Therapieplan Wald - Anforderungen an die gute fachliche Praxis in der Forstwirtschaft

Ergebnisse eines Infoseminars des NABU am 16.02.2005


Das Bundeswaldgesetz in seiner derzeitigen Fassung stellt aus Sicht seiner Kritiker, wozu u.a. auch die Naturschutzverbände zählen, ein minimalistisches Rahmengesetz dar. Ein Bekenntnis zur naturnahen Waldbewirtschaftung und zum Schutz der Waldökosysteme lässt das Regelwerk gänzlich vermissen. Bestätigt sehen sich die Befürworter der Novelle des BWaldG durch den Waldzustandsbericht 2004, der dem Wald einen denkbar schlechten Gesundheitszustand bescheinigt, und durch die Bundeswaldinventur 2. Es werde zwar nicht verkannt, so Christian Unselt vom NABU-Präsidium, dass es eine ganze Reihe positiver Entwicklungen in Richtung auf eine naturnähere Waldbewirtschaftung gebe, weiterhin unbefriedigend sei aber, dass knapp die Hälfte des Wälder nur einschichtig aufgebaut und immerhin noch knapp ein Viertel der Wälder zu 50 und mehr Prozent aus standortfremden Baumarten bestehe. Inakzeptabel ist aus Sicht des NABU auch der nach wie vor fehlende rechtliche Ansatz zur verpflichtenden Reduzierung des Wildverbisses auf ein Maß, das eine Naturverjüngung der standortheimischen Baumarten ermöglicht. Angesichts dieser Belastungen sowie des zusätzlichen Stresses, dem der Wald durch Luftverschmutzung, Ozonbelastung und Klimaveränderungen ausgesetzt sei, sah Unselt es für dringend erforderlich an, mit der Novelle des Bundeswaldgesetzes die seit langem überfälligen Rahmenbedingungen für einen Therapieplan Wald zu schaffen. Aus Sicht des Naturschutzes komme der guten fachlichen Praxis, wie sie seit März 2002 vom Bundesnaturschutzgesetz für die Landwirtschaft gefordert wird, auch bei der Novelle des Bundeswaldgesetzes eine zentrale Rolle zu. Weitere bedeutsame Aspekte waren für Unselt u.a. die Definition des Waldbegriffs, die Regelung von Wiederaufforstungen und die Ausweisung von Schutzgebieten im Wald.

Gute fachliche Praxis - eine Zauberformel für mehr Naturschutz?

Der Begriff der guten fachlichen Praxis, der mittlerweile für den Naturschutz zu einer Art Zauberformel geworden ist, fand erstmals Mitte der achtziger Jahre in den Vorschriften des Pflanzenschutz- und später des Düngemittelrechts Anwendung. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre fand die gute fachliche Praxis Eingang in das Bodenschutzgesetz und auch der Naturschutz begann sich unter landwirtschaftlichen Gesichtspunkten intensiver mit der Materie zu beschäftigen. Im Sinne einer Grundsatzregelung zu Fragen der landwirtschaftlichen Ressourcennutzung wurde der Begriff 2002 in die Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) aufgenommen. Für die Forstwirtschaft legt das BNatSchG bislang nicht die gute fachliche Praxis als Maßstab für die naturschutzgemäße forstliche Nutzung fest. Hier gibt das Gesetz lediglich das Ziel vor, naturnahe Wälder aufzubauen und diese ohne Kahlschläge nachhaltig zu bewirtschaften sowie einen hinreichenden Anteil standortheimischer Forstpflanzen einzuhalten (§ 5 Abs. 5 BNatSchG).

Angesichts der für die 15. Legislaturperiode angekündigten Novelle des BWaldG beschäftigt sich das Freiburger Institut für Forstpolitik im Auftrag des Bundesamt für Naturschutz jedoch mit der Frage, welche Kriterien die gute fachliche Praxis in der Forstwirtschaft beschreiben könnten. Auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse sowie Literaturauswertungen erarbeiteten Georg Winkel und Prof. Dr. Karl-Reinhard Volz eine 17-Punkte-Liste, die als „Mindestschwelle naturschutzfachlicher Anforderungen an das Handeln der Forstwirtschaft“ und somit aus Sicht der Verfasser als Grenze der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Artikel 14 Absatz 2 GG betrachtet werden können. Dazu zählen beispielsweise die Verjüngung des Waldes durch Naturverjüngung oder die Integration sukzessionaler Elemente (Vorwaldstadien, begleitende Weichlaubhölzer) in die Waldentwicklung und dies insbesondere auch bei der Wiederbewaldung von Flächen. Im Weiteren geht es dann unter anderem noch um Fragen der Erschließung des Waldes, des Befahrens oder der Bearbeitung von Waldböden, forstlichen Pflanzenschutz, Schalenwildbewirtschaftung oder Biotopbäume. Bei der Erarbeitung der Kriterien legten die Verfasser, so Winkel, Wert darauf, Mindest-Umweltstandards zu definieren, die niemanden wirklich wehtun und von der Forstwirtschaft ohne besondere Anstrengungen erfüllt werden können. Grund dafür ist, dass sowohl die Biodiversitätsbilanz der verschiedenen forstwirtschaftlichen Betriebe sowie auch die ökonomische Situation sehr unterschiedlich ist. Hinzu kommen für Winkel, die unterschiedlichen forstwirtschaftlichen Primärmotive, die bei großen Forstwirtschaftsbetrieben in erster Linie ökonomisch begründet sind, während Waldbauern und nicht-landwirtschaftliche Kleinwaldbesitzer – so die Ergebnisse einer Untersuchung - hingegen eher ideelle Ziele (Naturschutz, Erholung, Tradition) verfolgen. Daraus ergeben sich seines Erachtens m.o.w. gravierende Konflikte zwischen der Waldbewirtschaftung und den gesellschaftlichen Gemeinwohlinteressen. Die gute fachliche Praxis läge für ihn und Voltz an der Schnittstelle zwischen naturschutzfachlichem Pflichtprogramm und waldökologischer Kür. Sie habe die Doppelfunktion einerseits naturschutzfachliche Mindeststandards zu definieren, gleichzeitig aber den Waldbewirtschaftern auch einen Verlässlichkeitsrahmen zu bieten. Das setze aber voraus, so Winkel, dass keine gravierenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen für den Forstbetrieb erwüchsen und eine vernünftige Lastenverteilung zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft gesucht würde. Wenn die Gesellschaft mehr wolle, dann müsse sie dafür bezahlen. Eine These, die in der Plenumsdiskussion nicht widerspruchslos blieb. Niedrige Mindeststandards wären nach Meinung mehrerer Diskussionsteilnehmer wirkungslos, wenn sie von allen Forstbetrieben ohne besondere Anstrengungen erfüllbar sind. Wenig Beifall fand auch die Idee, Umweltstandards mit dem Geldbeutel durchzusetzen.

Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Naturnaher Waldbau (ANW) bewertet Freiherr von der Goltz die Diskussion um die gute fachliche Praxis der Forstwirtschaft als wenig förderlich. Das Streben nach Maxima könne nicht das Ziel sein. Vielmehr müsse sich die Waldbewirtschaftung an einem partnerschaftlichen Modell orientieren, das ein Optimum aus den sehr unterschiedlichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Anforderungen darstelle. Für von der Goltz stellen die diskutierten Regeln der guten fachliche Praxis daher eher einen Fluch denn einen Segen dar. Kritikwürdig sind für ihn weniger die inhaltlichen Forderungen als solche, sondern vielmehr die Absicht, die Forderungen ordnungsrechtlich zu zementieren. So ergibt denn auch die Gegenüberstellung der von Gregor Beyer vorgetragenen Positionen des NABU kaum Dissensen zu den Positionen der ANW. FSC-zertifizierte Betriebe, die immerhin 70% der ANW-Forstbetriebe ausmachen, erfüllen nach einen Einwurf von Graf von Hatzfeld sogar bereits heute und ohne gesetzliche Regelung deutliche höhere Anforderungen als die zur Rede stehenden Regeln der guten fachlichen Praxis. Einzig eine gesetzliche Verpflichtung zur Reduzierung des Schalenwilds wäre für von der Goltz segensreich.

Förderung für Selbstverständlichkeiten?

Die abschließende Diskussion machte nochmals deutlich, dass – mit Ausnahme der Vertretung des Waldbesitzerverbandes – ein breiter inhaltlicher Konsens über die Eckpunkte einer guten fachlichen Praxis besteht. Bei der Mehrzahl der Punkte handele es sich um forstbetriebliche Selbstverständlichkeiten, die fester Bestandteil der goldenen Regeln des forstlichen Handwerks seien. Deshalb sahen insbesondere die Forstvertreter keinen Bedarf für eine ordnungsrechtliche Regelung. Sollten die Regeln der Guten fachlichen Praxis hingegen doch als Umweltstandards in das Bundeswaldgesetz aufgenommen werden, so plädierte die Forstseite dafür, nur solche Regeln aufzunehmen, die die Forstbetriebe nicht schmerzten; denn die Erfüllung weitergehender Umweltstandards könne ihnen ohne staatliche Förderung nicht zugemutet werden. Eine Argumentation, die auf Seiten der Naturschutzvertreter jedoch zumindest eine Frage offen ließ: Warum sollen Naturschutzstandards, die forstlicherseits als Selbstverständlichkeiten betrachtet werden, eigentlich nur mit geöffnetem Geldbeutel durchsetzbar sein?

Ralf Schulte & Jörg-Andreas Krüger, NABU-Bundesgeschäftsstelle Berlin


Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.