DIE EU-WASSERRAHMENRICHTLINIE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DEN NATURSCHUTZ

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 06. bis 07.04.2002


Ziele und Inhalte

Mit der Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) hat die EU für den Bereich der Wasserwirtschaft eine Richtlinie erlassen, die in ihrer Bedeutung mit der FFH-Richtlinie vergleichbar ist. Obwohl die EU-WRRL sich in erster Linie als wasserwirtschaftliches Instrument definiert, bietet sie gerade auf Gebiet des Schutzes und der Entwicklung von Oberflächengewässern zahlreiche Berührungspunkte mit dem Naturschutz.

Ziel des Seminars war es,

  • die EU-WRRL vorzustellen,

  • über die aus der Umsetzung der EU-WRRL erwachsenden Aufgaben und Konsequenzen für die Bewirtschaftung und Unterhaltung der Oberflächengewässer zu informieren

  • sowie die Schnittstellen zu den Aufgaben und Zielsetzungen des Naturschutzes herauszuarbeiten.

Ergebnisse

Die Nachfrage nach Wasser in ausreichender Menge und angemessener Qualität steigt in der Europäischen Union permanent an. Das bringt nicht nur die Gewässer der Gemeinschaft sondern auch die Gemeinschaft selbst unter Druck, denn Wasser ist keine übliche Handelsware. Als begrenztes Gut muss es besonders geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden. Artikel 174 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu gemeinschaftlichen Anstrengungen bei der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität und der umsichtigen rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen.
Mit der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik bündelt und ergänzt die EU das bereits bestehende Regelwerk im Bereich der Wasserpolitik, um den oben genannten Anforderungen umfassend gerecht zu werden. Gleichzeitig soll der Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer in andere Politikbereiche (Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Fischerei, Fremdenverkehr, Regionalentwicklung) integriert werden.

Der WRRL liegt ein ökologischer Gewässerbegriff zu Grunde. Sie reduziert Gewässer nicht auf den Wasserkörper, sondern bezieht auch die Wechselwirkungen zwischen den Gewässern und den von ihnen beeinflussten oder abhängigen Lebensräumen in die Betrachtung ein. Die Richtlinie berücksichtigt damit stärker als dieses bisher in der nationalen Gesetzgebung der Fall war, die ökologische Funktion der Gewässer einschließlich ihrer Bedeutung als Lebensraum für Tiere und Pflanzen mit ein. Das im bisherigen nationalen Wasserrecht durchgängig anzutreffende, von wirtschaftlichen und wasserbaulichen Gesichtspunkten bestimmte Gewässerbild, das Bäche und Flüsse zu Vorflutern oder Abflusskanälen für Niederschlags- und Abwasser degenerierte, wird damit in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Gewässer im Sinne der Richtlinie sind neben den Oberflächengewässern des Binnenlandes - Bäche, Flüsse, Gräben, Tümpel, Teiche und Seen - die Übergangsgewässer zwischen Süß- und Salzwasser, die Küstengewässer sowie das Grundwasser. Einbezogen werden aber auch jene terrestrischen Ökosysteme, die in besonderem Maße von aquatischen Ökosystemen abhängig oder von diesen bestimmt sind. Somit fallen auch temporäre Überschwemmungsgewässer oder Feuchtgebiete wie Nieder- oder Hochmoore unter der Gewässerbegriff der WRRL.

Bezogen auf die Oberflächengewässer ist es das primäre Ziel der EU-WRRL, für die Oberflächengewässer der europäischen Gemeinschaft bis 2015 einen Zustand zu erreichen, der von dem nahezu unbeeinflussten Zustand nur gering abweicht. Anders als bei der bisher gebräuchlichen physikalisch-chemischen und biologischen Gewässergütebestimmung wird deshalb zukünftig ein Klassifizierungs- und Bewertungssystem zur Anwendung kommen, das den Rahmen der physikalischen, chemischen und biologischen Parameter deutlich erweitert und zusätzlich morphologische Komponenten in die Bewertung einbezieht. Eine wesentliche Neuerung im Wasserrecht ist die Betrachtung von Gewässern anhand ihres potenziell natürlichen Zustands. Die Naturnähe ist jedoch nicht nur Maßstab, sondern zugleich auch Schutzgut, so Borchardt.

Um im Jahre 2015 feststellen zu können, ob das Ziel des guten Zustandes in allen Gewässern erreicht wurde, ist zunächst der aktuelle Zustand der europäischen Gewässer zu ermitteln und kartografisch darzustellen. Angesichts der Vielfalt von Gewässertypen sieht der Anhang II der WRRL als ersten Schritt die Typisierung der Gewässer vor. Im Weiteren müssen für die vermutlich mehreren hundert Gewässertypen die typspezifischen Referenzbedingungen aufgestellt werden, die den sehr guten ökologischen Zustand definieren. Der nächste Schritt ergibt sich aus der Definition der Grenzen zwischen dem sehr guten und dem guten bzw. dem guten und dem mäßigen Zustand. Zur Vermeidung abweichender nationaler Klassengrenzen zwischen sehr gut, gut und mäßig leitet die EU ein Interkalibrierungsverfahren zur Standardisierung der Klassengrenzen ein. Die Klassengrenzen zwischen mäßig, unbefriedigend und schlechtem Zustand sollen die Nationalstaaten hingegen anhand eigener Kriterien ziehen können.

Sobald die Typisierung, die Festlegung der Referenzzustände und die Harmonisierung der Güteklassen-Charakteristika erfolgt ist, muss der Zustand der Gewässer auf der Ebene von Flussgebieten bzw. Teileinzugsgebieten erfasst und in Gewässerzustandskarten dargestellt werden. Da zu erwarten ist, dass sich eine Vielzahl der europäischen Gewässer gegenwärtig nicht in einem guten ökologischen Zustand befindet, müssen auf der Grundlage der "status quo"-Analyse Maßnahmeprogramme und Bewirtschaftungspläne erarbeitet werden, in denen darzulegen ist, durch welche Maßnahmen der gute ökologische Zustand bis 2015 herbeigeführt werden soll. Zu erwarten ist aber auch, dass sich zahlreiche Gewässer als Folge schwerwiegender menschlicher Einflussnahmen in einem Zustand befinden, der die Entwicklung eines guten ökologischen Zustandes nicht mehr möglich macht. Für derartige künstliche oder erheblich veränderte Gewässer (Talsperren, Kanäle, Reservoire usw.) muss zumindest ein gutes ökologisches Potential angestrebt werden.

Die EU-WRRL behandelt neben den Oberflächengewässern auch das Grundwasser. Sie initiiert eine Reihe von Prozessen zum Gewässerschutz und -management. Auf EU-Ebene gehören dazu beispielsweise die Tochterrichtlinie zur Wasserqualität und Emissionskontrolle (Art. 16) oder die Tochterrichtlinie zum Grundwasser (Art. 17). Für Grundwasser wird ein guter quantitativer und ein guter chemischer Zustand gefordert. Zur Erreichung des guten mengenmäßigen Zustandes darf die Wasserentnahme nicht größer sein als die Neubildung. Auch dürfen oberirdische Gewässer und angrenzende Landökosysteme nicht signifikant geschädigt werden. Der gute chemische Zustand ist gegeben, wenn die Qualitätsstandards bestehender Richtlinien flächendeckend für das gesamte Grundwasser eingehalten werden.

Auf eine weitere bedeutsame Neuerung wies der Vortrag von Hans-Wilhelm Tieding (Bezirksregierung Hannover, Hannover) hin. Tieding berichtete über die Notwendigkeit zur Neuorganisation der wasserwirtschaftlichen Zuständigkeiten im Rahmen der WRRL. Die WRRL fordert die Bildung von Flussgebietseinheiten und das einheitliche Flussgebietsmanagement. Diese Forderung ist kein absolutes Novum, da auch das WHG bereits die Erstellung von Bewirtungsplänen für Flussgebiete forderte, dieses allerdings auf Länder-Niveau begrenzte. Die WRRL verfolgt hingegen einen großräumigen Ansatz, in dem sie Landesgrenzen nicht als bürokratische Begrenzungen akzeptiert. Für die Weser, deren Flussgebiet sich über nicht weniger als sieben Bundesländer erstreckt, bedeutet das, dass eine Vielzahl von Länderbehörden beteiligt und koordiniert werden müssen. Darüber hinaus ist weiteren interessierten Stellen, wie Landwirtschaftskammern, Landvolk-, Wasser- und Boden- oder Naturschutzverbänden, die Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben.

Aus Gründen der Praktikabilität erlaubt die WRRL die Aufgliederung der Einzugsgebiete in Teileinzugsgebiete. Das sind Gebiete, aus welchem über Ströme, Flüsse und möglicherweise Seen der gesamte Oberflächenabfluss an einem bestimmten Punkt in einen Wasserlauf (normalerweise einen See oder einen Zusammenfluss von Flüssen) gelangt. Ein Teileinzugsgebiet im Flussgebiet der Weser ist beispielsweise die Große Aue. Für das länderübergreifende Einzugsgebiet (Niedersachsen: 1.032 km2; Nordrhein-Westfalen: 485 km2) erproben das StUA Minden und die Bezirksregierung Hannover modellhaft die Erstellung eines Bewirtschaftungsplanes in fast allen Arbeitsschritten.

Da die WRRL, wie vorangehend bereits dargestellt, auch für das Grundwasser einen guten quantitativen und chemischen Zustand fordert, beschäftigt sich ein weiteres länderübergreifendes Modellprojekt der Bezirksregierungen Hannover und Detmold mit den Schwerpunkten Grundwasserschutz und Landwirtschaft. Ziel des Projektes ist es, so Tieding, noch während der Bestandsaufnahme bis 2004 und rechtzeitig vor den bis 2009 zu erstellenden Maßnahmenprogrammen gesellschaftlich akzeptable Lösungsansätze zu entwickeln und eine gemeinsame Vorgehensweise von Landwirtschaft und Wasserwirtschaft an einem Modellgebiet zu testen.

Der Umsetzungsprozess wird von einem EU-weiten Gremien, dem sogenannten Ausschuss, begleitet. Das erste wichtige Etappenziel ist die Überführung der EU-WRRL in die nationalen Gesetzgebungen bis 2003. Bis 2004 hat die Analyse der Flussgebietseinheiten und die Überprüfung der Auswirkungen der menschlichen Tätigkeiten zu erfolgen. Darüber hinaus ist ein Register der Schutzgebiete mit Richtlinienbezug (FFH, Trinkwasser u.a.) aufzustellen. Bis 2006 sind anwendungsbereite Messprogramme für Menge und Qualität zu entwickeln sowie Bewirtschaftungspläne zu erarbeiten. Die Erarbeitung der Bewirtungspläne wird innerhalb der Einzugsgebiete von einer bis 2003 zu benennenden Behörde federführend koordiniert.
Wichtige Vorraussetzung für den Erfolg der Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und Institutionen sei, so Heide Jekel (Bundesumweltministerium, Bonn) die zügige Verankerung der WRRL in den Wassergesetzen des Bundes und der Länder. Die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes auf Bundesebene gehört daher zu den vordringlichen Aufgaben. Anschließend sind die Wassergesetze der 16 Bundesländer zu novellieren sowie die dazugehörigen Verordnungen zur Umsetzung der Anhänge II und V (Bestandserfassung, Bewertung, Überwachung und Darstellung) zu erarbeiten und zu verabschieden. Dieser Aufgabenkatalog wird bis Ende 2003 abzuarbeiten sein. Zur Verfahrensvereinfachung arbeitet der Bund zur Zeit an Mustervorschriften für Landesverordnungen. Darin sollen verfahrensrechtliche Vorgaben für die Erstellung der Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne einschließlich deren Koordination, die erforderlichen Fristbestimmungen, Regelungen zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit sowie Aussagen zu den Überwachungsvorschriften getroffen werden. Ebenso wie bereits Tieding stellte auch Jekel die Verpflichtung zur Information und Beteiligung der Öffentlichkeit heraus. Offensichtlich habe man, so Jekel, bei der EU-Kommission aus den Fehlern bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie gelernt und sei dieses Mal um einen sehr offenen und transparenten Umsetzungsprozess bemüht. Dabei wären selbstverständlich auch die Naturschutzverbände angemessen zu berücksichtigen. Gleichzeitig räumte sie ein, dass diesbezüglich noch etliche offene Fragen zum Verfahren der Beteiligung der Öffentlichkeit geklärt werden müssten.

Handlungsempfehlungen

In der Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussionen wurde deutlich, dass die EU-Wasserrahmenrichtlinie zwar per se keine Naturschutzrichtlinie ist. Sie trägt aber dennoch eine ganze Reihe naturschutzspezifischer Charakterzüge. Bei konsequenter, d.h. wort- und sinngetreuer Umsetzung wird sie für den Naturschutz an Bächen, Flüssen und Stillgewässern von elementarer Bedeutung sein.

Die Naturschutzverbände sind deshalb gut beraten, sich möglichst frühzeitig und eingehend mit den Zielen und Inhalten der WRRL vertraut zu machen, um sich dann fachlich kompetent in den Umsetzungsprozess einbringen und die sich bietenden Chancen der Mitwirkung nutzen zu können.

Mitwirkungsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten zur Einflussnahme bieten sich für die Verbände

  • im Gesetzgebungsverfahren bei

    • der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes und

    • der Novelle der Wassergesetze der Bundesländer

Dabei sollten sie ihren Einfluss geltend machen, um zu verhindern, dass sich bei der Umsetzung der WRRL ähnliche Mängel auftreten, wie sie infolge der äußerst schleppenden und unvollständigen Umsetzung der EG-Vogelschutzrichtlinie und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu beobachten waren.

  • bei der Erstellung der Bewirtschaftungspläne, Maßnahmepläne und ergänzenden Bewirtschaftungspläne i.S.d. Art. 13 Abs. 5 WRRL durch

    • die Bereitstellung von gewässerbezogenen floristischen und faunistischen Daten,

    • die Mitarbeit in Beiräten, regionalen Koordinierungsgremien oder Arbeitsgruppen,

    • die Thematisierung des Gewässerschutzes und der Bedeutung der WRRL für den Gewässerschutz in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder


Vortragsmanuskripte und Folien

Weiterführende Links zum Thema

  • www.europa.eu.int/comm/environment/water/ (da kann man in allen Sprachen Informationen zum Wasserbereich erhalten)

  • www.bmu.de (Über den Abschnitt Gewässerschutz in der Themenliste gelangt man zur Downloadseite. Dort steht neben der EU-WRRL auch der Text zur Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes zur Verfügung)

  • www.wasser.sh (schleswig-holsteinische Homepage zur WRRL und der landesinternen Umsetzung, sehr informativ)

  • www.panda.org/europe/freshwater/seminars (hier findet man, teils auch in Deutsch, die vom WWF letztes Jahr durchgeführten Seminare zur WRRL, auch mit Infos zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit nach Artikel 14 WRRL)

  • wasserblick.net und www.lawa.de informieren über den aktuellen Stand zur Erarbeitung der Arbeitshilfen zur EU-WRRL


Hier geht's zum BMU

Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.