiete. Doch selbst für mehr oder weniger stationäre Fischarten bedeutet der Verbau der Flüsse erhebliche Lebensraumverluste. So war die Nase (Chondrostoma nasus) früher ein weit verbreiteter und für die Berufsfischerei bedeutsamer Fisch. Er meist in Bodennähe lebend Schwarmfisch laicht in der Regel nur auf überströmtem Kiesgrund und die Jungfische wachsen bevorzugt in den flachen Uferbereichen des Stroms auf. Als Folge der flußbautechnischen Eingriffe zählt die Nase heute zu den gefährdeten Arten. "Natur in die Aue Landwirtschaft hinter den Deich" lautet das Motto, das seit Ende der achtziger Jahre unter niederländischen Naturschützern Kreise zieht. In intensiver Kooperation mit allen Flußinteressenten" (Rohstoffgewinnung, Schiffahrt, Hochwasserschutz, Fremdenverkehr, Landwirtschaft usw.) sollte es gelingen, so die Idee, Wege zu finden, die unter Beibehaltung von Binnenschiffahrt und Bodenabbau die ökologische Wiederbelebung der Flußlandschaften ermöglichen würden. Erste Erfahrungen mit der Wiederherstellung dynamischer Flußlandschaften ergaben sich am Niederrhein. Natürlicherweise sedimentieren Ton und Sand im Unterlauf des Rheins zu dicken Schichten. Begünstigt wurde dieser Vorgang durch die im 14. Jhrdt erfolgte Eindeichung mit Sommer- und Winterdeichen. In den Becken" zwischen den Sommer- und Winterdeichen bildeten sich über die Jahrhunderte hinweg Tonschichten von zwei bis drei Metern Mächtigkeit. Im Rahmen der Redynamisierungsmaßnahmen kaufen die niederländischen Wasser- und Schiffahrtsbehörden in großem Maßstab ehemalige Aueflächen an. Nach der Beseitigung Sommerdeiche gräbt die Tonindustrie, als einer der wichtigsten Partner des Naturschutzes den Ton bis auf die Sandschichten ab. Der Abtrag der nivellierenden Tonschichten erfolgt nicht in Gruben, sondern durch das reliefgetreue Pellen" vom sandigen Untergrund. Die alten Profile von Rinnen und Rücken treten wieder zu Tage. Das Ergebnis ist ein asymetrisches Querprofil mit dem steilsten Ufer an der Außenkrümmung. Dieses Profil läßt bei Niedrigwasser nur wenig Wasser durch, bei Hochwasser erfüllt es hingegen die Abflußanforderungen der Flußgebietsplaner in vollem Umfang. Nicht selten liegen die alten Flußläufe unmittelbar am Winterdeich. Aus Gründen des Deichschutzes verzichtet man in diesen Fällen auf die Tonentnahme unterhalb des Dammfußes. Aufgrund der ursprünglichen Breite der Nebenarme von bis zu einigen hundert Metern ergeben sich für den Naturschutz daraus keine nachteiligen Wirkungen. Andererseits tragen die dicken Tonlager am Prallhang zu dessen Stabilität bei Hochwasserabflüssen bei. Die Nebenrinnen entziehen dem Rhein sedimentarmes Wasser. Dadurch erhöht sich die Sedimentation innerhalb des Hauptstroms und eine weitere Sohlerosion wird verhindert. In Kombination mit den Abgrabungen und der reduzierten Verschlammung ergeben sich bei Niedrigwasser nässere Auen, während die Hochwasserstände gesenkt werden. Die Nebenrinnen werden der Naturentwicklung (Sukzession) überlassen. So bleiben beispielsweise Sinkhölzer liegen und der periodische Wechsel von Überflutung und Trockenfallen wird möglich. Es entsteht eine dynamische Flußlandschaft mit einem kleinräumigen Wechsel aus durchströmten Rinnen und trockenliegenden Dünen. Die ersten Erfahrungen belegen die schnell einsetzende Besiedlung mit Wasserorganismen recht schnell wieder einsetzt. Im Gegensatz zum Rhein ist die Maas in erheblichem Maße durch Stauregulierung beeinflußt. Diese Situation ist aus Gründen der Schiffahrt und der Energiegewinnung auf absehbare Zeit unveränderbar. Chancen für die Renaturierung und die Wiederherstellung einer naturnahen Abflußdynamik bieten lediglich die 5 bis 8 km langen Umflutgerinne der Stauanlagen. Auch an der Maas fand in der Vergangenheit eine erhebliche Tonsedimentation statt. Der abgelagerte Ton eignet sich jedoch nicht zur Herstellung von Dachziegeln und Backsteinen, so daß die Tonindustrie nicht als Partner gewonnen werden konnte. Ziel des Naturschutzes ist es daher, die Nebenrinnen nicht in voller Länge abzugraben, sondern lediglich Initiale zu setzen, die dann durch Tiefenerosion weitergeführt und ausgestaltet werden. Zusätzlich ist die Anlage von Hochwasserrinnen, die wie Blinddärme" stromabwärts am Gleithang an das Hauptgerinne der Maas angeschlossen werden, geplant. Gespeist werden die nur bei Hochwasser durchströmten Rinnen u.a. durch Grundwasser. Mit den Hochwasserrinnen soll eine Reduktion des Hochwasserproblems um 60% erreicht werden. Die Renaturierung der Grenzmaas zwischen Maastricht und Stevensweert stellt für den niederländischen Naturschutz eine besondere Herausforderung dar. Die Grenzmaas ist praktisch schon auf 50 km Länge ein Nebengerinne der Limburger Schiffahrtskanäle. Der Fluß ist bis zu acht Metern unter Geländeniveau canjon"-artig in die Landschaft eingetieft. In diesen Bereichen soll die Kiesindustrie einen Großteil der Kiesablagerungen abgraben und eine rund 300 m breite Flußaue wiederherstellen. Damit der Fluß breiter und langfristig flacher wird, soll die Ufererosion durch Entfernen der Uferverbauung gefördert werden. Ebenso wie an Rhein und Maas soll auch das neue Gerinne der Grenzmaas der natürlichen Dynamik und Naturentwicklung überlassen werden. Nach erfolgreichem Abschluß der bereits begonnenen und der Realisierung weiterer geplanter Maßnahmen stehen in den Niederlanden wieder naturnahe Flußabschnitte mit einer Länge von mehr als 400 km zur Verfügung. Ökologische Gesamtplanung Weser Die Renaturierungsmaßnahmen an der Fulda, die Heinrich Wacker (Rotenburg/Fulda) in seinem Beitrag vorstellte, finden im Rahmen der Ökologischen Gesamtplanung Weser statt. Das Gesamtvorhaben entwirft ein Handlungskonzept, mit dem die entwickelten Leitbilder so weit wie möglich erreicht werden sollen. Das Ziel des Handlungskonzepts ist es, die ökologischen Funktionen der Flußauen und Fließgewässer für Lebewesen und Pflanzen so weit wie möglich wiederherzustellen. Die Fließgewässer sollen durchgängig gemacht werden, damit früher im Wesersystem heimische Wanderfische und Kleinstlebewesen wieder Lebensräume finden können. Die Maßnahmen zur Rückgewinnung oder Wiederherstellung der Auen zielen zudem auf einen umweltgerechten Hochwasserschutz ab. Zum Projektgebiet gehören im Kreis Hersfeld-Rotenburg 3.500 ha Auenlandschaft, in der Gemeinde Niederaula 750 ha und weitere 60 ha Flußauenrenaturierung befinden sich unterhalb der Stadt Rotenburg. Vorgesehen sind hier in erster Linie die möglichst weitgehende Wiederherstellung oder Umgestaltung der früheren Auen. Positive Voraussetzung für das Vorhaben ist eine weitgehend erhalten gebliebene naturnahe Abflußdynamik. Stauhaltungen existieren lediglich im Unterlauf außerhalb des Projektgebietes. Darüber hinaus steht die Fulda im gesamten Projektbereich als Gewässer I. Ordnung im Eigentum des Bundes. Die Fulda ist im Projektgebiet als Bundeswasserstraße entwidmet worden. Wo immer möglich wird die Arbeit dem Fluß überlassen. Die Projektbereiche im Abschnitt der ehemaligen Bundeswasserstraße werden nicht mehr unterhalten. Die Akzeptanz in Bevölkerung und Politik ist gut, da hier der Naturschutz die Situation des Hochwasserschutzes konkret verbessert. Deichrückverlegung ein Weg zur Renaturierung und Erhaltung wertvoller Flußlandschaften? Zu den wenigen in einem gewissen Zustand der Naturnähe verbliebenen Flüssen Mitteleuropas zählt die Elbe. Doch auch die rezente Elbaue stellt eine weitestgehend anthropogen genutzte Landschaft dar, die seit Jahrhunderten sehr stark durch Hochwasserschutzdeiche geprägt worden ist. Mindestens 80% der Überflutungsauen gingen dadurch verloren. Durch die Rückverlegung der Deiche, so das von Karl-Heinz-Jährling (Königsborn) vorgestellte Konzept, sollte es möglich sein, der Elbe allein in Sachsen-Anhalt wieder rund 3.500 ha des ehemaligen Überflutungsraums als dynamisch aktive Hochflutaue zur Verfügung zu stellen. Auch die anderen der Elbe anliegenden Bundesländer (z.B. Brandenburg) sehen entsprechende Maßnahmen vor. Da faktisch keine Erfahrungen mit der großflächigen Rückverlegung von Deichen vorliegen, befassen sich zur Zeit verschiedene Landesprojekte und ein BMBF-Verbund-Forschungsvorhaben mit den Möglichkeiten und Grenzen der ökologischen Optimierung und Reaktivierung von Altauenbereichen durch Deichrückverlegung. Der Klärung bedürfen u.a. Fragen des Wiederanschlusses alter Mäander oder der Anbindung vorhandener Hartholzauenfragmente an die aktive Aue. Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit Aspekten der Biotopentwicklung vor und nach der Rückverlegung. Gewässerrandstreifen für die untere Havel Am Beispiel der Havel erläuterte Rocco Buchta (NABU-Projektgruppe "Lebendige Flüsse") die NABU-Konzepte zur Wiederherstellung dynamischer Flußlandschaften. Die untere Havel ist mit den angrenzenden großen Luchgebieten Teil des größten Binnenfeuchtgebietes im westlichen Mitteleuropa. Auf 57 km Länge durchfließt die hier noch mäandrierende Havel den Naturpark. Nacheiszeitlich übte die Elbe einen großen Einfluß aus. Mehrere Hauptarme durchflossen die heutige Havelniederung. Durch den Deichbau an der Elbe im 12. Jahrhundert wurde der Durchfluß von Elbwasser unterbunden, bei Elbhochwasser erfolgte aber weiterhin ein Rückstau der Havel bis in die Niederungen der Luche und die Havel stromaufwärts bis Rathenow. Dieses förderte, zusammen mit ständig hohem Grundwasserstand, die Niedermoorbildung. Erst ab 1875 wurde mit der planmäßigen Regulierung der Havel begonnen und in den großen Urwäldern zwischen Rhinow und Rathenow konnte man sich um 1900 noch verlaufen. Das geplante Gewässerrandstreifenprojekt bezieht die natürlichen Retentionsräume ein und umfaßt in den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg ca. 54.000 ha. Die Ziele des Projekts sind die Entwicklung einer naturnahen Flußlandschaft innerhalb der rezenten Aue, die Verbesserung der ökologischen Situation der angrenzenden Feuchtlebensräume und die Verbesserung des Biotopverbunds zwischen Elbe und Oder sowie zwischen Gewässer und Hinterland. Verwirklicht werden sollen die Ziele u.a. durch Maßnahmen zur Uferentsiegelung, zur Verbesserung der Durchgängigkeit bei Querverbauungen sowie zur Anbindung von Altarmen. Die vorgesehenen Maßnahmen zur Strukturverbesserung berücksichtigen die Belange des Hochwasserschutzes ebenso wie die der Binnenschiffahrt. Kleckern oder Klotzen? Die Wiederherstellung dynamischer Prozesse in Flußlandschaften ist in erster Linie keine Frage der ökologischen oder naturschutzfachlichen Machbarkeit. Die erforderlichen Instrumente und Methoden sind vorhanden und in verschiedenen Projekten oder Forschungsvorhaben mehr oder weniger umfangreich erprobt. Die Beispiele zeigen, daß eine großräumige Regeneration, wenn auch mit gewissen Abstrichen, unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten grundsätzlich möglich ist. Dennoch sind wir in Deutschland von der Verwirklichung derartiger Projekte in großräumigem Maßstab zur Zeit weit entfernt. Über Jahrhunderte hinweg war es das Bestreben der Gesellschaft, den Flüssen nicht mehr Raum zu geben, als zum Zwecke der Schiffahrt, des Hochwasserschutzes, der Abwasserbeseitigung oder der Trinkwassergewinnung unbedingt erforderlich. Nach Hochwasserfreilegung rückten Ortschaften, Straßen und Industrieanlagen eng an die Flüsse heran. Das primäre Ziel der Renaturierungsvorhaben besteht daher in der Rückgewinnung von Auenlandschaft bzw. Überflutungsraum sowie in die Wiederbelebung der Systemfunktionen. Zwingende Voraussetzung dafür ist der Abgleich mit konkurrierenden Flächennutzungen. Nur wenn es gelingt, diesen Abgleich herbeizuführen, besteht für die Flußlandschaften eine realistische Entwicklungsperspektive. Wie enorm schwierig es in der Praxis ist, diesen Abgleich herbeizuführen belegen die Beispiele von Fulda und Elbe. Auch bei optimistischer Einschätzung wird es in aller Regel kaum gelingen, die ehemals vorhandenen Überflutungsräume in großem Umfang wieder direkt an die Flüssen anzukoppeln. So geht das Land Sachsen-Anhalt davon aus, daß selbst bei großzügigen Deichrückverlegungen die Überflutungsflächen der Elbe nur von derzeit 16% auf 22% der ehemaligen, natürlichen Ausdehnung werden anwachsen können. Auch unter der Voraussetzung, daß es gelänge, einen großen Teil der erforderlichen, überwiegend in privatem Eigentum stehenden Flächen zu erwerben, wären die Probleme sicherlich nur in Teilen gelöst. Seitens der deutschen Projektbetreuer wurde wiederholt darauf verwiesen, daß sie es bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen mit sechs bis sieben Fachdienststellen und Körperschaften des Bundes, der Länder und der Kommunen zu tun hätten, die wiederum jeweils nur für sektorale Bereiche verantwortlich seien. Ein koordiniertes Zusammenwirken verschiedener Planungsebenen, über das unter Umständen sogar positive Synergieeffekte erzielt werden könnten, scheint bestenfalls die Ausnahme zu sein. So zeichnet an Bundeswasserstraßen der Bund für die Fahrrinne verantwortlich, während die begleitenden Auen in der Zuständigkeit der Länder liegen. Alles andere als förderlich sei auch der Erlaß des Bundesverkehrsministeriums, der die Bundeswasserstraßenverwaltung anweist, sich ausschließlich um verkehrliche Belange und nicht um Naturschutzfragen zu kümmern. Vergleicht man die Situation in Deutschland mit den Bedingungen in den Niederlanden, so werden gerade mit Blick auf die vorgenannten Aspekte tiefgreifende Unterschiede deutlich. In den Niederlanden begnügt man sich nicht mit der Rückgewinnung mehrerer hundert Hektar Überflutungsfläche, sondern zielt auf die Wiederbelebung der Systemfunktionen auf rund 400 km Flußlänge ab. Wasserwirtschaft, Raumordnung und Naturentwicklung arbeiten Hand in Hand an der Verwirklichung diese Aufgabe. Die Koordination des Projekts liegt in der Verantwortung einer "Integralen Flußverwaltung", deren dringlichste Aufgabe in der Erhaltung der Sicherheit auch bei höheren maßgebenden Abflüssen in Kombination mit den Landschafts-, Natur- und Kulturwerten (sogenannte LNK-Werte) sowie in der Förderung der Schiffahrtsfunktion und der Entwicklung neuer Natur besteht. Überträgt man die niederländischen Erfahrungen auf deutsche Verhältnisse, so muß die Zusammenlegung der verschiedenen Behörden und Dienststellen zu zentralen Flußgebietsmanagementdienststellen, in der alle gewässerrelevanten Angelegenheiten von der Schiffahrt über den Hochwasserschutz bis hin zum Naturschutz gebündelt sind, gefordert werden. Eine gleichlautende Forderung findet sich im übrigen auch in dem Anfang 1997 von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf zur Wasserrahmenrichtlinie, in der ein deutlicher Schwerpunkt auf die Bewirtschaftung nach Flußeinzugsgebieten sowie in der Schaffung neuer administrativer, organisatorischer und rechtlicher Instrumente gesetzt wird. Weitere Schritte Als weiteren Schritt in Richtung auf die großräumige Renaturierung von Flußsystemen sahen die Veranstaltungsteilnehmer ferner den Ankauf von Auenflächen durch den Staat an. Auch diesbezüglich erscheint die niederländische Vorgehensweise vorbildlich. Zieht man in Betracht, daß allein die Hochwässer am Rhein in den Jahren 1993 und 1995 Kosten in Höhe von rund 2 Milliarden DM verursachten, so wird deutlich, daß der Flächenankauf auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine sinnvolle Investition darstellen würde. Trotz aller Bewunderung für die niederländischen Flußentwicklungsprojekte, standen die Maßnahmen zur großräumigen Abgrabung der Tonsedimente und Kiesvorkommen auf Flußniveau auch im Mittelpunkt kritischer Diskussionen. Während einige Teilnehmer die Maßnahmen als sinnvoll und erfolgversprechend einstuften, plädierten andere für Maßnahmen zur Förderung der Seitenerosion, um auf diese Weise die Geschiebesituation positiv zu beeinflussen und der Tiefenerosion entgegenzuwirken. Befürchtet wurden auch negative Einflüsse auf die Grundwasserverhältnisse im erweiterten Randbereich der Flüsse. Da unter Langzeitgesichtspunkten weder naturschutzfachliche noch wasserbauliche Erkenntnisse über die Auswirkungen von Abgrabungen und von Maßnahmen zur Förderung der Seitenerosion vorliegen und die niederländischen Erfahrungen aufgrund der Tielflandbedingungen unter Umständen nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind, erscheint es sinnvoll, diese Aspekte im Rahmen eines naturschutzorientierten Forschungsvorhabens zu überprüfen. Zu prüfen wäre auch, ob und in wie weit sich durch die Modifizierung der Abbauverfahren der Kies-, Sand und Tonindustrie (Pellen statt tiefgründiges Abgraben) positive Beiträge für den Schutz der Flußlandschaften erzielt werden können. Ungeachtet der vorangehend ausführlicher dargestellten Maßnahmen sollten die folgenden kurz- und mittelfristigen Ziele nicht aus den Augen verloren werden:
Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder |
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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder. |