Naturnaher Wald -Zwischen Prozeßschutz und nachhaltiger Nutzung

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 29. bis 30. April 1996
Naturschutz im Wald ist für viele Förster ein zweischneidiges Schwert. Je naturnäher die Waldbewirtschaftung desto größer das "Risiko" eines Waldnaturschutzgebietes.  

Auf der anderen Seite stehen viele Naturschützer einer nachhaltigen, die Ziele des Arten- und Biotopschutzes aber nicht unbedingt in den Vordergrund stellenden Waldnutzung zurückhaltend gegenüber.  

Die Frage ist, ob sich Waldwirtschaft an den natürlichen Prozessen zu orientieren (Prozeß-schutzwald) hat oder an den kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnissen einer zukünftig auf nachhaltige Nutzung ausgerichteten Gesellschaft?  

Ziel der Veranstaltung war es, die Möglichkeiten für eine sinnvolle Annäherung beider Positionen aufzuzeigen und zur Diskussion zu stellen.  

In seinem einleitenden Beitrag bilanzierte Wilhelm Bode (BAG Wald und Wild) die Situation des Waldes in Deutschland. Von der Gesamtwaldfläche befinden sich nur wenige Prozent in natürlicher Verjüngung. Strukturreicher, naturnaher Wald nimmt zum Beispiel im Schwarzwald, nur etwa 1% der Forstwirtschaftfläche ein. Trotz der relativen Vielfalt von 30 verschiedenen heimischen Baumarten, besteht 90% des Waldes aus den 5 Hauptbaumarten Douglasie, Buche, Eiche, Kiefer und Fichte. Die Folge dieser falsch verstandenen Forstwirtschaft sei ein labiler Wald, der durch Stürme, Waldbrände und Insektenkalamitäten in erheblichem Umfang gefährdet ist und seiner Bedeutung als Lebensraum für Tiere und Pflanzen nicht mehr hinreichend gerecht wird.  

Ausgehend von der Frage "Wie funktioniert der Urwald?" und der Erläuterung dynamischer Entwicklungsvorgänge des Urwaldes formulierte Bode seine Vorstellungen eines durch Nutzung geschützten Waldes. Kern eines auf Nachhaltigkeit abzielenden Waldwirtschaftskonzepts kann jedoch nicht der absolute Schutz natürlicher Prozesse und Strukturen sein, da diese dem legitimen Interesse der Holzernte entgegenstehen. Die auf den Waldbauprofessor Alfred Möller zurückgehende Idee des Dauerwaldes vereinigt nach Bode jedoch die Zielsetzungen von Ökonomie und Ökologie in idealer Weise. Der Dauerwald sei ein Nutzungssystem, das den Prinzipien der Biokybernetik entspricht und diese nutzt. Dadurch produzierten Dauerwälder nicht nur mehr und qualitativ hochwertigeres Holz, sondern ihre Produktion gründe sich auch weitgehend auf dem kostenlos zur Verfügung stehenden Naturkapital. Voraussetzung wäre aber, daß nicht mehr Holz genutzt wird, als nachwächst. Quasi als "Abfallprodukt" entstünden nebenbei ökologisch stabile Wälder, die als naturreiche Kulturökosysteme auch noch eine artenreiche, vitale Waldbiozönose beherbergen könnten.  

Dass naturnah bewirtschaftete Wälder nicht nur dem Holzerwerb und der Schonung der abiotischen Ressourcen dienen, sondern auch unter den Gesichtspunkten des Artenschutzes und der Ästhetik beispielhaft sind, versuchte Dr. Georg Sperber (Forstamt Ebrach) anhand zahlreicher Waldbilder zu verdeutlichen. Die in Dauerwäldern auf ganzer Fläche feststellbare große biologische Vielfalt wertet er als Beleg für den gelungenen Interessenausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie.  

Christoph Heinrich (BAG Wald und Wild) stellte die Holznutzung und ihre biozönotischen Auswirkungen in den Mittelpunkt des anschließenden Beitrages. Dabei ging er der Frage nach, warum so viele Waldtiere und ihre Lebensräume auf der roten Liste zu finden sind. Hauptverursacher für das ökologische Dilemma des deutschen Waldes ist seiner Auffassung nach die dem Prinzip der räumlichen Ordnung verpflichtete Forstwirtschaft. Im Gegensatz zu Urwäldern, die auf engem Raum verschiedenste Habitatypen bieten, weisen Forste flächig gleichmäßig monotone Strukturen auf.  

Am Beispiel seines Forstamts in Ebrach erläuterte Dr. Sperber die waldbauliche Praxis in naturnahen Wirtschaftswäldern. Der besondere Reiz des naturnahen Waldbaus liegt seiner Auffassung nach darin, daß ökologische Ziele mit betriebswirtschaftlichen Anforderungen in Einklang gebracht werden können. So seien bei geringerem finanziellen und personellen Aufwand in Naturwirtschaftwäldern höhere Erträge zu erzielen, als in "gepflegten" Forsten.  

Sperber warnte jedoch vor einer allzu radikalen Abkehr von der forstwirtschaftlichen Nutzung und vor der Hinwendung zu Urwald-Leitbildern. Nicht der Umbau der Wirtschaftswälder in Urwälder müsse das Ziel sein, sondern die Integration von Urwaldelementen (hoher Totholzanteil, alte höhlenreiche Bäume usw.) in den wirtschaftlich genutzten Wald. Unabdingbare Voraussetzung für diese sei aber eine konsequente Bejagung der waldfressenden Arten, insbesondere des Rehwilds.  

Christoph Heinrich unterstrich in seinem Beitrag "Wieviel Urwald braucht der Mensch?", daß die Strategie der naturnahen Waldbewirtschaftung auf die nachhaltige Nutzung des Waldes und nicht den Prozeßschutz abziele. Natürliche, zyklische Waldentwicklungen blieben vielmehr jenen Wäldern vorbehalten, in denen die Nutzung vollständig ruhe. Unter Berufung auf die Leitlinien des Naturschutzes und der Landschaftpflege des Bundesamts für Naturschutz forderte Heinrich dazu auf, mindestens 5% der Waldfläche als Totalreservate auszuweisen. Urwälder "von morgen" sollen sich zum einen in fünf Waldnationalparken mit naturräumlich repräsentativer Ausstattung entwickeln können. Zum anderen sollte das weiträumige Netz der Nationalparke durch 200 bis 2.000 ha große Waldschutzgebiete ergänzt
werden.  

Im Rahmen seines Schlußbeitrages faßte Wilhelm Bode die Ergebnisse und Positionen des Seminars zu einem Modellansatz für "Sustainable Germany" zusammen. Er stellte heraus, daß gerade der Wald als Beispiel für ein integriertes und dem Ziel des "Globalen Wandels" verpflichtetes Modell hervorragend geeignet sei. An die Stelle des zur Zeit vorherrschenden Altersklassenwaldes müsse dazu aber auf ganzer Fläche der Dauerwaldbetrieb und das Konzept der "sanften Betriebstechnik" (Wald-Mensch-Pferd) treten. Als Lehr- und Lernobjekt für den naturentfremdeten Menschen könne der Wald damit gleichzeitig beispielhaft für den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur werden.  

Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder 

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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.