"Kann denn Windkraft Sünde sein?" - Windkraft zwischen Natur- und Klimaschutz

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 22. Januar 1996
Aus technischen und ökonomischen Gründen konzentrierte sich der Bau und Betrieb von Windkraftanlagen in der Vergangenheit vorrangig auf den windhöffigen Küstenraum. Technische Weiterentwicklungen begünstigen mittlerweile jedoch auch den ökonomisch vertretbaren Betrieb von Windkraftanlagen an weniger windexponierten Standorten des Binnenlandes, insbesondere des Mittelgebirgsraumes. Die daraus für den Naturschutz erwachsenden Konsequenzen standen im Mittelpunkt der Seminarveranstaltungen.

In einleitenden Beiträgen setzten sich Ralf Seebauer (NABU-Bundesfachausschuß Abfall, Energie und Chemie) und Ulrich Filbrandt (NABU-Regionalgeschäftsstelle Aurich) mit den umweltpolitischen Grundsätzen der Windenergie bzw. den Erfahrungen mit der Windenergienutzung im Küstenraum auseinander. Der aktuelle Beitrag der 3.675 bestehenden Anlagen zur Stromproduktion betrug 1995 annähernd 1.500 MWh, was einer effektiven CO2 Einsparung von 1,5 Millionen Tonnen entspricht. Deutschland ist damit weit vor Dänemark Windenergieland Nummer 1 in Europa und dürfte noch 1996 bei fortgesetzter Entwicklung die USA überholen. Auf der Basis der Daten von 1993 erscheint ein Erzeugungspotential von 15% realistisch. Das Wuppertal-Institut rechnet für 2005 mit 20.000 bis 40.000 im Betrieb stehenden Anlagen. Bislang noch weitgehend unberücksichtigt ist ein enormes zusätzliches Energiepotential, das von Offshore-Anlagen geliefert werden könnte. Das prognostizierte Wachstum der Windenergie wird in den nächsten Jahren nicht nur durch den zahlenmäßig Zuwachs bei den Anlagen, sondern auch die damit einhergehenden technischen Weiterentwicklungen erreicht werden. Während heute noch die 500 kW-Anlage die Regel ist, sind 1,5 MW Anlagen bereits über das Prototypstadium hinaus. Ein Zweiflügler in Wilhelmshaven erzeugt bei 90 m Masthöhe und einem Rotordurchmesser von 80 m bereits heute eine Jahresleistung von 3 MW.

Der technische Stand der Anlagenentwicklung und die für viele Betreiber verlockenden Möglichkeiten der Bund-Länder-Förderprogramme und des Stromeinspeisegesetzes führen dazu, daß sich die Windenergie zunehmend von der ursprünglichen Ausrichtung auf die dezentrale Selbstversorgung von Kleinsiedlungen und landwirtschaftlichen Betrieben mehr auf die Energieeinspeisung konzentriert. 

Bei 3.675 Windenergieanlagen im Jahre 1995 und der erwarteten Verzehnfachung bis zum Jahr 2005 sind Konflikte mit dem Naturschutz und der Landschaftspflege, die vom Bau und Betrieb von Windenergieanlagen sowie den notwendigen Nebenanlagen (Überlandleitungen usw.) hervorgerufen werden, unausweichlich. So gehen verschiedene Szenarien von Windkraft-Befürwortern davon aus, daß allein in Niedersachsen 95% der Landesfläche für Aufstellung von Windkraftanlagen genutzt werden sollten. 

Im Rahmen seiner naturschutzorientierten Konfliktanalyse rief Wilhelm Breuer von der Fachabteilung Naturschutz des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie die wesentlichen Zielsetzungen des Naturschutzes, wie sie sich aus der Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt herleiten, in Erinnerung. Neben den vorrangigen Aufgaben des Schutzes ökologischer Prozesse (Sukzession, Evolution) und der Erhaltung historischer Kulturlandschaften verfolgt der Naturschutz auch das Ziel der Förderung und Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftsweisen (sustainable development). Als alternative, allerdings nicht als additive Energie, kann die Windenergienutzung bestenfalls zur Verwirklichung des letztgenannten Zieles beitragen. Hinsichtlich der von Windenergieanlagen verursachten Auswirkungen auf die Avifauna, die Leitlinien des Vogelzuges sowie die Rastplätze stehen Windenergieanlagen jedoch den Zielen des Naturschutzes entgegen. Gleiches gilt nach Auffassung von Breuer, wenn auch in den aktuellen Diskussionen häufig vernachlässigt, für den gesetzlich fixierten Auftrag des Naturschutzes, das für einen Naturraum typische Erscheinungsbild zu erhalten. Unter dieser Prämisse ist, unabhängig von subjektiven, individuellen Schönheitsidealen festzustellen, daß Windparks nicht in historisch geprägte Kulturlandschaften hinein gehören. Andererseits können aber moderne Kulturlandschaften oder ohnehin gestörte historische Landschaften durchaus vielfältige naturschutzneutrale Möglichkeiten zur Errichtung von Windparks bieten. Windparks in naturschutzbedeutsamen Landschaften sollten nach Auffassung von Breuer erst dann in Betracht gezogen werden, wenn zum einen alle Möglichkeiten der Energieeinsparung bereits ausgeschöpft worden sind und auch das Potential der modernen und gestörten Landschaften ausgenutzt wurde, etwa durch die Installation von Windkraftanlagen auf Halden, entlang bestehender Trassen von Hochspannungsleitungen oder in Industriegebieten.

Die avifaunistische Konfliktlage wurde von Hubertus Illner am Beispiel laufender ornithologischer Untersuchungen im Landkreis Soest eingehender beleuchtet. Die ersten Ergebnisse zeigen, daß Vogelschlag an Windkraftanlagen nur nachrangig bedeutsam zu sein scheint. Als wesentlich relevanter erweisen sich nach Auffassung von Illner jedoch die von den Anlagen ausgehenden Scheuch- und Störeffekte auf die in der Agrarlandschaft brütenden und rastenden Vogelarten (Grauammer, Wachtelkönig, Wiesen und Rohrweihe), wenngleich sich auf der Basis der bisherigen Befunde ein zweifelsfreier Kausalzusammenhang nicht erbringen läßt. 

Auf der Grundlage vorhandener umweltrelevanter Daten versucht daher das von Volker Kleinschmidt (Pro Terra Team) vorgestellte Rahmenkonzept für Windkraftanlagen Ansätze zur Konfliktminimierung und -lösung zu entwickeln. Die für den Landkreis Soest entwickelte querschnittsorientierte Konzeption verfolgt das Ziel, den mit der Plangenehmigung befaßten Institutionen Kriterien für eine ökologisch orientierte, raumordnerische Entscheidungsfindung an die Hand zu gehen. Neben den Belangen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes berücksichtigt das Konzept zusätzlich die Auswirkung elektromagnetischer Störungen auf Richtfunkeinrichtungen, Anwohnerbelastungen durch Lärm und Infraschall sowie Fragen der Netzanbindung. Für die Festlegung der Gunstbereiche wurden darüber hinaus die Windgeschwindigkeiten in Höhen von 50 bis 70 m über Grund in die Betrachtung mit einbezogen. Im Ergebnis weist das Rahmenkonzept Gunst- (27% der Kreisfläche), Restriktions- (43%) und Tabubereiche (29%) für Windkraftanlagen aus. Zu den Ausschlußflächen zählen neben Naturschutzgebieten auch Richtfunkstrecken. Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Erholung, den Schutz des Naturhaushaltes und der Landschaft bilden in Abhängigkeit von der Gewichtung der Einzelfaktoren die Restriktionsbereiche 1 bis 4. Die Konzeption machte darüber hinaus deutlich, daß allein 50 bis 60% der Fläche aus anderen, nicht im Naturschutz begründeten Ursachen, für die Windenergienutzung nicht in Betracht kommen.

In der Diskussion und Zusammenfassung der Vorträge zeigte sich, daß sich der Naturschutz vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Treibhauseffektes und der befürchteten Klimaveränderungen der Windenergienutzung nicht verschließen kann und wird. Die Nutzung der Windenergie erweist sich grundsätzlich als ökologisch sinnvoll und umweltpolitisch richtig. Gravierende Mängel und erhebliche Handlungsdefizite ergeben sich jedoch aus der zur Zeit bestehenden Planungs- und Genehmigungspraxis, die großflächig (unter Einbeziehung naturschutzbedeutsamer Gebiete) "kleckert" statt konzentriert (in für den Naturschutz unproblematischen Bereichen) zu "klotzen". 

Die weitere Entwicklung und Förderung der Windkraft muß unter den oben genannten Gesichtspunkten von dem Grundsatz bestimmt werden: "Möglichst viele Windkraftanlagen bei möglichst geringen Eingriffen in Natur und Landschaft". So sind die allgemein gültigen Planungsgrundsätze, die ohnehin Stand des Rechts sind, auch bei der Genehmigung von Windkraftanlagen anzuwenden. 

Dazu bedarf es:
  • konkreter Standortplanungen auf der Ebene der Landes und Regionalplanung,
  • der rechtsverbindlichen Ausweisung von Ausschluß und Vorrangflächen für Windkraftanlagen. Die für den Naturschutz, den Schutz der biologischen Vielfalt und den Schutz der Vielfalt, Eigenheit und Schönheit der Landschaft bedeutsamen Gebiete müssen als Tabuflächen behandelt werden, während Standorte mit Vorbelastungen (Industriegebiete, Verkehrswege u.a.) als Vorrangflächen zu begünstigen sind,
  • der Berücksichtigung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung bei allen Standortplanungen.
  • Desweiteren sind gleichzeitig alle Möglichkeiten zur Minderung der CO2-Emissionen im industriellen sowie insbesondere im häuslichen Bereich zu nutzen und zu fördern.

Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder 

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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.