DIE FFH-RICHTLINIE IN DER PRAXIS - DIE NÄCHSTEN SCHRITTE

Ergebnisse eines Workshops des NABU am 21. bis 22. Januar 2005

Nicht zuletzt dank des immensen Druckes der Naturschutzverbände nähert sich die Liste der so genannten "Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung", kurz "Natura 2000", der endgültigen Fertigstellung. Mit der Ausweisung der Natura 2000-Gebiete ist der Prozess der Umsetzung jedoch noch nicht abgeschlossen. Ziel der Veranstaltung war es, über die sich anschließenden Schritte zu informieren und die Verfahrenabläufe an Hand von Fallbeispielen zu erläutern. Im nachfolgenden werden die Ergebnisse der Vorträge zur Unterschutzstellung und Ausweisung von FFH– und Vogelschutzgebieten von Ursula Philipp-Gerlach (Informationsdienst Umweltrecht), von Dirk Bernotat (Bundesamt für Naturschutz) zur Frage der  Erheblichkeit von Beeinträchtigungen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung, von Dr. Matthias Kuprian (Hessisches Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) zu den Mitwirkungsmöglichkeiten für Naturschutzverbände beim Management und Monitoring in FFH-Gebieten  sowie von Friedrich Wulf (NABU Rheinland-Pfalz) zu Verfahrensbeispiele in Form eines Frage-Antwort-Kataloges zusammengefasst.

Wie funktioniert die Unterschutzstellung und Ausweisung von FFH- und Vogelschutzgebieten?

Unter dem Dach von NATURA 2000 sind vier aufeinander folgende Schritte abzuarbeiten:

  1. Meldung und Inventarisierung

  2. Sicherung und Ausweisung

  3. Maßnahmen und Management

  4. Monitoring und Berichtspflichten

Die Inventarisierung erfolgte in den vergangenen Jahren durch die Grunddatenerhebung. Damit wurde die Basis geschaffen für:

  1. die Sicherung der NATURA-2000-Gebiete,

  2. für die Entwicklung, Umsetzung und Steuerung des Gebietsmanagements und konkreter Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen,

  3. die Gewährleistung des Verschlechterungsverbots der Habitate,

  4. den Einstieg in das Gebietsmonitoring und die Erfüllung der Berichtspflichten nach der FFH-Richtlinie

  5. die Prüfung und Bearbeitung geplanter Projekte, die im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit den Gebieten realisiert werden sollen.

Was ist ein Vogelschutzgebiet?

Ein Vogelschutzgebiet, häufig entsprechend seiner englischen Bezeichnung auch als SPA oder Special Protected Area genannt, ist ein Schutzgebiet auf der Grundlage der EU-Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 79/409/EWG). Derartige Schutzgebiete sind für alle Vogelarten des Anhangs I der Richtlinie einzurichten. Die SPA gehen in das kohärente Schutzgebietssystem nach FFH-Richtlinie mit ein, da die FFH-Richtlinie den Bereich des Vogelschutzes ausklammert und sich diesbezüglich auf die EU-Vogelschutzrichtlinie bezieht.

Was versteht man unter Sicherungspflicht?

Das ist die Verpflichtung zur Sicherung der für Natura 2000 vorgeschlagenen Gebiete vor ihrer formalen Schutzgebietsausweisung (Art. 6, FFH-Richtlinie). Das bedeutet, dass die Gebiete so zu sagen vom Tag ihrer Meldung wie Schutzgebiete zu behandeln sind. Damit wird verhindert, dass "auf den letzten Drücker" noch Fakten geschaffen werden können, die den Schutzzweck in Frage stellen.

Welche Konsequenzen hat die Ausweisung eines Gebietes als "Natura 2000"-Gebiet?

Die FFH- und die Vogelschutz-Richtlinie dienen in erster Linie der Erhaltung der biologischen Vielfalt in Europa. Sie leisten somit einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. In Natura 2000-Gebieten sind menschliche Aktivitäten keineswegs grundsätzlich verboten; sofern Lebensraumtypen oder Arten auf regelmäßige Nutzungen oder Pflegemaßnahmen angewiesen sind, sind diese auch erlaubt. Entscheidend für das "Was darf" und "Was darf nicht" sind die Erhaltungsziele, die für das jeweiligen Gebiet definiert wurden. Steht eine Aktivität diesen Zielen nicht entgegen, kann sie auch durchgeführt werden. Bestehende Nutzungen können im Regelfall fortgeführt werden, vorausgesetzt, dass sich ihre Intensität nicht ändert und die Erhaltungsziele des betreffenden Gebiets dadurch nicht in Frage gestellt werden.

Welchen Schutzgebietsstatus haben Natura-2000-Gebiete?

Dabei soll ein Konzept erarbeitet werden, das ausreichend Schutz bietet und die Betroffenen möglichst wenig belastet. Vertragliche Vereinbarungen mit den Eigentümern oder Nutzungsberechtigten haben Vorrang vor Schutzgebietsausweisungen, wenn damit der notwendige Schutz erreicht werden kann. Eine Reihe von Gebieten wird aufgrund des bereits bestehenden Schutzstatus (z.B. Naturschutzschutzgebiet, Naturwaldreservat) oder anderer rechtlicher Schutzbestimmungen keinen zusätzlichen Schutz benötigen.

Was ist unter dem Verschlechterungsverbot zu verstehen?

Nach der FFH-Richtlinie soll in den gemeldeten Gebieten der "günstige" Erhaltungszustand, der für die Auswahl als Natura 2000-Gebiet maßgeblich war, dauerhaft gesichert bleiben. Soweit sich eine Änderung der bestehenden Nutzung nicht erheblich nachteilig auf die Erhaltungsziele auswirkt, ist sie auch künftig zulässig. Ggf. muss eine Verträglichkeitsprüfung nach FFH-Richtlinie vorgenommen werden.

Erst wenn von einer Planung, einem Projekt oder einer sonstigen Maßnahme erhebliche Nachteile für die vorkommenden Lebensraumtypen und Arten zu erwarten sind, für deren Erhaltung das Gebiet gemeldet wurde, greift das gesetzliche "Verschlechterungsverbot". Verschlechterungen können beispielsweise durch Erschließungs- oder Baumaßnahmen im Gebiet selbst oder auch in der Nachbarschaft ausgelöst werden. Auch Freizeitnutzungen oder Emissionen können den Zustand eines Natura 2000-Gebiets verschlechtern. Solchen Verschlechterungen ist dann entgegen zu wirken.

Ist in den Natura 2000-Gebieten jede Veränderung verboten?

Nein. Es war nicht die Absicht der EU-Kommission, die FFH- und Vogelschutzgebiete unter die "Käseglocke" zu stellen; denn die Natur ist ja nicht statisch, sondern dynamisch und damit veränderlich. Es wird in den Natura 2000-Gebieten und um sie herum auch künftig Nutzungen Der Richtlinie geht es darum, diese Entwicklungen naturverträglich zu steuern. Sie besitzt dafür ein eigenes Instrument: die Verträglichkeitsprüfung. Pläne und Projekte, die unter Umständen ein Natura 2000-Gebiet in seiner Zielsetzung (Schutz für bestimmte Lebensraumtypen und Arten!) beeinträchtigen ("verschlechtern") könnten, sind deshalb einer solchen Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen.

Wie funktioniert die FFH-Verträglichkeitsprüfung?

Die FFH-Richtlinie stellt für die Beurteilung möglicher Veränderungen durch genehmigungsbedürftige Vorhaben ein eigenes Instrument zur Verfügung: die Verträglichkeitsprüfung. Mit der FFH-Verträglichkeitsprüfung soll festgestellt werden, ob von einem Projekt oder einer Planung erhebliche negative Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des Gebiets ausgehen können. Wenn für das Vorhaben eine Gestattung erforderlich ist, ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung als eigener Bestandteil in das Gestattungsverfahren integriert und erfordert dann kein zusätzliches Verfahren. Nicht jede Nutzungsänderung ist jedoch so folgenschwer, dass sie zu erheblichen Beeinträchtigungen führt.

Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist, anders als die Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG), gebietsspezifisch und fachlich auf die jeweiligen Erhaltungsziele als Prüfmaßstab beschränkt.


Quelle: Bundesamt für Naturschutz

Wer muss die sogenannten Erhaltungsmaßnahmen durchführen?

Die Umsetzung der Erhaltungsmaßnahmen (sowie die Dokumentation ihrer Wirkungen) ist hoheitliche Aufgabe. Über die Ergebnisse und den Zustand der Gebiete ist der EU regelmäßig zu berichten.

Welche Stellenwert haben die Managementpläne?

Die Managementpläne, die von der zuständigen Fachbehörde für jedes Natura-2000-Gebiet erarbeitet werden müssen, sind Fachpläne. In ihnen werden die jeweils vorkommenden Arten und Lebensräume der FFH-Richtlinie als auch der Vogelarten nach EU-Vogelschutz-Richtlinie, für deren Erhaltung das Gebiet in das Netz aufgenommen wurde, erfasst und bewertet. Auf dieser Grundlage sind Vorschläge für erforderlichen Schutz-, Pflege- und/oder Erhaltungsmaßnahmen zu machen.

An der Erstellung sind die Verbände ebenso zu beteiligen wie die Kommunen, Grundeigentümer, Nutzer und Behörden. Die Öffentlichkeit muss informiert werden.

Sind Nutzungsänderungen in Natura-2000-Gebieten zulässig?

Dirk Bernotat (Bundesamt für Naturschutz) erläuterte, dass der schützenswerte Zustand eines Natura-2000-Gebietes dauerhaft zu sichern ist. Ein grundsätzliches Verbot für menschliche Aktivitäten oder Veränderungen könne daraus aber nicht abgeleitet werden. Eingriffe wären aber dann als unzulässig einzustufen, wenn sie erhebliche Nachteile für den Schutzzweck bedeuten.

Die Frage, ob von einem Vorhaben erhebliche Nachteile für die Lebensräume und Arten, die den Schutzzweck begründen ausgehen, müsse in der so genannten FFH-Verträglichkeitsprüfung beurteilt werden. Ergibt diese, dass erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzzweckes drohen, so ist das Vorhaben unzulässig. Es sei denn, dass es im konkreten Einzelfall keine zumutbaren Alternativlösung an anderer Stelle oder auf andere Weise gäbe und es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erforderlich ist.

Die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Vorhaben zu erhebliche Beeinträchtigungen führt. Was dann?

In diesem Fall ist das Vorhaben unzulässig. Es dürfe aber, so Bernotat, aus zwingenden Gründen des überwiegenden und öffentlichen Interesses dennoch zugelassen werden. Bei prioritäre Lebensräumen und/oder Arten müsse aber vor der Zulassung die Stellungnahme der EU-Kommission eingeholt werden. Sofern die Maßnahmen jedoch der menschlichen Gesundheit oder der öffentlichen Sicherheit dienten oder maßgeblich günstigere Umweltauswirkungen hätten, wäre die EU-Kommission nicht zu befragen. Für Vorhaben, die entsprechend diesen Grundsätzen zugelassen würden, seien ausgleichpflichtig. und zwar in einer Art und Weise, dass kohärente Netz der Natura-2000-Gebiete  gewahrt bleibt.

Wann sind Beeinträchtigungen erheblich?

Beeinträchtigungen können zum Beispiel dann erheblich sein, wenn:

  • eine oder mehrere charakteristische FFH-Arten eines Lebensraumes geschädigt werden,

  • Zerschneidungswirkungen zwischen dem Gebiet und der Umgebung bzw. zwischen Gebieten auftreten,

  • die Wiederherstellungs- und/oder Entwicklungszielen beeinträchtigt werden,

  • sie von außen auf das Natura-2000-Gebiet wirken (z.B. Stoffeinträge, Lärm- und Lichteinwirkungen),

  • mehrere weniger bedeutsame Einzelfaktoren sich in ihrem Zusammentreffen gegenseitig verstärken.

Der Umstand, dass der Eingriff ggf. durch Ausgleichsmaßnahmen ausgeglichen werden kann, ist übrigens unbedeutend.

Wer kümmert sich eigentlich um das Management der Schutzgebiete?

Alle Maßnahmen zur Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands werden gemäß FFH-Richtlinie zusammengefasst als "Gebietsmanagement" bezeichnet. Sie sind durchweg Aufgaben, die in die Hoheit des Staates, in Deutschland also der Bundesländer fallen. Lediglich bei marinen Schutzgebieten in der ausschließlichen Wirtschaftszone ist der Bund zuständig.

Wie die Bundesländer dieser Verpflichtung nachkommen werden, ist gegenwärtig noch nicht im Detail absehbar. Denkbar ist, dass vertragliche Vereinbarungen mit Landwirten getroffen werden, einige Landesministerien (z.B. Hessen) denken auch über die Zusammenarbeit mit örtlichen Naturschutzvereinen nach.

Welche Rolle können ehrenamtliche Aktive aus Naturschutzvereinen beim Monitoring oder Management von Natura-2000-Gebieten spielen?

Zahlreiche Dauerbeobachtungsprogramme zu einzelnen Arten oder Artengruppen wurden und werden  von ehrenamtlichen Arbeitskreisen oder Angehörigen der Naturschutzvereine geleistet. In Rheinland-Pfalz kümmert sich beispielsweise der Arbeitskreis Fledermausschutz Rheinland-Pfalz um die Fledermäuse, die GNOR um die Schmetterlinge und der NABU um den Wanderfalken. Für andere Bundesländer gelten ähnliche Modelle der Arbeitsteilung. Zum Teil bedienen sich die Länder beim Monitoring aber auch der Zuarbeit von Planungs- und Gutachterbüros.

Für das Gebietsmanagement gilt im Grundsatz entsprechendes. Auch hier gibt es Überlegungen, ehrenamtliche Naturschutzkräfte in das Gebietsmanagement einzubinden. Darüber hinaus werden aber auch Formen des Vertragsnaturschutzes eine Rolle spielen.

Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.