Marine Fischarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie - Auswahl und Management ihrer Habitate als NATURA-2000-Gebiete

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 27.11. bis 28.11.2001


Einleitung * Meeresnaturschutz zwischen Völkerrecht und nationalen Fachgesetzen * Die NATURA-2000 Gebietskulisse * Anadrome Wanderfische * Brackwassertolerante Fischarten * Fischerei und FFH-Arten * Zusammenfassung


EINLEITUNG

In Deutschland leben 24 Fischarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie: 12 Arten sind in marinen Lebensräumen verbreitet, 7 steigen als anadrome Wanderfische zum Laichen aus dem Meer in Süßwasserlebensräume auf, 5 gelten als brackwassertolerante Süßwasserfischarten. Insbesondere die anadromen Arten verbringen wesentliche Phasen ihres Lebenszyklus im marinen und/oder ästuaren Bereich. In einigen Fällen scheinen hier auch bedeutsame Gefährdungsursachen zu liegen. Zum Schutz dieser Arten erscheint die Sicherung der marinen und/oder ästuaren Teillebensräume im Rahmen des kohärenten ökologischen Netzwerks der FFH-Richtlinie (NATURA 2000) unverzichtbar.

Angesichts der fast durchgängig festzustellenden erheblichen Kenntnisdefizite zur Biologie und Ökologie der marinen Fischarten steht der Naturschutz vor der Herausforderung, die Wissenslücken zu schließen sowie Konzepte zur sach- und fachgerechten Umsetzung der FFH-Richtlinie für marine Fischarten zu erarbeiten.

Ziel des Seminars war es, im Dialog mit Vertretern des Naturschutzes, der Fischerei und der Wissenschaft die fischökologischen Kenntnislücken zu identifizieren, Maßnahmen zur Verbesserung des Wissens um die Biologie und Ökologie der FFH-relevanten Fischarten zu erörtern, Anforderungen für Kriterien zur Auswahl, zur Abgrenzung und zum Management von marinen FFH-Gebieten zu diskutieren.

MEERESNATURSCHUTZ ZWISCHEN VÖLKERRECHT UND NATIONALEN FACHGESETZEN

Bei Fragen des Naturschutzes in den deutschen Hoheitsgewässern der Nord- und Ostsee sowie im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftzone (AWZ) greifen mehrere internationale und nationale Rechtsbereiche ineinander. Prof. Cyzbulka (Juristische Fakultät der Universität Rostock, Außenstelle Warnemünde) erläuterte, dass Regelungen zum Naturschutz zum einen über das Völkerrecht (Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt), im weiteren über das europäische Gemeinschaftsrecht (u.a. EU-Vogelschutzrichtlinie, FFH-Richtlinie) sowie letztendlich über das nationale Grundrecht und die nationalen Fachgesetze getroffen werden. Auf internationaler Ebene bildet ferner das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) einen wichtigen Baustein für das marine Naturschutzrecht.

In Übereinstimmung mit dem Seerechtsübereinkommen hat Deutschland mit Wirkung vom 1. Januar 1995 die Ausweitung des deutschen Küstenmeeres auf bis zu 12 sm sowie die Einrichtung einer AWZ in der Nord- und Ostsee proklamiert. Somit gehören die Küstenmeere in einer Tiefe von bis zu 12 sm zum nationalen Territorium. Im Bereich der Ausschließlichen Wirtschaftszone hat die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 56 SRÜ Nutzungsrechte sowie Hoheitsbefugnisse. Gemäß Artikel 192 SRÜ zählt damit auch der Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt zu den nationalstaatlichen Pflichten. Artikel 194, Absatz 5 verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus zum Schutz und zur Bewahrung seltener und empfindlicher Ökosysteme sowie des Lebensraums gefährdeter, bedrohter oder vom Aussterben bedrohter Arten und anderer Formen der Tier- und Pflanzenwelt des Meeres. Damit wird dem Staat die Aufgabe des Naturschutzes in der AWZ zuteil, wenn auch diese Rechte nur unter der Berücksichtigung der Interessen anderer Meeresnutzer ausgeübt werden dürfen.

Der Begriff des Schutzes von Meeresökosystemen findet sich auch im Oslo-Paris-Übereinkommen (OSPAR) sowie in der Konvention zum Schutz der Ostsee (HELCOM) wieder, die 1992 zwischen 14 europäischen Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien sowie der EU bzw. 1974 (seit 1980 in Kraft) zwischen den 7 Ostsee-Anrainerstaaten abgeschlossen worden.

Flankiert werden die vorgenannten völkerrechtlichen Abkommen durch das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (CBD) oder das Berner Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention).

Die internationalen Rahmenbedingungen für den Schutz mariner Ökosysteme in den deutschen Hoheitsgewässern der Nord- und Ostsee sowie der AWZ können nach Auffassung von Czybulka daher als ausgesprochen günstig beurteilt werden. Daraus darf jedoch nicht die vorschnelle Schlussfolgerung gezogen werden, dass es auch um den tatsächlichen Schutz der marinen Ökosysteme hinreichend gut bestellt ist. Da das Völkerrecht nicht mit „Zähnen" ausgestattet sei und die Nichtbefolgung der vertraglichen Vereinbarungen durch die Unterzeichnerstaaten „nicht weht tut", klaffe – zumindest in Deutschland - zwischen den auf völkerrechtlicher Ebene bekundeten Absichten und den Realitäten eine ziemlich große Lücke. Untermauert würde diese Einschätzung unter anderem dadurch, dass die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit zur Ausweisung von MPAs (Marine Protected Areas) im Rahmen des SRÜ, die von verschiedenen Unterzeichner (z.B. Australien) durchaus erfolgreich genutzt wird, bislang nicht angewendet habe.

Vollkommen anders stellt sich hingegen die Situation im Bereich der hohen See, also jenseits der AWZ, dar. Für diese Gebiete lassen sich keine nationalen Anknüpfungen finden. Es gibt aber bereits erste Ansätze zur Entwicklung von Nutzungsbeschränkungen, um in diesen Gebieten zumindest ein gewisses Maß an Naturschutz verwirklichen zu können. Mit der Vereinbarung zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR), dem Code of Conduct for Responsible Fisheries der FAO von 1995 sowie der UN-Konferenz überweitwandernde Fischbestände (Conference on Straddling and Highly-Migratory Fish Stocks) von 1995 stehen in begrenztem Umfang geeignete Instrumente zur Verfügung.

Im Gegensatz zum Völkerrecht sehen die Regelungen auf europäischer Ebene durchaus auch geeignete Zwangsmaßnahmen vor, mit denen die Mitgliedsstaaten der EU zur Umsetzung und Erfüllung des gemeinschaftlichen Rechts bewegt werden können. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie der EU, die nach Auffassung von Czybulka von der Bundesrepublik Deutschland sowohl in den Hoheitsgewässern als auch in der AWZ ohne Wenn und Aber anzuwenden sind. Hier gelte zweifelsfrei der aus dem internationalen Seerecht abzuleitenden Grundsatz „Wer nutzt, muss auch schützen!" Die Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes im Rahmen des BNatSch-NeuRG wird diesem Sachverhalt erstmals Rechnung tragen, in dem sie u.a. in §30 Absatz 1 Nr. 6 BNatSchG Regelungen zum Biotop- und Habitatschutz im marinen und Küstenbereich trifft, die Ausweisung von Schutzgebieten nach FFH- und EU-Vogelschutzrichtlinie in der AWZ regelt und somit den Meeresnaturschutz deutlich aufwertet.

DIE NATURA-2000-GEBIETSKULISSE IM BEREICH DER DEUTSCHEN KÜSTEN UND MEERE

Dieter Boedeker (Bundesamt für Naturschutz, Insel Vilm) erläuterte in seinem Beitrag zur Frage der Umsetzung der FFH-Richtlinie im marinen Bereich, dass die FFH-Richtlinie sowohl Biotope als auch Arten des marinen Bereichs benennt, für die seitens der Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen zu treffen seien bzw. die beim Aufbau eines kohärenten europäischen Schutzgebietssystems (NATURA-2000-Netzwerk) berücksichtigt werden müssten.

Von den im Anhang I der FFH-RL aufgeführten Lebensräumen von gemeinschaftlichem Interesse sind aus deutscher Sicht insbesondere von Bedeutung:

  • Sandbänke, die ständig vom Wasser überspült sind (z.B. Oderbank)

  • Riffe im Sinne von Bodenstrukturen aus Hartsubstanz (z.B. Kreideriffe nordöstlich von Rügen)

  • Große flache Meeresbuchten und –arme (z.B. Greifswalder Bodden)

  • Ästuare

  • Lagunen und

  • Vegetationsfreies Schlick-, Sand- und Mischwatt

Für diese Lebensraumtypen müssen von allen Mitgliedsstaaten Vorschläge für FFH-Schutzgebiete gemacht werden.

Im weiteren werden, so Boedeker, die Schutzgebiete gemäß EU-Vogelschutzrichtlinie (Special Protected Areas – SPA) in NATURA 2000 eingebunden. Auch viele der von BirdLife international erfassten marinen Important Bird Areas (IBA) erfüllen die Voraussetzungen für eine Ausweisung als SPA, sind jedoch von den Mitgliedsstaaten (noch) nicht als SPA gemeldet worden. Die EU Kommission hat jedoch klargestellt, dass sie diejenigen IBAs, die noch nicht SPAs sind, überwiegend als potenzielle SPAs bewertet und deren Meldung als SPA notfalls auch über den Europäischen Gerichtshof erstreiten werde. Von Bedeutung für die Entwicklung von NATURA 2000 in Nord- und Ostsee sind ebenfalls jene Gebiete, die auf Grund nationaler Gesetzgebung (z.B. Nationalparke, Biosphärenreservate) oder internationaler Übereinkommen (z.B. OSPAR-Konvention zum Schutze des Nordost Atlantiks bzw. Helsinki Konvention zum Schutze der Ostsee) als Schutzgebiete bereits existieren bzw. vorgesehen sind. Hierzu zählen die im Rahmen der Naturschutzarbeit der Helsinki-Kommission ausgewählten sogenannten „Baltic Sea Protected Areas" (BSPA) und weitere Meeresgebiete in den Hoheitsgewässern der Ostsee. Hinzu kommen ökologisch besonders wertvolle marine Gebiete wie der Fehmarnbelt, die Kadetrinne, die Pommersche Bucht mit der Oderbank sowie der Adlergrund in der AWZ der Ostsee sowie Borkum-Riffgrund, verschiedene Teilgebiete im Elbe-Urstromtal, die Doggerbank und der Amrum Außengrund in der AWZ der Nordsee.

In das NATURA-2000-Netzwerk sind gemäß FFH-Richtlinie auch die Lebensräume der in Anhang II genannten Arten einzubeziehen. Tierarten mit Lebensräumen in den deutschen Küsten- und Meeresgewässer sind u.a. der Schweinswal, der Gemeine Seehund oder die Kegelrobbe. Darüber hinaus sind die marin oder küstennah lebenden Vogelarten der EU-Vogelschutzrichtlinie zu berücksichtigen. Klassische marine Fischarten verzeichnet die FFH-Richtlinie hingegen nicht. Es handelt sich vielmehr um Fischarten, die auch in marinen Lebensräumen verbreitet sind, als anadrome Wanderfische zum Laichen aus dem Meer in Süßwasserlebensräume aufsteigen oder als brackwassertolerante Süßwasserfischarten gelten.

Zum Stand der Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland führte Boedeker aus, dass die FFH-Gebietsvorschläge für die Ostsee bisher küstennah und kleinflächig seien. Insgesamt sind derzeit rund 5% des deutschen Ostseegebiets (Hoheitsgewässer) als FFH-Gebiete vorgeschlagen. Eine Reihe von Lebensraumtypen des Anhang I findet sich noch nicht in vollem Umfang in der Gebietskulisse wieder. Gebiete, die aufgrund der Arten des Anhangs II erfasst werden müssten, fehlen vollständig.

Ökologisch wertvolle marine Bereiche in der Ostsee
(Quelle: Bundesamt für Naturschutz, weitere Infos als PDF-Datei)

Wesentlich günstiger stellt sich nach Boedeker die Situation in den Hoheitsgewässern der Nordsee dar. Hier nehmen die FFH-Gebiete eine größere Fläche ein (ca. 50 %), wobei gerade die Einbeziehung der Nationalparkflächen in nennenswerter Größenordnung zu Buche schlägt. Einbezogen sind ein Vogelschutzgebiet östlich von Helgoland sowie das Walschutzgebiet vor Sylt.

Für den Bereich der AWZ laufen zur Zeit noch die Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz. Probleme bereitet derzeit die Zuordnung von Lebensraumtypen im Offshore-Bereich, da es sich bei vielen der identifizierten Lebensräume um enge Verzahnungen von einer Sandbank und Riffen handelt und eine Klassifizierung nach dem „Interpretation-Manual" der EU daher nicht einfach ist. Gebiete, die als Lebensräume der Arten des Anhangs II in die Schutzgebietskulisse aufgenommen werden müssen, konnten bislang nur teilweise berücksichtigt werden. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise für die Hoheitsgewässer das Schutzgebiet für Schweinswale im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.

Ökologisch wertvolle marine Bereiche in der Nordsee
(Quelle: Bundesamt für Naturschutz, weitere Infos als PDF-Datei)

ANADROME WANDERFISCHE

Die Meer- und Flussneunaugen

... leben als ausgewachsene Tiere mehrere Jahre in den Meeresgewässern. Mit Eintritt der Fortpflanzungsfähigkeit führen die laichbereiten Tiere eine einmalige Wanderung in ihre limnischen Laichhabitate durch. Während das Meerneunauge Fließgewässerhabitate mit kiesige Stellen mit einer Wassertiefe von 40-60cm bevorzugt, orientiert sich das Flussneunauge auf beschattete, nur schwach überströmte Kies-Sand-Sedimente. Beide Arten, so Brunken, profitieren außerordentlich stark von Maßnahmen zur Renaturierung und zur Verbesserung der Durchgängigkeit (z.B. Fischaufstiegshilfen) der Bäche und Flüsse. Die Situation des Fluss- und des Meerneunauges stellt sich deshalb gegenwärtig vergleichsweise günstig dar. Die Zahlen deuten auf eine leichte Erholung der Bestände hin.

Trotzdem sieht Brunken noch keinen Grund zur Entwarnung, denn viele Fragen zur Biologie und Ökologie der beiden Formen können nach wie vor nicht beantwortet werden. Dieses betrifft gerade auch detailliertere Kenntnisse zur marinen Lebensphase. Wesentlich mehr als die Tatsache, dass die Querder nach der Metamorphose in marine Gewässerlebensräume abwandern ist nicht bekannt. In den Probebefischungen der Bundesforschungsanstalt für Seefischerei, die regelmäßig in der Deutschen Bucht durchgeführt werden, finden sich Fluss- und Meerneunaugen nur gelegentlich wieder (Hubold). Fricke und Brunken wiesen mit Blick auf die erheblichen Kenntnisdefizite darauf hin, dass es bislang nicht möglich sei, klare Anforderungen an ein Schutzgebietssystem sowie Managementmaßnahmen im marinen Bereich zu formulieren. Das Vorkommen des Flussneunauges ist ebenfalls in der Deutschen Bucht konzentriert. Das Meerneunauge konzentriert sich in geringen Nachweiszahlen auf einen Gebiet zwischen der Elbmündung und Helgoland.

Der Stör

... war zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert noch ein wichtige Wirtschaftsfisch und wurde nach Debus in den Gewässern vor der deutschen und russischen Ostseeküsten sowie in der südlichen Nordsee regelmäßig gefangen. Das Verbreitungsgebiet von Acipenser sturio erstreckte sich ursprünglich von der Ostatlantikküste über Nordskandinavien bis Marokko. Es gab ihn im Mittelmeer und im Schwarzen Meer. Reproduktionsfähige Vorkommen existieren heute noch an der Gironde (Frankreich) und der Rioni (Georgien). Seine Laichwanderungen führten ihn regelmäßig in die Oberläufe von Rhein, Elbe und Oder. Noch in den zwanziger Jahren gelang der Nachweis eines Störs im Ems-Einzugsgebiet. Der letzte Störfang aus der Ostsee datiert für 1996 aus der Riga-Bucht. In den deutschen Nordseegewässern tauchen Störe heute nur noch sporadisch auf. Es handelt sich dabei vermutlich um Abkömmlinge der französischen Reliktpopulation. Für den Ostseeraum für die Rote Liste Deutschlands den Stör als verschollen.

Die Ursachen für das Verschwinden des Störs aus unseren Gewässerlandschaften erscheinen nur auf den ersten Blick eindeutig. Neben klimatischen Veränderungen, Flussregulierungen und Gewässerverschmutzungen wird insbesondere auch die Überfischung als Ursache diskutiert. Russische Forschungsergebnisse deuten nach Debus auf die Zerschneidung der Störlebensräume durch Hochspannungsleitungen und elektrische Felder hin.

Ebenso wie bei den Ursachen für das Verschwinden stellen sich auch für die Zukunftsperspektiven des Störs eine ganze Reihe offener Fragen. Die Verbesserung der Umweltqualitäten sowie noch im Odersystem vorhandene potentielle Laichhabitate (Flussabschnitte mit relativ starker Strömung von bis 2m/sec und Sand- und Kiesbänke) sprechen für den Versuche zur Wiederansiedlung des Störs. Aktuelle morphologische und genetische Untersuchungen lassen allerdings Zweifel am bisher gültigen Artstatus der Ostsee-Störe aufkommen. Die Untersuchungsergebnisse deuten interessanterweise auf eine enge Verwandtschaft der ehemaligen Ostsee-Störe zum nordamerikanischen Stör (Acipenser oxyrhynchus) hin. Für die Nordsee wird hingegen weiterhin Acipenser sturio als autochthone Art diskutiert. Unter diesem Gesichtspunkt ist es ratsam, bis zur Klärung der offenen taxonomischen Fragen auf Maßnahmen wie die Wiederansiedlung zu verzichten.

Die Situation der Clupeidae,

... die in der FFH-Richtlinie mit den beiden Schwesterarten Maifisch und Finte vertreten sind, ist ebenfalls unübersichtlich.

Die Vorkommen der Finte gingen seit den 30er Jahren deutlich zurück, lassen gegenwärtig aber wieder eine leichte Bestandserholung erkennen. Die Laichgebiete liegen unmittelbar oberhalb der Brackwassergrenze. Fricke erläuterte, dass die Eier in den Laichgebieten in Bodennähe abgelegt werden, um somit in Anpassung an die Gezeitensituation flotieren zu können. Ausbaumaßnahmen in den Flussunterläufen, die daraus resultierenden Strukturverluste sowie die Sedimentverfrachtung verhindern nach Fricke in vielen Fällen die erfolgreiche Reproduktion.

Die Meereslebensräume der Finte liegen nach Hubold im wesentlichen in den Gewässern der Deutschen Bucht. In den Probefängen der Fischereiforschung tritt die Finte erstaunlicherweise mit deutlichen jahreszeitlichen Schwankungen auf. Während die Art im ersten, dritten und vierten Quartal häufig nachzuweisen ist, kann sie im zweiten Quartal kaum gefunden werden. Interessant ist, so Hubold, dass die Art im zweiten Quartal auch nicht in anderen Nordseebereichen nachgewiesen werden kann. Die Ursachen für dieses Phänomen sind jedoch vollkommen unklar. Die Daten berechtigt jedoch zu der Schlussfolgerung, dass gerade die deutschen Nordseegewässer einen hohen Stellenwert als Lebensraum der Finte haben, so dass für die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verantwortung beim Schutz und Erhalt der Finte erwächst.

Die Lebensweise des Maifischs sowie die aktuelle Bestands- und Verbreitungssituation liegt weitgehend im Dunkeln. Gegenwärtig kommt diese Heringsart nur noch vereinzelt im Rhein vor. Für Elbe, Weser und Ems gilt sie als verschollen. Aus historischen Daten ist bekannt, dass der Maifisch zur Laichzeit (Mai) in Schwärmen weit in die Flüsse aufstieg, um dort über Schwemmkegeln in ein bis zwei Meter tiefem Wasser abzulaichen. Die Geschlechtsreife tritt im Alter von drei bis vier Jahren ein. Nach dem Ablaichen wandern die Alttiere ins Meer zurück.

In den letzten fünfzehn Jahren trat die Art auch in den Probebefischungen in der Deutschen Bucht nicht auf. Bekannt ist nach Hubold lediglich, dass die Anlandestatistik des Jahres 2000 aus dem deutschen Nordseegebiet den Maifisch in einer Menge von 11 kg aufführt. Über die Situation und Perspektiven kann gegenwärtig nur spekuliert werden.

Der Nordseeschnäpel

... ist ein lachsartiger Fisch, der im Wattenmeer als ausgestorben oder verschollen gilt. Es verwundert deshalb nicht, wenn Schnäpelanlandungen aus dem Nordseegebiet in der deutschen Anlandestatistik von 2000 nicht auftauchen. Früher galt die Art aber durchaus als wichtiger Wirtschaftsfisch für die Elbfischer und brachte große Erträge. Seit den zwanziger Jahren gingen die Bestände drastisch zurück. Auch Besatzmaßnahmen zur Stützung der Bestände verliefen bislang nach Angaben von Fricke erfolglos und führten nicht zur Begründung sich selbst erhaltender Bestände. Ein einziges Kleinstvorkommen soll an der Vidau, einem Grenzfluss zwischen Dänemark und Deutschland, verblieben sein (Pressemitteilung des schleswig-holsteinischen Wattenmeernationalparks vom 11.12.1998).

Der Nordseeschnäpel lebt als erwachsenes Tier in den Nordsee-Ästuaren sowie im Wattenmeer und schwimmt im Winter zum Laichen in die küstennahen Unter- und Mittelläufe der größeren Nordseezuflüsse. Die Art bewegt sich innerhalb eines vergleichsweise kleinen Gebiets zwischen den Ästuaren und Flussunterläufen. Die Abgrenzung der Schutzgebiete ist daher vergleichsweise überschaubar. Dauerhaftes Problem ist aber das Fehlen geeigneter Laichplätze in den Flüssen.

Die Art ist auch in der Ostsee verbreitet. Größere Bestände gab es dort im Bereich der Schlei, des Greifswalder Boddens sowie im Mündungsgebiet der Oder. Bis zu den fünfziger Jahren gingen auch diese Vorkommen drastisch zurück. Hinz berichtete jedoch von Besatzmaßnahmen, die im großen Stil von den Landesfischereiverbänden durchgeführt werden. Darin begründet sich vermutlich auch die mit rund 47.000 kg große Anlandemenge für das Jahr 2000. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass die in der Ostsee vorkommenden Schnäpel im Anhang II der FFH-Richtlinie ausgeklammert werden.

Als weitere Art mit Lebensraumeinschränkungen für der Anhang II der FFH-Richtlinie den Lachs auf. Zwar handelt es sich bei diesem Salmoniden auch um einen anadromen Wanderfisch, der zwischen den marinen Lebensräumen der Adulttiere und den liminischen Laichgebieten wechselt, zu schützen sind aber nur die Teillebensrmäume des Süßwassers. Der Lachs wird daher an dieser Stelle nicht weiter behandelt. Vermerkt werden soll jedoch, dass zu befürchten ist, dass die Wildlachse zunehmend von Farmlachsen aus ihren marinen Habitaten verdrängt werden. Ein Aspekt, der bei der Fortschreibung der Anhänge der FFH-Richtlinie berücksichtigt werden sollte.

Für alle Arten gilt, dass Schutzgebietsüberlegungen machen nur dann Sinn, wenn der Gesamtlebensraum der Art einschließlich der marinen Lebensräume, der Wandergewässer, der Laichgebiete sowie der Aufwuchsgewässer einbezogen wird.

BRACKWASSERTOLERANTE ARTEN

Neben den vorgenannten anadromen Wanderfischen führt der Anhang II der FFH-Richtlinie auch eine Reihe von Arten auf, die brackwassertolerant sind und somit in den Ästuaren oder Boddengewässern vorkommen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u.a. Groppe, Steinbeißer, Schlammpeitzger oder Bitterling.

Für die Vorkommen dieser Arten in den Süßwasserlebensräumen liegen vergleichsweise gute Daten vor. Zwar ergeben sich auch hier, insbesondere dann, wenn es um Detailkenntnisse geht, die für Schutzmaßnahmen und das Management der Vorkommen bedeutsam sind, deutliche Kenntnislücken, die Datengrundlage ist aber zumindest als Argumentationsbasis und zur Entwicklung schemenhafter Schutzszenarien ausreichend.

Vollkommen anders stellt sich hingegen die Lage bei der Beurteilung der Situation in den Brachwasserlebensräumen dar. Hier mangelt es selbst an grundlegenden Befunden, so dass die Formulierung von Schutzanforderungen ausgesprochen schwierig ist. Aus der nachteiligen Datenlage darf aber nicht der Verzicht auf Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Anlass zur Sorge, so Fricke, gibt jedoch das zunehmende Auftreten fremdländischer Artverwandter in den Lebensräumen dieser Kleinfischarten (z.B. Misgurnus anguillicaudatus).

FISCHEREI UND FFH-ARTEN

Die Qualität und Quantität der Interaktionen zwischen den Populationen der FFH-Arten (hier insbesondere die anadromen Wanderfische) lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur schwer beurteilen. Die Arten sind nach wie vor im deutschen Lebensmittelbuch enthalten, so dass die Nutzung zumindest theoretisch möglich wäre. Tatsächlich spielen sich als fischereiwirtschaftliche Zielarten im Moment aber keine nennenswerte Rolle. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht in unter Umständen populationsrelevanten Größenordnungen als Beifänge auftreten können. Als problematisch könnte sich in diesem Zusammenhang die Industriefischerei auf Sprotten erweisen. Die geringe Maschenweiten der Netze dürfte nach Ausführungen von Hubold besonders für Finten relevant ein. Nicht auszuschließen ist auch, dass Störe, Meerneunaugen oder Lachse in den Fängen der Meeres- und Küstenfischerei auftauchen. Hubold regte daher an, sich dieses Fragenkomplexes im Rahmen von Forschungsarbeiten stärker zu widmen sowie im weiteren das Gespräch mit der Fischerei (Berufsverbände, Landwirtschaftskammern, Berufsschulen u.a.) zu suchen, um geeignete Maßnahmen zur Verminderung von Beifängen zu erörtern.

Erheblicher Diskussions- und Klärungsbedarf besteht nach Ansicht der Teilnehmer bei der Vereinheitlichung der Zielvorstellungen der EU auf dem Gebiet der Fischerei- und Naturschutzpolitik. Der europäischen Fischereipolitik fehle bislang ein ökosystemorientierter und vom Vorsorgeprinzip durchdrungener Ansatz des Fischereimanagements. Auch Czybulka beklagte diesbezüglich tiefgehende Differenzen zwischen dem gemeinschaftlichen Fischerei- und Naturschutzrecht. Zudem verwies er darauf, dass das Prinzip der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen auch im UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt, im Un-Fischereiabkommen zum Schutz wandernder und grenzüberschreitender Arten sowie im Verhaltenskodex der FAO für eine verantwortliche Fischerei verankert sei. Das Problem scheint jedoch mittlerweile auch von der EU-Kommission erkannt worden zu sein (vgl. EU-Kommission (2001): Elements of a Strategy for the Integration of Environmental Protection Requirements into the Common Fisheries Policy. COM (2001) 143 final, 16.03.2001).

ZUSAMMENFASSUNG

Betrachtet man den Stand der Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland in der Zusammenfassung, so ist auffällig, das die FFH-Gebietsvorschläge für die Ostsee küstennah und kleinflächig sind. Insgesamt sind rund 5% des deutschen Seegebiets als FFH-Gebiete erfasst. Eine Reihe von Lebensraumtypen des Anhang I findet sich noch nicht in vollem Umfang in der Gebietskulisse wieder. Gebiete, die aufgrund der Arten des Anhangs II erfasst werden müssten, fehlen vollständig.

Wesentlich günstiger stellt sich die Situation in der Nordsee dar. Hier nehmen die FFH-Gebiete insgesamt etwa 50% der Fläche in den Hoheitsgewässern ein, wobei gerade die Einbeziehung der Nationalparkflächen in nennenswerter Größenordnung zu Buche schlägt. Einbezogen sind ein Vogelschutzgebiet östlich von Helgoland sowie das Walschutzgebiet vor Sylt. Für den Bereich der AWZ laufen zur Zeit noch die Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz. Zur Diskussion stehen hier sieben Gebiete (z.B. Doggerbank), die auf der Grundlage von OSPAR als MPAs ausgewiesen wurden. Probleme bereitet die Zuordnung von Lebensraumtypen im Offshore-Bereich, da es sich bei den vorhandenen Lebensräumen vielfach um enge Verzahnungen von einer Sandbank und Riffen handelt und eine Klassifizierung nach dem Interpretation-Manuals der FFH nicht einfach ist. Gebiete, die als Lebensräume der Arten des Anhangs II in die Schutzgebietskulisse aufgenommen werden müssen, konnten bislang nur teilweise berücksichtigt werden. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise das Schutzgebiet für Schweinswale im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.

Als gravierender Mangel erweisen sich bei der Abgrenzung der Anhang II-Habitate die erheblichen Kenntnisdefizite zur Lebensweise und zum Vorkommen der FFH-bedeutsamen Fischarten. Sofern sie anadrome Wanderfischarten sind, liegen die wesentlichen Teile ihres Lebensraumes im marinen und ästuaren Bereich. Zum Ablaichen wandern sie die Flüsse hinauf. Sie sind besonders schwierig zu schützen, da sie einen großen und nicht immer leicht zu ermittelnden Gebietsbedarf haben. Aufgrund der mangelhaften Datenlage konnten bislang keine besonderen Schutzgebiete ausgewiesen werden. Bei Plänen und Projekten, die diese Arten und ihre Ansprüche negativ beeinträchtigen könnten (auch Fernwirkungen), muss der Schutz ihrer Lebensräume u.a. im Rahmen einer UVP gewährleistet werden. Darüber hinaus besteht dringender Handlungsbedarf hinsichtlich der Verbesserung der Kenntnisstände. Sowohl nach Einschätzung der anwesenden Naturschutz- als auch Fischereiexperten arbeitet zur Zeit niemand in den deutschen Küsten- und Meeresgewässern gezielt an der Erfassung und Kartierung der FFH-relevanten Arten. Selbst dann wenn die Arten in Probebefischungen auftreten, unterbleibt die Auswertung der Funde. Verschärft wird die Situation durch das Fehlen erfahrener Ichthyologen und Taxonomen, die bei der nicht immer einfachen Identifizierung bestimmungskritischer Arten (und Altersstufen) herangezogen werden könnten. Bezeichnet ist auch, dass entsprechende Fachkompetenzen offenbar selbst in den fisch- und fischereikundlich arbeitenden Instituten und Einrichtungen nicht vorhanden sind.

Als weiteren Mangel sahen die Teilnehmer das Fehlen eines Gesamtinventars der nationalen Meeresgewässer an. So seien zum Beispiel marine Wirbellose im Meeresnaturschutz gegenwärtig noch vollkommen außen vor. Kritisch zu werten sei ferner, dass echte marine Fischarten in der FFH-Richtlinie nicht vertreten sind. So müsse den mehr als 140 Fischarten, die in der Nordsee festgestellt werden könnten, zukünftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die aktuellen Diskussionen zur Einführung einer Liste gefährdeter Meeresfische im Rahmen von OSPAR offenbarten einen diesbezüglichen Handlungsbedarf. Diese gelten wohl insbesondere für Arten wie Aal, Riesenhai (nur Irrgast), Hering (Clupea harengus), Dorsch (Gadus morhua), Hundshai, Heringshai, Blauhai, Rochen, Sardine, Dornhai oder Atlantischer Lachs.

Positiv bewerteten die Teilnehmer, dass mit der Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes erstmals auch der Meeresnaturschutz in der deutschen Fachgesetzgebung verankert werden wird. Nachteilig sei jedoch, dass zu Themen wie Eingriffsregelung, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den marinen Bereich keine Aussagen getroffen würden.

Intensivere Diskussionen entwickelten sich bei der Frage der Kohärenz des Biotopverbunds im marinen Gebiet. Zum gegenwärtigen Verfahrensstand berücksichtigen weder die FFH-Gebietskulissen der Ostsee noch der Nordsee den Aspekt der Kohärenz. Diese Frage wird auch erst im weiteren Verfahrensgang und nach abschließender Identifizierung der relevanten Lebensraumtypen des Anhangs 1 sowie der Habitate der Arten des Anhangs II beantwortet werden können. Es steht zu erwarten, dass gerade die Anhang II-Habitate einen wichtigen Beitrag zum Lückenschluss und zur Kohärenz liefern werden. Über weitere Gebiete, die Bedeutung als marine Trittsteine und Korridore (z.B. Kadettrinne, Bänke) haben (könnten), wird dann abschließend zu entscheiden sein. In diesem Zusammenhang wird auch über abiotische Verbundelemente wie zum Beispiel Meeresströmungen nachzudenken sein.

Bereits heute deutet sich jedoch schon die herausragende ökologische Bedeutung der Kadettrinne als Verbundelement an. Da die Kadettrinne als Tiefwasserbereich auch für den Schiffsverkehr in der Ostsee von herausragender Bedeutung ist, werden Lösungen zum Abgleich der divergierenden Interessen von Verkehr und Naturschutz gefunden werden müssen. Dabei sollten nach Ansicht der Teilnehmer Befahrungsregelungen nach internationalen Seerecht und die Ausweisung des Gebiets als Particular Sensitive Sea Area (PSSA) angestrebt werden, zumal auch weitere ökologisch sensible Teile der Ostsee über das Helsinki-Abkommen zur Benennung als PSSA anstehen.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder


Weiterführende Links zum Thema


Hier geht's zum BMU

Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.