Anforderungen des Natur- und Umweltschutzes an die Regeln der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft |
Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 24. - 25. November 1997 |
Die Bedrohung der Biodiversität als Folge der derzeit
vorherrschenden landwirtschaftlichen Produktionsweisen ist ebenso eine unbestreitbare
Tatsache wie die durch den herkömmlichen Landbau verursachten Belastungen der abiotischen
Ressourcen. Während der Natur- und Umweltschutz den Schutz und die nachhaltige Nutzung
der abiotischen und biotischen Ressourcen in den Mittelpunkt seines Handelns stellt,
konzentriert sich die landwirtschaftliche Bodennutzung unter betriebswirtschaftlichen
Gesichtspunkten auf die Förderung der Kulturpflanzen und Nutztiere. Dieses führt
zwangsläufig zu Zielkonflikten zwischen Landwirtschaft und Natur- und Umweltschutz. Das
Bundesnaturschutzgesetz, dessen Novellierung andauert, hat diesen Konflikt bisher nicht
lösen können. Mit der sogenannten Landwirtschaftsklausel wurde die Landwirtschaft
privilegiert, indem davon ausgegangen wird, daß die üblichen Maßnahmen im Rahmen der
landwirtschaftlichen Bewirtschaftung im Einklang mit den Zielen des Gesetzes stehen. Mit
dem Naturschutzgesetz konform geht daher auch eine Bewirtschaftung, von der man weiß,
daß sie mit-, in Teilen sogar hauptverantwortlich für abiotische und biotische
Belastungen von Natur und Umwelt ist. Einige Beispiele: ein Drittel des Grundwassers ist
mit Pestiziden belastet, in jeder zehnten Trinkwasserprobe ist der Grenzwert für Nitrat
überschritten, 75% der Feldvogelarten befinden sich auf der Roten Liste. Die
Möglichkeit, Betreiberpflichten in das Gesetz aufzunehmen und/oder ein Form der
Landwirtschaft zu definieren, die mit den Zielen eines modernen Naturschutzes im Einklang
steht, wurde bisher nicht genutzt. Vielmehr wird in der Diskussion auf die bestehenden
landwirtschaftlichen Fachgesetze verwiesen, in denen die sogenannte gute fachliche Praxis
näher geregelt ist bzw. geregelt werden müsse. Ziel des Seminars war es, über die bestehenden Regeln der guten fachlichen Praxis zu informieren, sie im Hinblick auf die Berücksichtigung von Natur- und Umweltschutzbelangen zu prüfen sowie Anforderungen für ihre Weiterentwicklung aus Sicht des abiotischen und biotischen Ressourcenschutzes zu formulieren. Die Novellierung des Bundesbodenschutz- und des Pflanzenschutzgesetzes, die Notwendigkeit zur Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland und nicht zuletzt die von der EU-Kommission vorgeschlagenen "horizontalen Maßnahmen" (u.a. Kopplung der Agrarförderung an Umweltauflagen) im Rahmen der AGENDA 2000 ließen die Erörterung des Themas sinnvoll und notwendig erscheinen. Der Versuch, die gute fachliche Praxis zu beschreiben bzw. gesetzlich zu verankern ist eine aktuelle Herausforderung. Die Regeln der guten fachlichen Praxis Die Regeln der guten fachlichen Praxis fanden in der Vergangenheit kaum Eingang in die naturschutzfachliche Diskussion. Zentrales Anliegen der Veranstaltung war es deshalb, zunächst einmal einen Überblick über die Regeln der guten fachlichen Praxis aus berufsständischer und fachrechtlicher Sicht zu geben. Da der Begriff gute fachliche Praxis häufig synonym mit ordnungsgemäßer Landwirtschaft verwendet wird, nahm BERND SÖHNLEIN in seinem Beitrag zunächst einen juristischen Vergleich beider Begriffe vor. Ordnungsgemäße Landwirtschaft definiert sich demnach als eine der Rechtsordnung gemäße Landnutzung. Aufgrund der Vielzahl möglicher landwirtschaftlicher Betätigungsfelder und Betriebsformen läßt der ordnungspolitische Rahmen dem einzelnen Landwirt dabei hinreichend Spielraum zur Ausgestaltung seines betrieblichen Alltags. Die gute fachliche Praxis führte hingegen als Rechtsbegriff lange Zeit ein Schattendasein im Pflanzenschutzrecht. Erst in den letzten Jahren fand sie u.a. Eingang in das Düngemittelgesetz, die Dünge-VO, das Kreislaufwirtschaftsgesetz oder den Entwurf des Bundesbodenschutzgesetz. Als unbestimmter Rechtsbegriff ordnet sich die gute fachliche Praxis der ordnungsgemäßen Landwirtschaft unter. Beide Begriffe sind daher nicht deckungsgleich. Wird die gute fachliche Praxis außerhalb des Ordnungsrechts verwendet, so definiert sie sich in erster Linie berufsständisch - sozusagen als die "goldenen Regeln" des bäuerlichen Berufsstandes. Die Landwirte in Deutschland würden täglich beweisen, so HANS LESER vom Deutschen Bauernverband, daß sie aufgrund ihres hohen Ausbildungsstandes und eines intensiven Informations- und Beratungsangebotes die gute fachliche Praxis beherrschten und auch in der betrieblichen Praxis umsetzten. Die gute fachliche Praxis sei aber nicht die "StVO der Landwirtschaft". Eine Auslegung im Sinne von Betreiberpflichten, was einer Bevormundung der Landwirte gleich zu setzen wäre, wäre daher nicht möglich und auch nicht gewollt. Im übrigen hätten die Landwirte ein stark ausgeprägtes Eigeninteresse an der Beachtung der guten fachlichen Praxis, da sie den Rahmen für den ökonomischen Erfolg bilden würden. Leser verwies darauf, daß die gute fachliche Praxis sich grundsätzlich nicht nach Betriebstypen differenzieren lasse. Sie gelte für herkömmlich wirtschaftende Landwirte ebenso wie für Biobauern. WILFRIED DREYER vom Ökoring Walsrode sah hingegen für die biologisch arbeitenden Betriebe in den Richtlinien des ökologischen Landbaus eine wesentlich tauglichere Zielvorgabe als in denen der guten fachlichen Praxis. Selbst wenn durch die EU-Bio-Richtlinie und die wesentlich strengeren Leitlinien der AGÖL nicht alle Erwartungen und Anforderungen - insbesondere auch die des Arten- und Biotopschutzes - erfüllt, so wäre zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen. Frau Dr. BOHNE betrachtet die gute fachliche Praxis aus Sicht der Bodenökologie und des Bodenschutzes. Sie machte deutlich, daß auch eine nach den Regeln der guten fachlichen Praxis durchgeführte landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung dem Kriterium der Nachhaltigkeit nicht genüge, sondern für zum Teil erhebliche Störungen in der Produktions-, Regulations- und Lebensraumfunktion der Böden verantwortlich zeichne. Ursache dafür sei die gestiegene Intensität der Bewirtschaftung, die in den vergangenen Jahren zur Zunahme von Bodenverdichtungen geführt habe. Hohe Schleppergewichte, häufiges Befahren sowie das Befahren bei hohen Wassergehalten führten gerade bei schweren Böden zu nachteiligen Veränderungen im Porenvolumen und in der Luftkapazität. Zwar könnten oberflächennahe Verdichtungen durch den vermehrten Einsatz von Breitreifen vermindert werden, diese führten aber wiederum zur Verdichtungen in den 100 bis 150 cm tiefen Schichten. Da die Tiefenverdichtung sich auch durch Tiefpflügen nicht mehr rückgängig machen ließe, seien Probleme im Nährstoffhaushalt sowie im Bodengefüge die unausweichliche Folge. Nach den anerkannten Regeln der guten fachlichen Praxis durchgeführte Maßnahmen könnten bestenfalls kompensatorisch wirken. Den Erfordernissen einer konservierenden Bodenbearbeitung, die die Lebensraum- und Regelungsfunktion des Bodens fördere, würden sie hingegen nicht gerecht. Auch die Definition der guten fachlichen Praxis der landwirtschaftlichen Bodennutzung im Bundesbodenschutzgesetz ließe diesbezüglich keine Verbesserungen erwarten; denn die im Gesetz vorgeschriebene nachhaltige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit und Leistungsfähigkeit des Bodens als natürlicher Ressource sei auch durch kompensatorische Maßnahmen zu erreichen. Die dringend erforderliche Umstellung auf eine bodenkonservierende Bewirtschaftung sähe das Gesetz nicht vor. Die auf der Grundlage des Düngemittelgesetzes von 1989 erlassene bundesweite Düngeverordnung konkretisiert für die Anwendung von Düngemitteln aller Art die gute fachliche Praxis. Sie beschreibt die Grundsätze der Düngemittelanwendung, der Anwendung von Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft und von Sekundärrohstoffdüngern ebenso wie die Leitlinien der Düngebedarfsermittlung und der Nährstoffvergleiche. Auch die EG-Nitratrichtlinie nimmt ausdrücklich Bezug auf die Regeln der guten fachlichen Praxis, in dem sie Düngungszeiträume benennt, die Frage der Düngung auf hängigen, wassergesättigten, überschwemmten, gefrorenen oder schneebedeckten Böden regelt oder Aussagen über das Düngen in Gewässernähe trifft. Ordnungsgemäß ist gemäß Dünge-VO die Ausbringung von max. 210 kg N/ha auf Grünland und max. 170 kg N/ha auf Ackerland, wobei 20% Ausbringungsverluste abzgezogen werden können. Trotz der ordnungsrechtlichen Vorgaben beträgt der N-Überschuß in Deutschland ca. 100 kg N pro ha landwirtschaftlicher Fläche. Die Erfahrung zeigt, daß die Ausbringung N-haltiger Düngemittel in der Praxis nicht am Bedarf der Nutzpflanzen ausgerichtet wird, sondern häufig der Füllungsgrad des Misthaufens oder des Güllelagers den Zeitpunkt und die Intensität der Düngung bestimmen. Dung und Gülle wird zudem zusätzlich zum Handelsdünger ausgebracht. Die über 30 Jahre hinweg vermittelte Lehrmeinung "Düngt viel, damit ihr viel erntet!" leistet dieser Grundhaltung Vorschub. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn auch Zusammenhänge zwischen N-Überhang und Fruchtfolge nur unzureichende Beachtung finden. Dr. FRIEDHELM FRITSCH (Landesanstalt für Pflanzenschutz und Pflanzenbau, Mainz) mußte in seinem Beitrag einräumen, daß es trotz der allgemein eingeführten Düngeberatung nicht gelungen sei, den Umgang der Landwirte mit Wirtschafts- und Handelsdüngern nachhaltig im Sinne einer guten fachlichen Praxis zu beeinflussen. Die Beratung habe sich vielmehr am wirtschaftlichen Wohlergehen der landwirtschaftlichen Betriebe zu orientieren. Die Berater seien keine "Düngepolizei", die die Einhaltung der Düngeverordnung zu kontrollieren und zu prüfen hätten. Ebensowenig seien sie aber auch keine marktwirtschaftlichen Regulatoren, die, wie von Bauern vorgehalten, geringe Düngermengen empfehlen, um weniger Erträge zu erzielen. Das Pflanzenschutzgesetz bestimmt, daß Pflanzenschutzmittel nur nach guter fachlicher Praxis anzuwenden sind, ohne das konkret und verbindlich definiert wird, was hierunter zu verstehen ist. Das Pflanzenschutzgesetz fordert allerdings die Berücksichtigung der Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes. Unter guter fachlicher Praxis im Pflanzenschutz ist nach DR. B. FREYER vom Institut für integrierten Pflanzenschutz der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft die derzeit machbare und zumutbare Handlungsanforderung an jeden, der Pflanzenschutzmaßnahmen durchführt, zu verstehen. Sie umfaßt die sachgerechte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und schließt vorbeugende kulturtechnische sowie nichtchemische Maßnahmen ein. Dennoch zeigt sich, daß auch die Situation im Pflanzenschutz nach wie vor von erheblichen Mängeln bestimmt wird. Die vorhandenen Regelungen dienen primär dazu, den Handlungsrahmen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu erläutern, ohne jedoch die nur in Form einer Rechtsverordnung zu erzielende Klarheit zu schaffen. Der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln schlägt sich in der betriebswirtschaftlichen Rechnung der konventionellen Landwirte aufgrund der niedrigen Einkaufspreise kaum nieder. Überschußdüngungen und nicht situations- und bedarfsgerechter PSM-Einsatz werden deshalb akzeptiert, da sie hohe erzielbarer Kostendeckungsbeiträge absichern. Das Konzept des integrierten Pflanzenschutzes schließt nach Dr. Freyer die gute fachliche Praxis ein, stellt jedoch durch den komplexen Ansatz und die Einbeziehung ökologischer Wechselwirkungen eine höhere Qualität dar. Damit geht der integrierte Pflanzenschutz teilweise über die Anforderungen der guten fachlichen Praxis hinaus. Dringender Handlungsbedarf ist nach GERIES bei der landwirtschaftlichen Nutzung in Trinkwassergewinnungsgebieten gegeben. Gute fachliche Praxis, wie sie aus Sicht der Wasserwerke wünschenswert wäre, ließe sich zur Zeit nur über finanzielle Zuschüsse realisieren. Leser wertete die finanzielle Vergütung von Landwirten, die in Trinkwassergewinnungsgebieten besondere Auflagen zu beachten haben, nicht als Beleg dafür, daß diese Landwirte ansonsten nach schlechten Regeln der fachlichen Praxis würden. Auch die Qualitätsanforderungen ans Trinkwasser seien nicht überzogen. Landwirte bekämen die Zuschüsse hingegen dafür, daß mit ihren Betriebsflächen ein hochwertiges Lebensmittel, Wasser, produziert würde. Diese, die Realitäten verkehrende Grundhaltung des landwirtschaftlichen Berufsstandes spiegelt sich auch in der Ansicht wieder, daß die Landnutzung einen maßgeblichen Beitrag für die Umwelt und den Erhalt der Artenvielfalt leisten würde. Vor dem Hintergrund agrarökologischer Forschungsdaten kam STEFFAN-DEVENTER in seinem Beitrag zu einem vollkommen gegenteiligen Ergebnis: Landwirtschaft sei mitverantwortlich für die Gefährdung von Tieren und Pflanzen in der Agrarlandschaft. Die ökologischen Konsequenzen drückten sich im wesentlichen im Verlust biotischer Wechselwirkungen (z.B. Bestäuber, Herbivor-Parasitoid-Gesellschaften), im erhöhten Aussterberisiko von Arten und somit im Verlust von Artenvielfalt aus. Die gute fachliche Praxis als unbestimmter Rechtsbegriff in der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes Die Ergebnisse zeigten, daß der landwirtschaftliche Betriebsalltag bereits seit Jahrzehnten von den Regeln der guten fachlichen Praxis bestimmt wird. Die nach wie vor unausgeräumten Konflikte zwischen Naturschutz und Landwirtschaft sind folglich nicht das Ergebnis einer etwaigen Mißachtung der Regeln der guten fachlichen Praxis. Die Ursache der landwirtschaftlich bedingten Umweltprobleme ist vielmehr darin zu sehen, daß die Regeln der guten fachlichen Praxis nicht hinreichend präzise formuliert sind. Selbst wenig rechtsverbindliche Leitsätze, wie sie für den Bereich des Pflanzenschutzes jüngst erarbeitet wurden, fehlen in anderen wichtigen Bereichen vollkommen. So stand der abiotische Ressourcenschutz bisher im Vordergrund, während der Arten- und Biotopschutz bei der Diskussion um notwendige Grundsätze und Regeln guter fachlicher Praxis kaum Beachtung fand. Solange die Regeln der guten fachlichen Praxis keine allgemein anerkannten, für alle Betriebe verbindlichen ökologischen Mindeststandards beinhalten (z.B. Verzicht auf Ackernutzung auf Moorböden, Flächenbindung der Tierhaltung) wird ihr Beitrag zur Lösung der Zielkonflikte zwischen Naturschutz, Landschaftspflege und Landwirtschaft auch weiterhin gleich Null sein. Der Hinweis, die Betriebe arbeiten schon heute nach den Regeln der guten fachlichen Praxis reichen keineswegs aus, denn gerade diese Fachpraxis konnte die bekannten Umweltbelastungen aus der Landwirtschaft nicht nennenswert reduzieren. Als unbestimmter Rechtsbegriff läßt die gute fachliche Praxis in ihrer heutigen Form breiten Raum für vielfältige Auslegungen und Interpretationen. Dieses mag dem Zeitgeist entsprechen und der erklärten Absicht zur Eigenverantwortlichkeit, Selbstbeschränkung und Selbstverpflichtung aller gesellschaftlichen Gruppen Rechnung tragen. Die aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes dringend erforderliche Klärung und Ordnung des Verhältnisses mit der Landwirtschaft wird dadurch nicht herbeigeführt werden. Im Novellierungsentwurf des Bundesnaturschutzgesetzes wird herausgestellt, daß die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung in der Regel nicht den Zielen und Grundsätzen des Naturschutzes widerspricht, wenn sie nach der guten fachlichen Praxis und den Rechtsvorschriften der Land- und Forstwirtschaft sowie der Binnenfischerei entsprechend ausgeübt wird. Im Klartext heißt dies, daß jede in Schutzgebieten an die land-, forst- oder fischereiwirtschaftliche Bodennutzung gestellte Anforderung, die über die bereits heute als unzureichend anerkannte gute fachliche Praxis hinausgeht, den finanziellen Ausgleich des verursachten wirtschaftlichen Nachteils erforderlich macht. Für die Durchsetzung von Naturschutzvorhaben resultiert daraus eine dramatische Verschlechterung des Status quo. Anforderungen des Natur- und Umweltschutzes an die Weiterentwicklung der guten fachlichen Praxis Sollen die Regeln der guten fachlichen Praxis zum ökonomischen und ökologischen Maßstab für die landwirtschaftliche Flächenbewirtschaftung werden, so bedürfen sie nicht nur der rechtlichen Konkretisierung sondern auch der Erweiterung um naturschutzfachliche Inhalte. Selbst wenn die Vorstellung, daß sich die landwirtschaftliche Nutzung in einer Weise technisch und rechtlich regeln ließe, wie dies der Umweltschutz beispielsweise für Tankstellen tut, fehl geht, bedarf es doch konsensualer Grundsätze oder Eckpunkte einer guten fachlichen Praxis, die flächendeckend einen abiotischen und biotischen Grundschutz sicherstellen. Besonderer Aufmerksamkeit ist dem Bereich Bodenbearbeitung und Bodenschutz zu widmen. Die Regeln der guten fachlichen Praxis müssen sicherstellen, daß die nachhaltige Erfüllung der Bodenfunktionen gewährleistet ist. Geeignete Beurteilungskriterien sind nicht die Produktionsfunktion des Bodens, da kompensatorische Maßnahmen die Beeinträchtigungen verdecken können, sondern seine Lebensraum- und Regelungsfunktion. Konservierenden Bewirtschaftsformen wie zum Beispiel pfluglose Maßnahmen, Mulch- oder Direktsaat ist der absolute Vorrang vor bodenzerstörenden Bearbeitungs- und Anbaumethoden zu geben. Über Rotations- und Dauerbrachen sollte dem Boden Gelegenheit zur Ruhe und zur Wiederbelebung gegeben werden. Ferner ist der bodenschützende Anbau von Zwischenfrüchten als Stoppel- oder Untersaat vorzusehen. Darüber hinaus gilt es, die Art, Intensität und Tiefe des mechanischen Eingriffs in den Boden zu vermindern. Zusätzliche technische Maßnahmen wie reduzierte Radlasten oder vergrößerte Reifenaufstandsflächen sollten ebenfalls als unverzichtbarer Bestandteil in das "goldene Regelwerk" der Bodenbewirtschaftung gehören. Der den Regeln der guten fachlichen Praxis folgende Einsatz von Wirtschafts- und Naturdüngern erfordert vom Landwirt ein gut entwickeltes Nährstoffmanagement. Wesentliche Inhalte des Nährstoffmanagements müssen die gezielte Stickstoffdüngung, die Kulturwahl und Gestaltung der Fruchtfolge (ganzjährige Vegetationsfläche, starke Bodenbearbeitung fördert N-Mobilisierung, Frage ob auf allen Standorten Ackerbau möglich sein sollte) sowie die Verminderung der Nährstoffkonzentration in Wirtschaftsdüngern durch bedarfsgerechte Tierfütterung sein. Darüber hinaus sind ergänzende Bewirtschaftsmaßnahmen (reduzierte Bodenbearbeitung, gezielter Einsatz der Beregnung usw.) zur Optimierung der Düngewirkung erforderlich. Der kritischen Diskussion bedürfen auch die N-Bilanzen des Ökolandbaus. Im Pflanzenschutz könnten die Maßstäbe durch den ökologischen Landbau bzw. durch das Konzept des integrierten Pflanzenschutzes gesetzt werden. Zwar erfüllt auch der integrierte Pflanzenschutz nicht in vollem Umfang die Anforderungen einer den Naturhaushalt schonende Landnutzung, auch bedeutet integrierter Pflanzenschutz nicht gleichzeitig mehr Naturnähe, das Konzept weist aber bereits in die richtige Richtung. Der integrierte Pflanzenschutz sieht den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln als letztes Mittel vor, nachdem sich andere kulturtechnische oder biologische Maßnahmen zur Schadensminderung als unwirksam erwiesen haben. Darüber hinaus sind ökonomische und ökologische Aspekte im integrierten Landbau gleichrangig nebeneinander zu stellen. Die heutige Praxis, daß der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sich in der betriebswirtschaftlichen Rechnung der landwirtschaftlichen Betriebe aufgrund der niedrigen Einkaufspreise kaum niederschlägt und Überschußdüngungen sowie nicht situations- und bedarfsgerechter PSM-Einsatz deshalb akzeptiert werden, da sie hohe erzielbare Kostendeckungsbeiträge absichern, ist dauerhaft nicht tragbar. Nur eine Besteuerung und Verteuerung der Pflanzenschutzmitteln vermag dieser umweltbelastenden Entwicklung entgegenzuwirken. Während die auf den Schutz und die nachhaltige Nutzung und Nutzbarkeit der abiotischen Ressourcen ausgerichteten Anforderungen an die Regeln der guten fachlichen Praxis mit den ökonomischen Eigeninteressen der Landwirte in gewissem Rahmen in Einklang zu bringen sein dürften, ist dieses für Aspekte des Arten- und Biotopschutzes kaum zu erwarten. Der Schutz biotischer Ressourcen steht nicht im betriebswirtschaftlichen Interesse der Landwirte, sondern stellt vielmehr eine volkswirtschaftlich und gesellschaftlich wichtige und sinnvolle Leistung der Landwirtschaft dar. Es verwundert daher auch nicht, daß Fragen des Arten- und Biotopschutzes bislang weder in die Regeln der guten fachlichen Praxis Eingang gefunden haben, sich aber auch in den Richtlinien des Ökolandbaus kaum wiederfinden. In Anbetracht der Tatsache, daß zahlreiche heimische Tier- und Pflanzenarten eng an bewirtschaftete Lebensräume gebunden sind und die Art und Weise der landwirtschaftlichen Nutzung somit für den Fortbestand dieser Arten von entscheidender Bedeutung ist, erwächst hieraus für den Naturschutz eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Allgemeine Anforderungen an die Regeln der guten fachlichen Praxis lassen sich aufgrund der komplexen Wechselwirkungen zwischen landwirtschaftlicher Nutzung einerseits und den Habitatansprüchen der unterschiedlichen Arten nur schwer in Form allgemein gültiger Aussagen formulieren. Erschwerend kommt hinzu, daß ökologische Regulationsprozesse auch bei großen Schlägen intensiv genutzter Agrarlandschaften stattfinden und Abhängigkeiten zwischen naturnahen Strukturen, Flächengrößen und ökologischen Regulationseffekten nicht unmittelbar feststellbar sind. Zwar lassen sich auf der Grundlage agrarökologischer Untersuchungen gewisse Leitsätze wie die Erhöhung der floristischen Vielfalt, der Erhalt und die Pflege alter Kulturlebensräume oder die Förderung von Sukzessionsprozessen durch Selbstbegrünung von mehrjährigen Brachen formulieren, in der Praxis bedarf es aber einer differenzierten, an den örtlichen Gegebenheiten ausgerichteten Betrachtungsweise. Als "Faustregel" bleibt aber festzuhalten, daß auf rund 10 bis 15% der landwirtschaftlich genutzten Fläche naturnahe Lebensräume vorhanden sein müssen, damit positive Effekte für den Schutz biotischer Ressourcen erwartet werden können. Erheblicher Nachholbedarf besteht in dieser Hinsicht jedoch nicht nur in der konventionellen Landwirtschaft, sondern auch beim biologischen Landbau, da die AGÖL-Richtlinien diesen Bereich weitgehend außer Acht lassen. Wie bereits oben dargelegt, wird es aufgrund der Komplexität der Materie kaum möglich sein, die landwirtschaftliche Nutzung in einer Weise rechtsverbindlich zu regeln, wie dies der Umweltschutz beispielsweise für Tankstellen oder andere Gewerbetreibende tut. Insbesondere die von dynamischen Vorgängen geprägten Belange des Arten- und Biotopschutzes lassen sich nur sehr begrenzt in ein allgemein verbindliches Regelwerk "hineinzwängen". Die Einbindung der Landwirtschaft in Maßnahmen des Natur- und Umweltschutzes bedarf deshalb einer intensiven fachlichen und situationsbezogenen Betreuung der Landwirte. Die vorhandenen Fundamente der landwirtschaftlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung bedürfen ebenso der ökologischen Weiterentwicklung wie die gute fachliche Praxis selbst. Besonderer Wert ist auf die berufliche Ausbildung der Landwirte zu legen; denn in aller Regel vermittelt die Berufsschule jene Kenntnisse und Erfahrungen, die von den Landwirten später in ihren Betrieben angewandt werden. Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder |
Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder. |