Die Bedeutung der Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie für den Schutz von Lebensräumen und Lebensgemeinschaften |
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Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 17. bis 18.12.2001 |
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Um die Entstehung der FFH-Richtlinie und insbesondere die Artenlisten ihrer Anhänge ranken sich unter Artenschutzspezialisten eine Reihe von Gerüchten, Vermutungen und Spekulationen. Anlass dafür ist, dass vermeintlich wichtige, weil seltene oder gefährdete Arten nicht aufgeführt werden (z.B. Endemiten), während andere, unter Umständen häufigere und verbreitete Spezies genannt sind. Aus naturschutzfachlicher Richtung wird gelegentlich versucht, die Zusammensetzung der FFH-Artenlisten mit Zielarten-Aspekten zu begründen. Demnach gingen über die spezifischen Habitatbedürfnisse der dort genannten Arten besondere Qualitätsmerkmale in das aufzubauende Biotopverbundsystem ein, die ansonsten allein über die Klassifizierung der Biotoptypen des Anhangs I nicht erzielt werden könnten. Zur Beantwortung der Frage, ob eine Interpretation der Artenlisten des Anhangs II in Richtung auf moderne Zielarten-Konzepte tatsächlich möglich ist und ob sich die EU-Kommission bei der FFH-Richtlinie vom Gedanken des Zielarten-Artensatzes hat leiten lassen, erschien es zunächst wichtig, die Entwicklung der FFH-Richtlinie und ihrer Anhänge im historischen Rückblick zu betrachten. Oliver Schall, der als Mitarbeiter der EU-Kommission das Werden der FFH-Richtlinie über einen vergleichsweise langen Zeitraum begleitete und mitgestaltete, zeigte in seinem Beitrag auf, dass sich die EU-Kommission bei der Erarbeitung der FFH-Richtlinie sicherlich nicht von der Theorie der Zielarten leiten ließ. Ziel der im Jahre 1986 von Stanley Jonson (Mitglied des Europäischen Parlaments) und EG-Kommissar Stanley Clinton Davis gestarteten Gesetzgebungsinitiative sei es gewesen, die Naturschutzaktivitäten der EG nicht nur auf den Schutz der Vogelwelt (EG-Vogelschutzrichtlinie) zu begrenzen, sondern einen umfassenderen Beitrag zum Schutz des gemeinschaftlichen Naturerbes zu leisten. Zudem gehörte die Europäische Gemeinschaft zu den Unterzeichnern der Berner Konvention und war somit gehalten, deren Ziele in gemeinschaftliches Recht einzubinden. Der von Direktor Brinkhorst und Claus Stuffmann 1988 vorgelegte erste Entwurf orientierte sich deshalb in starkem Maße und insbesondere auch bei den Artenlisten an den Inhalten der Berner Konvention. Darüber hinaus beauftragte man das Königliche Naturkundemuseum in Brüssel mit der Erarbeitung zusätzlicher Empfehlungen. Im weiteren Entstehungsprozess brachten dann die Mitgliedstaaten Veränderungs- und Ergänzungswünsche ein. Die Anhänge der FFH-Artenlisten sind daher das Ergebnis eines intensiven Diskussionsprozesses, in dem neben biologischen, ökologischen und naturschutzfachlichen Gesichtspunkten in besonderem Maße auch politische Gewichtungen eine Rolle spielten. "Flagship-" oder Zielarten-Ansätze standen, so Schall abschließend, bei der Erstellung der Artenlisten nicht Pate bzw. waren - wenn überhaupt - nur am Rande von Bedeutung. Nicht desto weniger erschien es interessant, sich im Laufe der weiteren Veranstaltung am Beispiel ausgewählter Artengruppen mit der Frage zu beschäftigen, ob und in welchem Maße diese als Zielarten betrachtet werden können und ob durch ihre Einbindung in die FFH-Richtlinie ein qualitativer Zugewinn für das zukünftige NATURA-2000-Schutzgebietssystem erreicht wird. Ein Aspekt, der nicht zuletzt auch deshalb diskussionswürdig erschien, da etliche Bundesländern sich bei der Meldung von FFH-Gebieten vorrangig auf die Lebensräume des Anhangs I konzentrierten und die Lebensräume der Arten des Anhangs II nicht selten außer Acht lassen. So berichteten Seminarteilnehmer, dass Hessen beispielsweise die Habitate von Fledermäusen erst nach Aufforderung nachmeldet habe und die wichtigsten rheinland-pfälzischen Schmetterlingsvorkommen lägen außerhalb der FFH-Schutzgebietskulisse. Als weiteres Beispiel wäre auch der Kammolch zu nennen, dessen Repräsentanz in den Gebietsmeldungen der einzelnen Bundesländer von Andreas Krone mit ca. zwei Prozent in Mecklenburg-Vorpommern bis etwa 35 % in Berlin angegeben wurde. In ihren Beiträgen über die Libellen, Fische und Amphibien des Anhangs II der FFH-Richtlinie ließen Schnoor, Brunken und Krone kaum Zweifel daran, dass die Betrachtung von Zielarten oder Zielarten-Kollektiven dem Naturschutz sowohl auf fachlicher, planerischer als auch auf rechtlicher Ebene grundsätzlich wichtige Dienste leisten könnte. Über Zielarten wäre man in der Lage Naturschutzziele nicht nur transparent zu gestalten, sondern zugleich auch klare Ansatzpunkte für Erfolgskontrollen zu benennen. Die Betrachtung der Arten im Einzelnen zeigte aber, dass die Mehrzahl der gegenwärtig im Anhang II genannten Arten dem Anspruch des Zielarten-Konzepts wohl nicht gerecht wird. Bei fast allen aufgeführten Libellenarten handelt es sich, so Schnorr, um Besiedler von Fließgewässer-Habitaten. Ihre Habitate seien durch die Biotoptypen des Anhangs I bereits hinreichend erfasst und ihr Beitrag zum Aufbau eines kohärenten Schutzgebietsystems müsse dementsprechend als gering eingeschätzt werden. Lediglich C. hylas, eine Libellenart, die sich durch einen umfassenden Lebensraumanspruch auszeichnet, der nicht allein durch die Einbeziehung von Fließgewässerhabitaten abgedeckt werden kann, da die Art phasenweise auch isolierte Tümpel im Auenbereich benutzt, brächte ein zusätzlich Qualitätsmerkmal in das Schutzgebietssystem herein. Einen Zugewinn erfährt das NATURA-2000-Netzwerk nach Einschätzung von Heiko Brunken auch über die im Anhang II genannten anadromen Wanderfischarten. Auch sie sind durch ausgesprochen komplexe Habitatansprüche gekennzeichnet. Ihr Erhalt gelingt nur, wenn der Schutz aller Teillebensräume vom marinen bis zum limnischen Bereich gewährleistet werden kann und auch die Verbindungsgewässer zwischen den Teillebensräumen frei passierbar sind. Aus der Gruppe der Amphibien erfüllt nach Angaben von Andreas Krone insbesondere der Kammolch die an eine Zielart zu stellenden Anforderungen. Der Kammolch besiedelt die verschiedensten Stillgewässer, ist aber auch auf terrestrische Überwinterungshabite angewiesen. Die Art steht damit für den Erhalt übergreifender landschaftlicher Zusammenhänge sowie die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen und leistet dadurch einen nicht unwesentlichen Beitrag für die Kohärenz des NATURA-2000-Netzwerkes. Ausgehend von diesen Erkenntnissen wäre der Naturschutz gut beraten, sich zukünftig verstärkt der Beschreibung/Benennung von geeigneten Zielarten oder Zielarten-Kollektiven zu widmen und sie konsequent in seine Vorhaben (von gesetzlichen Regelwerken bis hin zu Erfolgskontrollen) einzubeziehen. Als Zielarten sollten dabei insbesondere jene Arten in Betracht gezogen werden, die
Voraussetzung dafür ist aber die deutliche Intensivierung der Zielarten-Forschung, denn selbst bei jenen Arten, über die bereits vergleichsweise gute ökologische Wissensstände vorliegen, fehlen häufig detaillierte, spezifische, ökologische Daten, die zur Beantwortung wichtiger Fragen (Größe einer minimal überlebensfähigen Population, Flächenbedarf, Habitatqualität usw.) zwingend notwendig sind. Als ausgesprochen unbefriedigend stellen sich in diesem Zusammenhang auch die Kenntnisse zur Verbreitung der Arten dar. Es fehlt - mit Ausnahme der Florendatendank des Bundesamt für Naturschutz und dem zur Zeit in der Erarbeitung stehenden digitalen Fischatlas - nicht nur an einer guten Gesamtschau der Arten auf nationaler Ebene, sondern selbst an systematischen Erfassungen aus der Ebene der Bundesländer. So bemängelten die Veranstaltungsteilnehmer, dass beispielsweise Rheinland-Pfalz bis heute nicht in der Lage gewesen sei, ein landesweites Tier- und Pflanzenartenkataster aufzubauen. Auch in Hessen gäbe es keine systematischen landesweiten Artkartierungen und in Thüringen sei die Situation ausgesprochen mager, da das Artenkataster im wesentlichen auf ehrenamtlicher Ebene zusammengetragen würde. Positive Akzente und damit nachahmenswerte Beispiele setzten hingegen das niedersächsische Tier- und Pflanzenarten-Erfassungsprogramm und die über Werkverträge erstellten sächsischen Floren-, Brutvogel- und Fischatlanten. Ein biologisch-ökologisch und naturschutzfachlich fundiertes Zielartenkonzept auf gesamtstaatlicher Ebene wäre nach Auffassung der Teilnehmer ein wichtige Planungsgrundlage für den Aufbau eines nationales Biotopverbundsystems. Auch gäbe es wichtige Hilfestellungen für die Eingriffsplanungen. Ein derartiges Naturschutzkonzept könnte darüber hinaus wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie geben, in dem die zu Grunde liegenden Ansätze (s. oben) sowohl für die Erarbeitung eines gesamteuropäischen Zielartenkonzepts herangezogen würden als auch im weiteren Es ließen sich beispielsweise Artenlisten erstellen, die nach den Differenzierungskriterien
aufgestellt würden. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder Zitatempfehlung: |
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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder. |
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