10 JAHRE FFH-RICHTLINIE - EINE ZWISCHENBILANZ

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie vom 22.11.2002


Ziele und Inhalt

1992 verabschiedete die Europäische Union die Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (92/43/EWG, FFH-Richtlinie).

Die FFH-RL verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU zur Meldung von Gebieten, in denen Lebensraumtypen des Anhangs I oder Arten des Anhangs II der FFH-RL vorkommen. Aus den von den Mitgliedstaaten gemeldeten Gebieten werden von der EU-Kommission nach Art. 4 Abs.2 FFH-RL die "Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung" ausgewählt. Diese sind damit Bestandteil des Schutzgebietes NATURA 2000.

Obwohl die FFH-RL klare zeitliche und inhaltliche Vorgaben zur Umsetzung auf nationaler Ebene macht, liegt Deutschland bei der Umsetzung hinter anderen Mitgliedsstaaten der EU weit zurück. Die Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Jahre 2002 trug diesem Umstand Rechnung. Nicht zuletzt die Bewertungstreffen zu den atlantischen (Juni 2002) und kontinentalen (November 2002) biogeografischen Regionen haben die Kritik der Naturschutzverbände an den bisher unvollständigen offiziellen Meldungen eindrucksvoll bestätigt.

Ziel der Veranstaltung ist es daher, aus Sicht der Naturschutzverbände eine Zwischenbilanz des zehnjährigen Ringens um die Umsetzung der FFH-RL in Deutschland zu ziehen, die Erkenntnisse der Bewertungstreffen zu diskutieren und Strategien für eine vollständige Umsetzung der Richtlinie in enger Zusammenarbeit mit Behörden, Kommunen und Grundeigentümern zu entwickeln.

Ergebnisse

Im ersten Beitrag erläuterte Dr. Hermann Hötker (NABU Bundesverband) die neue deutsche IBA-Liste als Bestandteil von "Natura 2000". Die neue deutsche IBA (Important Bird Areas) -Liste für Europa wurde von Bird Life International erstellt, weil in den europäischen Vogelschutzrichtlinien nicht genau definiert ist, wie Vogelschutzgebiete konkret beschaffen sein müssen. Die EU-Länder sind verpflichtet, ihre Vogelschutzgebiete nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auszuweisen, wenn sie es versäumen, wird die IBA-Liste hinzugezogen.

Die Kriterien, die ein Gebiet erfüllen muss, um als IBA zu gelten, sind genau definiert.

Es gibt: 

  • A-Kriterien für IBAs von globaler Bedeutung

  • B-Kriterien für IBAs von gesamteuropäischer Bedeutung

  • C-Kriterien für IBAs von herausragender Bedeutung innerhalb der Europäischen Union

Diese Kriterien sind jeweils differenziert ausgearbeitet. In Deutschland sind die IBAs in der Regel bisher nur teilweise als BSG (besondere Schutzgebiete) ausgewiesen. Zum Vergleich: 15,8% der Fläche der BRD sind IBAs, aber nur 4,7% sind BSG. Die BSG sind wiederum nur anteilig als Naturschutzgebiete oder Nationalparks ausgewiesen. Einer der Gründe dafür ist, dass bisher kaum Agrarlandschaften als BSG ausgewiesen sind, weil es in diesem Bereich Konflikte mit der Landwirtschaft gibt, die jedoch nicht öffentlich gemacht werden.

In Zukunft soll das primäre Ziel natürlich der vollständige Schutz der IBAs sein. Daneben sollen auch die Vogelschutzrichtlinien durchgesetzt werden, d.h. die betreffenden Gebiete sollen gemeldet und legal geschützt werden und man will Managementpläne für sie erarbeiten. Zur Verbesserung des Ansehens der VSRL soll Monitoring betrieben werden.
Bird Life International will auch die Vorteile einer SPA-Campaign in der Öffentlichkeit deutlich machen. Da die BSG von der EU finanziell unterstützt werden, kann sich die Ausweisung als Schutzgebiet für eine Region durchaus lohnen. Zudem plant Bird Life International das weltweite Monitoring der Vogelbestände.

Dass sich die Ausweisung von Schutzgebieten scheinbar als sehr schwierig gestaltet, hängt an vielen Faktoren:

  • Um Schutzgebiete ausreichend auszuweisen, fehlen oft die Daten, auf diesem Gebiet müsste also viel mehr geschehen.

  • Es wären Öffentlichkeits- und Aufklärungskampagnen vonnöten, was aber schwer machbar ist, weil Bund und Länder nicht daran interessiert sind, die Öffentlichkeit hinreichend zu informieren.

  • Von der Raumplanung werden oft potenzielle Schutzgebiete nicht miteinbezogen, z.B. beim Bau von Windkraftanlagen.

  • Die Regionalplanung kümmert sich häufig nicht um Richtlinien.

  • Wirtschaftliche Interessen haben meistens Vorrang.

Freiwilligkeit und Akzeptanz scheinen also weder auf politischer, noch auf privater Ebene zu genügen.

Im zweiten Vortrag berichtet Friedrich Wulf (NABU LGS Rheinland-Pfalz) über Ergebnisse der Bewertungstreffen zur atlantischen und kontinentalen Region aus der Sicht der Naturschutzverbände - Was wurde erreicht? - Was ist noch zu tun? Vom 5. bis 7. Juni und vom 11. bis 13. November wurde auf den Bewertungstreffen zur atlantischen und kontinentalen biogeografischen Region die Umsetzung der FFH-RL geprüft.

Die Zeitvorgaben besagten:

  • Meldung von Gebieten und nationale Bewertung binnen drei Jahren (bis Juni 1995)

  • Gebietsbewertung und Festlegung durch EU binnen sechs Jahren (bis Juni 1998)

Auf den Bewertungstreffen werden der Reihe nach die Meldungen der Lebensraumtypen und Arten bewertet. Dazu werden gehört:

  • Regierungsvertreter

  • Unabhängige Experten

  • In Deutschland: Bundesamt für Naturschutz

  • Naturschutzverbände

Aufgrund der Äußerungen bewertet die Kommission die Vollständigkeit der Meldungen in Form von speziellen Noten. Neu war diesmal in Potsdam, dass die betreffenden Länder jeweils ausdrücklich genannt wurden.

Die Konsequenzen, die sich aus den Bewertungen ergeben, sind konkrete Handlungsanweisungen für die Regierung:

  • die Länderregierungen müssen bis März 2003 darstellen, wie sie die Defizite zu beheben gedenken

  • bis Ende 2003 sollen die Meldungen vollständig sein

  • es ist ein weiteres bilaterales Treffen für Deutschland angedacht

Auch die Verbände sollen dabei nicht untätig bleiben, sondern Gebietsvorschlägen für alle Lebensraumtypen und Arten in den Ländern, die nicht ausreichend gemeldet haben, erstellen und die Länder benennen, in denen dies noch spezifiziert werden muss. Grundlage dafür ist die Schattenlisten-Datenbank, welche länder- und lebensraumspezifisch durch BfN-Vorschläge sowie durch gezielte Recherchen und neue Erkenntnisse ergänzt werden soll. Aufgabe der Verbände ist es, die Vorschläge zu bündeln und an die EU weiterzuleiten, sowie einen Dialog mit den Ländern zu führen. Ein Vorschlag der Verbände ist die systematische, auf die jeweiligen naturräumlichen Haupteinheiten bezogene Gebietsauswahl zur Bereinigung von regionalen Ungleichheiten und zur Erhöhung der Kohärenz des Systems.

Mit den Ergebnissen der biogeografischen Konferenz wurde unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Länder noch nachmelden müssen. Für die Naturschutzverbände wurde eine Grundlage geschaffen, von den Ländern als Diskussionspartner bei der endgültigen Gebietsauswahl sehr ernst genommen zu werden. Es ist nun möglich, tatsächlich zu einer ausgewogenen Gebietskulisse zu gelangen.

Im Abschlussvortrag berichtet Dr.Matthias Schreiber (Osnabrück) über Methodik und über Ergebnisse der "Sonnenliste" von BUND und NABU für FFH-Gebiete. Die Sonnen- oder Schattenliste der Verbände wird genutzt, um bei den Bewertungstreffen Lücken aufzuzeigen. Diese Liste besteht aus verschiedenen Teillisten, ergänzenden Listen und Regionallisten.

Problematisch ist dabei, dass diese Liste keinen Gesamtüberblick gewährt. Es ist kein Überblick über die auf EU-Ebene wichtigen Bewertungsebenen (biogeografische Regionen) möglich und der Datenbestand ist insgesamt uneinheitlich.

Das von BUND und NABU auf Bundesebene geplante Projekt "nationale FFH-Vorschlagsliste der Verbände" bezweckt die Vereinheitlichung des Datenbestandes, das Schließen von den Lücken, die Vorbereitung der Teilnahme an Bewertungstreffen und den Vergleich mit offiziellen Daten.

Es soll eine Datenbank aufgebaut werden, in der vorhandene digitale raumbezogene Daten zusammengeführt und fehlende Gebiete digitalisiert werden sollen. Sie umfasst ca. 10.100 Gebiete und verschiedene Tierarten und Pflanzen in Form von Zahlen sowie zur besseren Veranschaulichung in Form von Karten.

Zusammenfassung der Ergebnisse und Handlungsempfehlungen

Die Vorträge und Diskussionen dieses Seminars machten deutlich, dass die Aktivitäten der Naturschutzverbände zur FFH-Umsetzung jetzt auf der politischen Ebene Anerkennung finden und es zunehmend zu einer Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen kommt. Denn Tatsache ist, dass Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten auf dem letzten Platz rangiert. Deutschland meldete bisher nur 2,9% FFH-Anteil an der Gesamtfläche, während selbst dichter besiedelte Staaten wie die Niederlande und Belgien zwischen 7% und 9% gemeldet haben. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland kamen im Bereich der Buchen- und Eichenwälder, der Gewässer, Hochmoore und seltener Wiesentypen nicht ihren Meldepflichten nach. Ausreichende Meldungen gab es nur bei den Dünen- und Küstenlebensräumen sowie den Heiden und Trockenrasen. Die Naturschutzverbände bieten für eine unabdingbare schnellstmögliche Nachmeldung den Ländern, Behörden und Kommunen ihre Unterstützung an.

Carlo Engstfeld (NABU-Akademie Gut Sunder)


Weiterführende Links zum Thema


Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.