Die Bedeutung von Spinnen für die Eingriffs- und Raumplanung

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 23. November 1996
Spinnen sind in Mitteleuropa mit mehr als 1000 Arten vertreten. Eine große Zahl der Spinnenarten kann als stenök eingestuft werden. Die artspezifischen Habitatanforderungen lassen daher eine gute Eignung insbesondere der spezialisierten Arten für die Bewertung von Lebensräumen im allgemeinen und die Eingriffs- und Raumplanung im besonderen erwarten.  

Im Mittelpunkt der in Zusammenarbeit mit der Nordwestdeutschen Arachnologischen Arbeitsgemeinschaft (NOWARA) durchgeführten Veranstaltung stand die Frage nach den Grenzen und Möglichkeiten der naturschutz- und planungsorientierten Aufbereitung und Auswertung arachnologischer Felddaten. Ziel war es, die unter Arachnologen zur Zeit kontrovers diskutierten Methodenansätze vorzustellen und im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in der Eingriffs- und Landschaftsplanung gegenüberzustellen.  

Ralph Platen, dessen Ansatz vertretungsweise von Dagmar Wohlgemuth referiert wurde, ordnet die Spinnen 15 verschiedenen Pflanzenformationen zu. Je nach Häufigkeit des Auftretens der Arten klassifiziert er Schwerpunkt-, Haupt- und Nebenvorkommen. Dagmar Wohlgemuth ergänzte ihren Beitrag mit eigenen Untersuchungsergebnissen zu Spinnenzönosen der Auelandschaft des Nationalparks Unteres Odertal. Anders als der Platensche Ansatz sieht das von Dieter Martin vorgestellte Verfahren die Kategorisierung der Vorkommen anhand der Parameter Feuchte, Belichtung, Habitatstrukturen und Lebensraumtyp vor. Die freie Kombination von 22 spinnenrelevaten Habitatkriterien erlaubt dann seiner Auffassung nach eine hinreichend gute und praxistaugliche Beschreibung und Bewertung eines Lebensraumes aus arachnologischer Sicht. 

Andreas Klein und Heinz-Christian Fründ berichteten u.a. am Beispiel von Arbeiten zur Nischendifferenzierung von 7 Arten der Gattung Alopecosa über ihre Erfahrungen bei der praktischen Anwendung der Martin’schen Präferenzwerte. Klein unterstrich, daß eine ökologische Separation der verschiedenen Arten der Wolfsspinnengattung Alopecosa bei seinen Untersuchungen zur Abfolge von Trockenlebensräumen klar erkennbar gewesen wären. Fründ wies ergänzend auf die hohe Genauigkeit der Methode hin, gab aber auch zu bedenken, daß gerade darin eine Schwäche des Verfahrens zu sehen sei. Er betonte die seines Erachtens bestehende Notwendigkeit, in Planungsgutachten möglichst klare Aussagen zu machen und diese mit "plakativen Zahlen und Graphiken" zu belegen. Die von Martin entwickelten Ökogramme versucht er daher in einer faunistischen Standortcharakterisierung zusammenzufassen. 

Elisabeth Brauchhenß gab in ihrem Beitrag zu bedenken, daß die Einteilung der Spinnenarten nach ihrem Vorkommen in bestimmten Lebensraumtypen oder nach der Häufigkeit aus autökologischer Sicht nicht hinreichend präzise sei. Sie unterstrich die Bindung zahlreicher Spinnenarten an Mikrohabitate und verwies darauf, daß Spinnen somit in einen Lebensraumtyp sehr unterschiedlich eingenischt sein können. Eine verläßliche Methode zur Habitatbeschreibung stellt nach Klaus Peter Zulka die Gaußsche logistische Regression dar. Die Methode erlaubt es, die ökologische Amplitude von Arten bezüglich eines Umweltfaktors zu ermitteln und daraus Aussagen über die tatsächliche Autökologie der Arten abzuleiten. 

Volker Hugenschütt zeigte am Beispiel der Spinnen- und Laufkäferfauna im Uferbereich eines kleinen Fließgewässers, wie eng die Arten im Lebensraumgradienten eines Ufers eingenischt sind. Durch die ökologische Typisierung der vorkommenden Arten gelangte er zu einer Bewertung der Uferstrukturdiversität unter dem Aspekt der Bedeutung des Lebensraums für Spinnen und Laufkäfer. 

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Fred Lennartz. Seines Erachtens lassen sich Spinnenlebensräume ausschließlich über ihre Lebensgemeinschaften beschreiben, so daß autökologische Einstufungen keine geeigneten Bewertungskriterien darstellen. Lennartz plädierte in seinem Beitrag daher für eine synökologische, an der Pflanzensoziologie angelehnte Bewertungsweise. 


Anschließend stellte Oliver-David Finch seine Arbeit zu Leitarten vor (SCHULTZ & FINCH 1996). Hierbei handelte es sich dabei um einen Ansatz, der versucht, die für bestimmte Lebensräume der nordwestdeutschen Küstenregion charakteristischen Leitarten bzw. typischen Spinnenarten heraus zu arbeiten. 

Ambros Hänggi versuchte in seinem abschließenden Beitrag die unterschiedlichen Standpunkte zu resümieren. Er betonte, daß eine Bewertung immer an der Zielvorstellung orientiert sein muß. 

Die Veranstaltung ließ keinen Zweifel daran, daß Spinnen aufgrund ihrer zum Teil sehr engen Habitatbindung Bedeutung für die Eingriffs- und Raumplanung haben. Die grundsätzliche Zielsetzung ein einheitliches und standardisiertes Verfahren zur Bewertung von Lebensräumen zu entwickeln, fand unter den Teilnehmern breite Akzeptanz. Die in den Vorträgen und Diskussionen deutlich hervorgetretene Vielfalt fachlicher Ansätze und Meinungen erschwerte die Verständigung auf ein standardisiertes Verfahren erheblich. Je nach fachlicher Herkunft und Ausrichtung der Autoren offenbarten die vorgestellten Methoden Gemeinsamkeiten und Ergänzungen, zum Teil traten aber auch erhebliche Dissense hervor. Während die stärker naturwissenschaftlich ausgerichteten Spinnenfachleute eine Einstufung auf der Grundlage fundierter Untersuchungen zur Autökologie der Arten für unverzichtbar hielten, richteten die eher naturschutzorientierten Arachnologen den Schwerpunkt ihrer Argumentation an der Praxistauglichkeit der Erfassungs- und Bewertungsverfahren aus. Wie groß die Meinungsverschiedenheiten sind, verdeutlichte die Diskussion zur Frage der Leit-, Charakter-, Ziel-, Indikatorarten oder der Bioindikatoren, die bereits im Stadium der Begriffsdefinition scheiterte. 

Obwohl es nicht gelang, die Vielzahl fachlicher Positionen zu vereinigen oder zumindest einen allgemein akzeptierten Konsens herbeizuführen, war die Veranstaltung wichtig, um die unterschiedlichen Konzepte klar zutage treten zu lassen und den Beginn für den Eintritt in die Diskussion zur Entwicklung einheitlicher Methoden und Verfahren zu markieren. 

Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder  

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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.