Von Nachbarn lernen! - Erfolgsmodelle des Naturschutzes im internationalen Vergleich
Zusammenfassung der Ergebnisse des Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 12. und 13.12.2001

Das Ziel des Erhalts, des Schutzes und der Verbesserung der natürlichen Lebensbedingungen konfrontiert den staatlichen und privaten Naturschutz in vielen Länder mit vergleichbaren Herausforderungen. In Abhängigkeit von den landesspezifischen Rahmenbedingungen werden bei der Bewältigung der Aufgaben unterschiedliche Wege beschritten.

Ziel des Seminars war es, an ausgewählten Kernaufgaben aus dem Bereich des staatlichen sowie des privaten Naturschutzes unterschiedliche Lösungsansätze und -wege vorzustellen, zu diskutieren und im weiteren zu schauen, was wir von unseren Nachbarn für die Weiterentwicklung des Naturschutzes in Deutschland lernen können. Die Ergebnisse sollen im folgenden schlaglichtartig wiedergegeben werden:

Naturschutz muss Daten sammeln!

Unabhängig davon, in welchem Land der Erde Naturschutz betrieben wird, benötigt er für die Definition seiner Ziele und Maßnahmen eine ausreichend gute Datengrundlage. Schutzgebiete für Tier- und Pflanzenarten können sinnvollerweise nur dort eingerichtet werden, wo die Tier- und Pflanzenarten auch vorkommen oder zumindest potentiell leben könnten. Darüber hinaus bedarf es detaillierter Kenntnisse zur Lebensweise der Arten. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass Schutzgebiete entsprechend dimensioniert, gepflegt und entwickelt werden können. Auch die Umsetzung der FFH- und der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ist ohne gute Datenkenntnis nicht vorstellbar. Und wie soll der Aufbau eines bundesweiten Biotopverbundsystems gelingen, wenn die zur Auswahl und Abgrenzung der Flächen erforderlichen Kenntnisse fehlen?

In Deutschland fällt die Aufgabe der Erhebung von Daten zur biologischen Vielfalt in die Kompetenz der Bundesländer. Die Bundesländer räumen dieser Aufgabe einen zum Teil sehr unterschiedlichen Stellenwert ein. Während Niedersachsen mit seinem Tierartenkataster über eine vergleichsweise gute Datengrundlage verfügt, sind für andere Bundesländer diesbezüglich gravierende Mängel festzustellen. Für den Abgleich und die Auswertung von Daten auf nationaler Ebene kommt erschwerend hinzu, dass die vorhandenen faunistischen und floristischen Datenbanken der Bundesländer häufig nach unterschiedlichen Kriterien aufgebaut worden sind und die verschiedenartigen technischen und methodischen Standards den Datenaustausch erschweren. Abgesehen davon mangelt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage.

Vor diesem Hintergrund darf das von Karin Schneider (Eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau - FAL) vorgestellte Beispiel des Schweizer Zentrum für Kartographie der Fauna (SZKF) als richtungsweisend angesehen werden. Das SZKF hat sich zum Ziel gesetzt, auf nationaler Ebene möglichst viele Informationen über die Fauna der Schweiz zusammenzutragen und auszuwerten. Der besondere Reiz des Projekt besteht jedoch darin, dass sich das SZKF nicht auf die Sammlung und Dokumentation beschränkt, sondern die erhobenen Daten mit weiteren landschaftsökologisch bedeutsamen Daten unterlegt, um somit in die Lage versetzt zu werden, die Wirkung von Eingriffen in den Naturhaushalt bereits im frühen Planungsstadium simulieren und abschätzen zu können.

Für den Naturschutz in Deutschland ist die Orientierung an dem Schweizer Vorbild zu empfehlen. Seitens des Gesetzgebers sollten die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die beispielsweise das Bundesamt für Naturschutz in die Lage versetzen faunistische, floristische und biotopspezifische Daten auf nationaler Ebene zu sammeln, auszuwerten und dem Naturschutzmanagement sowie der Eingriffsplanung verfügbar zu machen.

Naturschutz muss planen!

Gute Planung und Vorbereitung sind in vielen Lebensbereichen eine zwingende Voraussetzung für den Erfolg. Ein schlecht vorbereitetes Essen im Kreis von Geschäftsfreunden läuft Gefahr, sich zu einem Desaster zu entwickeln, wenn dringend notwendige Lebensmittel nicht eingekauft worden sind, die Menge der Getränke zu gering kalkuliert wurde oder der Lieblings-Cognac des Chefs fehlt.

Was der Planung erfolgreicher Ereignisse im privaten Umfeld Recht ist, sollte, so Norbert Schäffer vom RSPB, dem Naturschutz billig sein. Ebenso wie die private Feier oder die Urlaubsreise mit der Familie, wollen auch die Vorhaben und Projekte des Naturschutzes gut geplant und vorbereitet sein. Dieses gilt nach seinen Erfahrungen als Verantwortlicher für die internationalen Aktivitäten des RSPB um so mehr, je größer und anspruchvoller die Naturschutzvorhaben sind. Denn: Die Entwicklung von Strategien, die Definitionen von Zielen und ihre anschließende Umsetzung bedürfen der Planung, damit:

  • die eigentlichen Ziele nicht aus dem Blickfeld zu verschwinden,

  • die Ressourcen sinnvoll verteilt und eingesetzt werden können,

  • die Identität gewahrt beliebt,

  • die Ergebnisse bewertet werden können und

  • "Nein"-Sagen möglich wird.

Der RSPB setzt als national und international tätige Vogelschutzorganisation bereits seit vielen Jahren und mit großem Erfolg auf die stringente Planung seiner Projekte. Der bei etlichen privaten Naturschutzorganisationen immer wieder zu beobachtenden Regel, die besagt, dass "jede Sau, die sich anbietet, auch durch's Dorf getrieben wird", versucht der RSPB konsequent zu entgehen. Seines Erachtens sind "viele Abendessen mit der Familie oder mit Freunden häufig besser geplant als so manches Naturschutzprojekt".

Die Einsicht in die Notwendigkeit zur langfristigen Planung und zu langfristigem Handeln auf Seiten des Naturschutzes ist auch in Deutschland durchaus vorhanden. Im Sinne von Landschafts- oder Eingriffsplanung findet Planung als vorsorgeorientiertes Instrumentarium durchaus Akzeptanz. Darüber hinaus besteht nach Auffassung der Teilnehmer aber durchaus Nachholbedarf in Sachen naturschutzorientierter (Projekt-) Planung. Nicht wenige Vorhaben des Naturschutzes (insbesondere des ehrenamtlichen) werden eher aus dem Bauch heraus, denn mit Hilfe des Kopfes entwickelt. In der Folge fehlt es nicht selten an klar definierten und erreichbaren Zielen, vorformulierten Maßnahmeschritten und überprüfbaren Erfolgskriterien.

Als gravierender Schwachpunkt vieler Naturschutzvorhaben trat im Laufe der Diskussionen die mangelnde Bereitschaft zur Konzentration auf inhaltliche Schwerpunkte zu Tage. So konzentriert sich der Amphibienschutz an Straßen nicht nur auf den Bau von Krötentunneln und Ersatzlaichgewässern, sondern nimmt gleichzeitig auch die Mobilitätsprobleme unserer Gesellschaft, die Ausweitung des Güterverkehrs auf den Autobahnen und den Bau weiterer Fernstraßen ins Visier. "Wer antritt, die Welt zu retten, wird sich unmöglich mit der Rettung eines lokalen Erdkröten-Vorkommens zufrieden geben können." 

Die Gefahr des Scheiterns wird dabei geflissentlich in Kauf genommen, um sich nicht den Vorwurf der ökologischen Engstirnigkeit machen zu müssen. Diese Grundhaltung negiert, dass sich der Naturschutz in einem gesellschaftlichen Umfeld bewegt, in dem er im Wettbewerb mit anderen Interessen steht. Je konkreter er seine Ziele definiert, desto leichter werden sie erreicht werden können. "Gegen die Zerschneidung der Lebensräume aktiv werden!", ist deshalb zu vage formuliert. Etwas konkreter wäre die Forderung: "Biotopverbund auf mindestens 10% der Landesfläche!" Präzise und exakt nachvollziehbar wäre hingegen die Aussage: "Eine Grünbrücke pro 20 km Autobahnlänge!"

Je genauer der Naturschutz seine Forderungen formuliert, desto besser kann er an ihrer Umsetzung arbeiten und desto verlässlicher sind seine Forderungen von den Nutzungskonkurrenten einzuschätzen. Ferner muss der Naturschutz berücksichtigen, dass Ziele erreichen ein dynamischer Vorgang ist, der immer wieder überdacht und an neue Situationen angepasst werden muss. Dazu gehört auch die Bereitschaft Alternativen zu suchen, Kompromisse einzugehen und die Ziele ggf. erst über Umwege zu erreichen.

Naturschutz muss sich vernetzen!

Wenn im Naturschutz von Netzwerken und Netzwerkbildung gesprochen wird, ist meistens Biotopverbund gemeint. Bei Netzwerken kann es sich aber auch um Verbundsysteme von Menschen und Organisationen handeln, die Informationen und Wissen austauschen, die Problemstellungen in das Netzwerk einbringen und mit Unterstützung der Mitglieder des Netzwerks Lösungen generieren. Die Bildung von Kommunikations-Netzwerken empfiehlt sich auch für den Naturschutz. Das Aufgabenspektrum des Naturschutzes ist ausgesprochen weitreichend und komplex. Die zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen sind hingegen in der Regel ausgesprochen knapp bemessen. Unter diesen Rahmenbedingungen lassen sich Erfolge nur dann erzielen, wenn die Arbeiten gut organisiert und die Lasten möglichst auf mehrere Schultern verteilt werden. Beides macht die Bildung von Netzwerken, so Norbert Schäffer und Michael Brombacher, sinnvoll und notwendig. Netzwerke bieten darüber hinaus den Vorteil, dass sie sich flexibel an den jeweiligen Zielsetzungen und Aufgabenstellungen ausrichten lassen. Ein Netzwerk entwickelt auf internationaler Ebene Konzepte zum Schutz von Karpfenteichwirtschaften. Ein anderes koordiniert auch regionaler Ebene die Aktivitäten zur Ausweisung eines Großschutzgebiets und ein lokales Netzwerk tauscht Informationen zum Fledermausschutz aus. 

Der ehrenamtliche und der behördliche Naturschutz in Deutschland wären gut beraten, wenn sie Netzwerke verstärkt als Instrumente der Informationsaustausches und Wissenstransfers einsetzen würden. Netzwerke funktionieren jedoch nur dann erfolgreich, wenn die beteiligten Organisationen und Personen nicht nur Leistungen entgegennehmen, sondern solche auch an andere Organisationen oder Personen abgeben. Anders ausgedrückt: Netzwerke leben vom Geben und Nehmen. Richtig eingesetzt, können Netzwerke daher einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Naturschutzes leisten und die im Netzwerk zusammenarbeitenden Naturschutzakteure in ihrer täglichen Arbeit unterstützen.

Die Naturschutzverbände, aber auch der behördliche Naturschutz, sollten daher die Netzwerkbildung in ihren Organisationen, Unterorganisationen oder Arbeitsgemeinschaften unterstützen und fördern. Gedacht ist dabei jedoch weniger an die materielle Unterstützung, sondern vielmehr an die  Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen für den Aufbau von und die Arbeit in Netzwerken. Dazu bedarf es der systematischen Fortbildung der Naturschutzakteure im "networking", denn vielfach verhindern Berührungsängste und Unsicherheiten den Aufbau von Netzwerken. Die Folge ist, dass sich gegenwärtig Netzwerke im Naturschutz noch zu oft auf punktuelle Initiativen und die persönliche Tatkraft einzelner Akteure gründen. 

Naturschutz muss kooperieren!

Der Naturschutz konzentriert sich bei der Begründung seiner Ziele und Maßnahmen meistens auf wissenschaftliche Erkenntnisse und das Wissen über die Natur und die ökologischen Zusammenhänge. Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung werden dazu eingesetzt, dieses Wissen an die Bevölkerung und die betroffenen Nutzergruppen heranzutragen. Auf diese Weise, so die Erwartung, ließen sich Einsichten vermitteln und im weiteren könne Verständnis für die Belange des Naturschutzes geweckt werden. In der Praxis schlagen diese Ansatz jedoch nicht selten fehl; denn die Ablehnung von Naturschutzmaßnahmen ist vielfach keine Frage mangelnden Umweltwissens, sondern der Bereitschaft zur individuellen Einschränkung und zum Nutzungsverzicht. Genährt wird die ablehnende Haltung darüber hinaus durch Defizite im gegenseitigen Vertrauen und durch unaufgeklärte Missverständnisse. 

Durchbrechen lässt sich der Teufelkreis der beiderseitigen Akzeptanzprobleme nur durch Kooperation und Partizipation im Sinne von "Eine Hand wäscht die andere!" oder "Gibst Du mir, gebe ich Dir!". Hinter diesen Floskeln verbirgt sich nichts anderes als die Idee der Schaffung von Gewinner-Gewinner-Situationen. 

Ein nachahmenswertes Beispiel für ein erfolgreiches Gewinner-Gewinner-Projekt im Naturschutz ist der von Fernand Schoos vorgestellte kommunale Zweckverband SICONIA in Luxemburg. Durch die Gründung des gemeindeübergreifenden Zweckverbandes gelang es, Gemeinden und Grundeigentümer wesentlich stärker als bisher in Naturschutzaufgaben einzubinden sowie gleichzeitig Strukturen zu schaffen, die Kontinuität gewährleisten und finanzierbar sind.

Zwar existieren auch in Deutschland bereits verschiedene Zweckverbände mit naturschutzspezifischer Aufgabenstellung (z.B. Zweckverband Naturschutz Drömling, Zweckverband Gewässerrandstreifenprojekt Spreewald, Zweckverband Naturpark Solling/Vogler), insgesamt ließe sich dieses Instrument im Sinne der stärkeren Wahrnehmung der kommunalen Naturschutzverantwortung noch ausweiten. So könnten Zweckverbände nach luxemburgischen Vorbild den Kommunen beispielsweise bei der Landschaftspflege oder bei der Umsetzung von Landschaftsplänen unter die Arme greifen.

Einen anderen, aber ebenso beispielhaften Weg der Kooperation beschreitet das Projekt der RAMSAR-Schutzgebietsbetreuung am Ammersee. Auslöser für die Schaffung einer hauptamtlichen Schutzgebietsbetreuung waren tiefsitzende Akzeptanzprobleme in Teilen der örtlichen Bevölkerung. Grundeigentümer und Flächennutzer zeigten ein geringes „Schutzbewusstsein“. Kommunalpolitiker brachten dem RAMSAR-Gebiet starke Vorbehalte entgegen. Die Aufgabe des hauptamtlichen RAMSAR-Betreuers, so die Überlegungen des LBV (Landesbund für Vogelschutz in Bayern) und des bayerischen Umweltministeriums, sollte es sein, aus einer vergleichsweise neutralen Position heraus das Gespräch mit den Befürwortern und Kritikern zu suchen und die Ziele und Aufgaben des RAMSAR-Gebiets transparent zu machen. Innerhalb weniger Jahre gelang es zumindest partiell, so Christian Niederbichler, den RAMSAR-Betreuer als zentrale Ansprechstelle für die Menschen in der Region zu etablieren und verschiedene für die Gebietsentwicklung wichtige Interessengruppen (z.B. Landwirte) als Partner zu gewinnen.

Die RAMSAR-Schutzgebietsbetreuung hat ebenso wie die Arbeit der bayerischen Biber- und Luchsbetreuer oder das BirdLife-Konzept der IBA-Caretaker zweifelsohne Vorbildcharakter, wenn es um Fragen der Konfliktvorbeugung und -bewältigung im Arten- und Flächenschutz geht. Die Notwendigkeit ihres Einsatzes und die Erfolge ihrer Arbeit sind Ausdruck dafür, dass das im Naturschutz auch heute noch häufig zu findende Top-Down-Vorgehen erfolgsbremsend ist. Richtiger und erfolgversprechender wäre - sofern es sich nicht um Vollzugsaufgaben handelt - eine auf Mitbestimmung basierende Verfahrensweise, die die lokale Bevölkerung in Naturschutzprojekte mit einbezieht. Mitgestalten lassen statt Ausgrenzen sollte der Grundsatz lauten.

Naturschutz muss stolz machen!

Naturschutz steht vielfach im Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Interessen oder er findet sich in einem gesellschaftlichen Umfeld wieder, in dem die politisch Verantwortlichen anderen Zielen eine höhere Priorität einräumen. Nicht selten unterliegt der Naturschutz im Wettstreit mit vermeintlich höherwertigen Zielen wie der Förderung der Wirtschaft, der Schaffung neuer Arbeitsplätze oder der Erschließung bislang ungenutzter Ressourcen. Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass sich der Naturschutz darum bemüht, seine Vorhaben auch mit Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung oder der Verbesserung der Einkommenssituation zu verknüpfen. Diese Wege versucht der NABU, so Michael Brombacher (NABU Projektbüro Internationales), auch bei seinen Projekten in Zentralasien zu gehen. Dabei zeigt sich, dass die Hoffnung auf Prosperität nicht die einzige Triebfeder für ein Engagement zugunsten des Naturschutzes ist. Als ebenso wichtig erweist es sich, die Menschen auch auf einer eher emotionalen Ebene für den Erhalt der einzigartigen Landschaften zu gewinnen. Der NABU ist deshalb bestrebt, die Bevölkerung durch eine intensive Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit für ihre Natur zu begeistern. Diese Maßnahmen berühren in erster Linie den Heimatstolz der Menschen, vermitteln ihnen ein neues Wertgefühl, geben Anerkennung und tragen so dazu bei, nationale/regionale Identitäten zu entwickeln und zu stärken. Die Hoffnung der Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen auf die internationale Anerkennung ihrer Leistungen im Naturschutz scheint zu einem bedeutenden Gunstfaktoren für die Naturschutzprojekte des NABU in Zentralasien zu werden.

Auch der Naturschutz in Deutschland sollte prüfen, ob und in welchem Maße sich kulturelle Werte wie Stolz, Heimatgefühl und regionale Identität stärker als bisher in die Begründung seiner Vorhaben einbeziehen lassen und auf diese Weise Gewinner-Gewinner-Situationen herbeigeführt werden können. Denn wer stolz auf seine Heimat und deren Natur ist, identifiziert sich mit ihr, entwickelt regionale Identität und ein positives Wir-Gefühl. Daraus erwachsen wirtschaftliche Vorteile (Tourismus, Authentizität, regionale Label, Imagegewinn) und Erfolge. Die Leistungen finden Lob und Anerkennung. Und da man den Ast, auf dem man sitzt, üblicherweise nicht absägt, wird man die Natur erhalten, da sie einem nützt.

Naturschutz braucht Freunde!

Freunde und Verbündete sind für den Naturschutz in zweierlei Hinsicht von zentraler Bedeutung. Zum einen sind Freunde für die Akzeptanz und Unterstützung von Naturschutzmaßnahmen (z.B. Ausweisung von Schutzgebieten) notwendig. Zum anderen braucht der verbandliche Naturschutz Freunde, die die Arbeit im einfachsten Falle finanziell, im besten Falle aber durch aktives freiwilliges Engagement im Artenschutz, in der Biotoppflege, in der Öffentlichkeitsarbeit oder im Lobbying unterstützen. 

Ohne Freunde und Mitglieder wäre auch die Arbeit der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) im Vereinigten Königreich nicht vorstellbar. Im Jahre 2001 betreute der RSPB als privater Naturschutzverband mehr als 168 Naturschutzreservate mit insgesamt über 114.657 Hektar. Ein beträchtlicher Teil der Schutzgebiete steht im Eigentum des RSPB. Darüber hinaus betreut der Verband, so Gerda Flumm, zahlreiche Informationszentren und betreibt Öffentlichkeitsarbeit oder Umweltbildung auf lokaler Ebene. Ohne die tatkräftige Unterstützung von mehr als 20.000 aktiven ehrenamtlichen Mitglieder wäre diese Arbeit nicht zu leisten. Ein Erfolgsmodell der besonderen Art sind daher die Aktivitäten des RSPB zur Gewinnung neuer Mitglieder, zur Bindung der Mitglieder und zur Steigerung deren ehrenamtlichen Engagements.

Aufgrund der landesspezifischen Besonderheiten lassen sich die Methoden und Erfahrungen des RSPB zur Mitgliedergewinnung und -bindung sicherlich nicht im Verhältnis 1:1 auf  Naturschutzverbände anderer Länder übertragen. Die nationalen Organisationen wären daher schlecht beraten, würden sie das RSPB-Modell kopieren wollen. Dennoch bietet das RSPB-Modell eine ganze Reihe interessanter Ansatzpunkte, die Anregungen für die Weiterentwicklung der deutschen Naturschutzverbände geben können. Dazu zählt zum einen die oben bereits erwähnte strategische Langfristplanung, dazu gehört aber auch der konsequente Aufbau einer eigenen Schutzgebietskulisse ("Eigener Herd ist Goldes wert!"), die Konzentration der Verbandsaktivitäten auf die eigenen Reservate als Stätten der innerverbandlichen Solidarität und Identifikation sowie die systematische Weiterbildung der freiwilligen Helfer.

Resumée

Die Veranstaltung erhob mit den vorgestellten Vorhaben, Projekte und methodischen Ansätze keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zahlreiche vorbildliche, beispielhafte und vorstellenswerte Aktivitäten des Naturschutzes im In- und Ausland mussten aus finanziellen oder aus organisatorischen Gründen unberücksichtigt bleiben. Etliche gute Maßnahmen sind allein deshalb nicht berücksichtigt worden, weil sie dem Veranstalter bis heute unbekannt geblieben sind ("Tue Gutes und rede nicht darüber!"). Trotz dieser Einschränkungen und Defizite gelang es, den Teilnehmern einiges an neuen Ideen und Anregungen mit auf den Weg zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse vermehren, Verbreitung finden und einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Naturschutzes in Deutschland leisten werden.

Ein weiterer Aspekt bleibt als Ergebnis festzuhalten: Der Naturschutz in Deutschland steht mit den Fragen und Problemen nicht alleine da. Auch unsere Nachbarn sind vom Zustand der naturschützerischen Glückseligkeit noch relativ weit entfernt. Auf dem Weg dorthin haben sie aber interessante eigene Erfahrungen gesammelt, innovative Projekte zu Stande gebracht und Lösungen gefunden, die nachahmenswert, zumindest aber nachdenkenswert, sind. Es ist dem Naturschutz in Deutschland deshalb dringend zu empfehlen, des öfteren einen Blick über den eigenen Tellerrand zu werfen und sich mit Freunden, Kollegen und Gleichgesinnten auszutauschen. Erfolge sind machbar, auch dank ihrer Hilfe Herr Nachbar!

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

Zitatempfehlung:
Schulte, R. (2002): Von Nachbarn lernen! -Erfolgsmodelle des Naturschutzes im internationalen Vergleich. Zusammenfassung   eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder (12. bis 13.12.2001). www.nabu-akademie.de/berichte/01_erfolg-a.htm (23.03.2002)



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