Situation und Gefährdung der Vögel in der Agrarlandschaft

Ergebnisse eines Infoseminars des NABU am 8. Dezember 2004 in Berlin


Mitte der siebziger Jahre erschien in Deutschland das Buch "Der stumme Frühling" der amerikanischen Biologen Rachel Carson. Darin entwickelt die Autorin die Vision vogelfreier und deshalb stummer Landschaften. Zumindest für die Felder und Wiesen Mitteleuropas dürfte dieses Szenario in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden; denn seit dreißig Jahren verschwinden die Feldvögel kontinuierlich aus unseren Kulturlandschaften. Für die 45 in Deutschland vorkommenden Arten der Wiesen- und Ackerlandschaften kam der Ornithologe Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut des NABU deshalb zu dem ernüchternden Fazit: "Einige werden aussterben; andere auf niedrigem Niveau dahin vegetieren".

Damit stellen die Feldvögel die am meisten gefährdete Artengruppen innerhalb der mitteleuropäischen Vogelfauna dar. Während die weniger spezialisierten Generalisten über die letzten zwei Jahrzehnte mehr oder weniger stabile Bestände ausbilden konnten und sich auch die Bestände der Waldvögel kaum veränderten, nahmen die Feldvögel im Mittel um mehr als 40 Prozentpunkte ab. Absolut dramatisch gestaltet sich die Situation beim Feldsperling. Bis heute konnte sich die Art nicht wieder von dem mehr als achtzigprozentigen Rückgang in den achtziger Jahren erholen und ist der Ausrottung näher als dem Überleben. Nicht viel besser ist es um die auf feuchte Wiesen angewiesene Uferschnepfe bestellt. Auch sie steht an der Schwelle des Aussterbens. Ihr Exodus in Mitteleuropa wäre gleichbedeutend mit dem weltweiten Verschwinden der Art. Zum Kreis der Opfer zählen ferner Bekassine, Brachvogel, Kiebitz und andere Stelzvögel. „Diese Arten leiden vor allem unter der Trockenlegung von Auen und Wiesen“, erläuterte NABU-Vogelexperte Markus Nipkow. Selbst häufige Siedlungsbewohner, darunter Haussperling und Star, nehmen im europäischen Maßstab ab.

Rebhuhnküken braucht 30-Stunden-Tag - oder verhungert

Dabei sind die Gründe für das Verschwinden der Feldvögel dank zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen hinreichend bekannt. Trotzdem gelingt es bislang nicht, den Niedergang zu stoppen, geschweige denn eine Trendwende herbeizuführen. Die meisten Versuche, der Intensivierung der Landwirtschaft Einhalt zu gebieten, müssen als gescheitert angesehen werden. Der Verlust überlebenswichtiger Landschaftselemente schreitet in unseren Feldfluren unaufhörlich voran. In maschinengerechten und auf optimalen Ertrag ausgerichteten Landschaften scheint kein Platz mehr für Feldraine und Hecken zu sein. „Der Tag eines Rebhuhnkükens müsste 30 Stunden lang sein, damit es in einem intensiv bewirtschafteten Maisacker seinen Nahrungsbedarf decken kann“, erläuterte der Feldvogelspezialist des brandenburgischen Landesumweltamtes Martin Flade. „Halten wir uns vor Augen, dass ein in reich strukturierten Gebieten lebendes Rebhuhnküken dafür nur rund 6 Stunden benötigt, dann werden die dramatischen Unterschiede in der Lebensqualität deutlich“, so Flade weiter.

Die Hektarerträge von Mais, Weizen oder Zuckerrüben sind somit zum Maßstab für die Situation der Feldvogellebensgemeinschaften geworden. Je höhere Erträge die Landwirte auf ihren Flächen erzielen, desto schlechter geht es den Feldvögeln, so die einfache Faustregel der Ornithologen. Für die Wiesenvögel wird der von den Rindfleischproduzenten angestrebte homogene Fleischkörper zum Synonym für deren erschreckenden Erhaltungszustand. Es steht zu befürchten, dass mit der Erweiterung der EU auf die Staaten Osteuropas auch dort der Niedergang der heute noch halbwegs überlebensfähigen Populationen eingeleitet werden wird. Der Präsident der polnischen Vogelschutzorganisation OTOP, Herr Chylarecki, beklagte, dass Investitionsprogramme der Europäischen Investitionsbank und weitere Agrarstrukturfördermaßnahmen der EU den Strukturverlust in den polnischen Agrarlandschaften deutlich fördern und mittelfristig eine drastische Verschlechterung der Bestandssituationen erwarten lassen.

Vergleichsweise einfache Lösungen

Dabei wäre es vergleichsweise einfach, zumindest die Lebenssituation der Vögel der Ackerlebensräume deutlich zu verbessern. Für Martin Flade würde allein der Verzicht auf den Umbruch der Stoppelfelder zum Ende der Erntesaison einen wichtigen Beitrag für den Erhalt von Wachtel, Rebhuhn und Co. leisten. Auch traditionelle Naturschutzmaßnahmen, wie die Anpflanzung von Hecken oder die Anlage von Ackerrandstreifen, haben nichts an ihrer Bedeutung als Artenhilfsprogramme eingebüßt. Sie gehören für Flade neben dem ökologischen Landbau nach wie vor zu den erfolgversprechenden Elementen des Feldvogelschutzes. Ohne eine Wende in der europäischen und nationalen Agrarpolitik bleiben diese Maßnahmen aber lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Und ohne die von den Naturschutzverbänden seit vielen Jahren immer wieder angemahnte Extensivierung der Landwirtschaft dürfte der Abwärtstrend vieler Feldvögel nicht zu stoppen und umzukehren sein.

Für Florian Schöne, den Agrarreferenten des NABU, deutet sich jedoch ein kleines Licht am Ende des Tunnels an. Mit dem Jahr 2005 leidet die EU eine umfassende Reform ihr landwirtschaftlichen Förderpolitik ein. Erhielten die europäischen Landwirte in der Vergangenheit Prämien für die von ihnen produzierten Getreidemengen oder die Anzahl der Rinderbullen, so werden die Zahlungen zukünftig an die landwirtschaftliche Nutzfläche gebunden sein. Ein Vorteil aus Sicht des Naturschutzes ist dabei, dass selbst für den Landwirt unproduktive Flächen wie Heckensäume oder Wiesentümpel in die Flächenbemessung einbezogen werden. Darüber hinaus werden die EU-Direktzahlungen über das sogenannte Cross Compliance davon abhängig gemacht werden, ob der wirtschaftende Landwirt die EU-Verordnungen und Richtlinien erfüllt und ein Beitrag zum Erhalt eines guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands leistet. Das beinhaltet die Beachtung von Fruchtfolge und Humusbilanz ebenso wie des Erosionsschutzes oder die Begrünung von Ackerbrachen, das Mulchen von Grünlandbrachen sowie den Schutz von Hecken und Feldrainen.

Hoffnungsvoll stimmte Schöne auch die sogenannte zweite Säule der EU-Agrarpolitik. Sie sieht die zielgerichtete Förderung der ländlichen Entwicklung vor. Inhaltliche Schwerpunkte sind die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, das Landmanagement und die Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft. Zur Achse Landmanagement gehören unter anderem Ausgleichszahlungen für Natura 2000-Gebiete, Agrarumweltprogramme sowie Wald-Umweltmaßnahmen. So können Landwirte in Zukunft zum Ausgleich ihrer Kosten und Einkommensverluste in Natura 2000-Gebieten mit bis zu 200 EUR/ha unterstützt werden. Positiv hob Schöne ferner die Öffnung der Agrarumweltprogramme für Nicht-Landwirte wie z.B. Naturschutzgruppen hervor.

Ob die veränderten Rahmenbedingungen der EU-Agrarpolitik jedoch ausreichen werden, um den Rückgang der besonders gefährdeten Wiesenvögel zu stoppen, muss nach Ansicht von Hermann Hötker bezweifelt werden. Die im Feuchtwiesenschutz erforderlichen Maßnahmen ließen sich kaum mit den aktuellen Bewirtschaftungsformen kombinieren; denn die aus Sicht des Wiesenvogelschutzes wünschenswerte Weidemast oder Milchweide rechnet sich für die Landwirte in aller Regel nicht mehr. Zudem haben die meisten Wiesenvögel ihre Verbreitung außerhalb der NATURA-2000- und EU-Vogelschutz-Gebiete, so dass auch die Ausgleichszahlungen der zweiten Säule nicht greifen werden. Für das Grünland außerhalb von Schutzgebieten sah Hötker daher mittelfristig keine rosige Zukunft. Zum einen würden die Grünlandflächen abnehmen und zum Zweiten verlören die Flächen ihren ornithologischen Wert, wenn sie infolge der Nutzungsaufgabe Brach fielen. Für Hötker führt daher an der Einrichtung von Grünlandschutzgebieten und dem Abschluss von Bewirtschaftungsverträgen mit den ortsansässigen Landwirten kein Weg vorbei.

Ob die von der Bundesregierung im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie bis zum Jahr 2015 angestrebte Trendwende in der Bestandsentwicklung der Feldvögel gelingen wird, erscheint aus Sicht der Vogelschutzexperten ebenfalls mehr als fraglich. „Seit 1990 können wir für kaum eine der Indikatorarten des Agrarlandes einen Trend zum Positiven erkennen“, resümiert Markus Nipkow. Wie auch, wenn nicht einmal ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens hinsichtlich der Notwendigkeit einer Trendwende besteht und insbesondere die Landnutzer nach dem Motto „Weiter so!“ verfahren.

Ralf Schulte, NABU-Bundesgeschäftsstelle Berlin


Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.