Warum brauchen wir Nationalparke?

Ergebnisse eines Seminars vom 12.12. bis 13.12.1998
Nationalparke sind nicht nur der Naturschützer liebstes Kind. Meinungsumfragen zu Folge schätzen auch weite Teile der Bevölkerung die Großschutzgebiete als naturnahe Ausflugs- und Urlaubslandschaften. „Was kaum einer für möglich hielt, ist passiert: In Zeiten fortschreitender Naturverarmung und internationaler Konferenzen zur Rettung der Biodiversität outen sich Lobbyisten jetzt ganz ungeniert als handfeste Nationalpark-Gegner, werben um Anhänger und machen politisch Druck. Das ist neu und macht entsprechend Schlagzeilen: Da hagelt es Proteste gegen die CSU-Regierung, weil sie den Nationalpark im Bayerischen Wald vergrößert. Da werden Sperrzäune bei Nacht und Nebel zerschnitten, die das Deichvorland im Nordsee-Nationalpark vor der Überweidung schützen. Da kämpft eine ganze Stadtverwaltung gegen Schutzmaßnahmen, die den Nationalpark Unteres Odertal erst dahin bringen sollen, daß er nach internationalem Standard den Titel Nationalpark überhaupt führen darf" (Grünstift Heft 7/8 1998). Und nicht selten wird mit dem Naturschutz eigenen Argumenten gegen die Nationalparke Position bezogen.

In dieser Situation sind der Naturschutz und die Nationalparkbewegung gefordert, ihre Positionen und Standpunkte kritisch zu beleuchten, zu hinterfragen und ggf. neu zu definieren. Mit der Veranstaltung „Warum brauchen wir Nationalparke?" beabsichtigte die NABU-Akademie Gut Sunder den naturschutzinternen Dialog zu beleben. Die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen werden im folgenden zusammengefaßt.

Warum brauchen wir Nationalparke?

Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland Nationalparke braucht oder nicht, muß eindeutig zugunsten der Nationalparke beantwortet werden. Spätestens seit der Unterzeichnung der Konvention zum Schutz der Biodiversität gehört es zum selbstverständlichen, weltweit akzeptierten Kanon, daß die Menschheit für den Schutz der biologischen Vielfalt Sorge zu tragen hat. Von den vorhandenen nationalen Schutzgebietskategorien bietet ausschließlich der Nationalpark die Möglichkeit, die Unversehrtheit eines oder mehrerer Ökosysteme für jetzige und künftige Generationen zu erhalten. Nationalparke sind vorrangig dazu da, den Schutz des national bedeutsamen Naturerbes und den dafür typischen Prozessen auch großflächig zu garantieren. Lediglich in großräumigen Nationalparke mit hohem Wildnisanteil lassen sich Referenzgebiete für die Erarbeitung von Konzepten und Methoden einer umweltverträglichen und nachhaltigen Landnutzung entwickeln.

Warum brauchen wir Wildnis in Nationalparken?

Die Zielstellung von Nationalparken im Sinne der IUCN-Kategorie II besteht weder in der Konservierung gestriger oder heutiger Zustände noch in der Rettung von "guten" oder der Bekämpfung von "bösen" Tier- und Pflanzenarten. Vielmehr soll der Mensch weder nutzend noch pflegend oder lenkend eingreifen. Nationalparke dienen dem Schutz der Natur, wie sie wirklich ist und nicht, wie wir sie gerne hätten. Wildnis ist der normale Zustand. Scheinbare "Katastrophen" wie Windwurf, Hochwasser, Wildverbiß oder Borkenkäferbefall sind Bestandteil der natürlichen Dynamik in den Kernzonen von Nationalparken. Diese Wildnis- oder Kernzonen müssen nach Auffassung von Dr. Markus Rösler (NABU u. IUCN-WCPA) spätestens 20 - 30 Jahre nach der Gründung des Nationalparks mindestens 75% der Fläche ausmachen.

Dieser Forderung und der Akzeptanz von Wildnis steht nach Auffassung von Prof. Dr. Gerhard Trommer (Universität Frankfurt(Main) die seit dem Mittelalter in Deutschland stetig vorrückende Scham- und Peinlichkeitsschwelle entgegen; denn Wildnisse sind keine Ort der wohlanständigen Sittlichkeit. Auch entwickelte sich im deutschen Bildungswesen seit der Aufklärung ein Sauberkeits- und Ordnungsprinzip, daß alles andere als wildnisfreundlich ist.

Wildnis verlangt von Menschen ein Nicht-Tun. Dies ist mit menschlichem Aktionsdrang schwer vereinbar. Für die Wildnis gäbe es eine pädagogische Kultur des kreativen Müßiggangs, der hinspürenden Zurückhaltung, der Kontemplation zu entwickeln, eine Wahrnehmungsschule die hinhorcht und hinriecht, mit Wahrnehmungsübungen, die nicht stören, beschädigen, eingreifen. Wildnistoleranz muß zunächst noch geübt werden. Der Schutz reiner Wildnisdynamik verlangt außerdem eine Forschung, die nicht experimentiert, nicht präpariert, nicht entnimmt, nur aus der Distanz beobachtet und beschreibt. Könnte sich Wissenschaft damit abfinden?

In Deutschland gibt es derzeit nur drei als IUCN-Kategorie II anerkannte Nationalparks, aber noch keine den IUCN-Kriterien entsprechenden Wildnisgebiete. Könnten in den streng geschützten Nationalparken solche ausgewiesen werden? Nach nordameriaknischen Standard müßten diese mindestens 2000 ha umfassen, straßenfrei, unentwicklt sein und sich selbst überlassen bleiben. Keine Re-Naturierung zu repräsentativen Formationen, Habitaten, Zönosen, Ökosystemen, sondern fortschreitende Verwilderung mit offenem Ausgang ist dann gefordert. Da in Nationalparken aber in den Kernzonen noch Ökosystemschutz angesagt ist, müsste dieser, bei einer Ausweisung von Wildnisgebieten z. T. aufgegeben werden.

Mit dem Problem der Nicht-Toleranz und Nicht-Akzeptanz von Wildnis und Verwilderung in unserer Gesellschaft muß weiter gerechnet werden. Dies ist zunächst weniger ein reales und naturschutzfachliches als ein mentales und kommunikatives Problem.

Nicht zu letzt deshalb dürfte Wildnis – sei es in Nationalparken oder anderswo - von vielen Bürgern in Deutschland, anders als zum Beispiel in den USA, wo Wildnis hoch im Trend liegt, als Ort der Bedrohlichkeit angesehen werden.

Müssen Nationalparke groß sein?

Die Beiträge zeigten auf den verschiedenen fachlichen Ebenen, daß die Qualität der Nationalparke nicht in unmittelbaren Zusammenhang zur Flächengröße steht. Auch die Kriterien der IUCN treffen diesbezüglich keine verbindliche Aussage. Die Größe eines Nationalparks muß sich letztendlich aus dem definierten Schutzzweck herleiten. Aus der Zielvorgabe, die gesamte natürliche Vielfalt eines Gebietes in einem Nationalpark schützen zu wollen, ergibt sich, daß ein Nationalpark selbstverständlich niemals groß genug sein kann. Der Nationalpark zum Schutz einer großräumigen Küstenlandschaft (z.B. Wattenmeer) muß von daher zwangsläufig größer sein als jener, der zum Schutz eines Binnensees (z.B. Bodensee) eingerichtet wird.

Die Beiträge von Volker Grimm (UFZ Leipzig) und Dr. Kurt Jax (Universität Tübingen) zeigten, daß weder die Populationsbiologie noch die Ökosystemforschung zur Zeit in der Lage sind, die von Politikern und Verwaltungen erwarteten Flächenzahlen zu liefern. So ist die Überlebensfähigkeit von Population nicht in erster Linie eine Frage der Lebensraumgröße, sondern zudem von zufälligen Ereignissen und Schwankungen abhängig, die keinen Flächenbezug aufweisen. Zu den relevanten Faktoren zählen u.a. das demographische Rauschen (das Schwanken der Individuenzahl durch zufälliger Reihenfolge von Geburt und Tod) und das Umweltrauschen (der zufällige Einfluß der Umwelt auf die Population). Beide wirken unabhängig von der Reservatsgröße auf die Populationen ein, in dem sie positiv oder negativ auf die Geburts- und Sterbefälle in der Population Einfluß nehmen. Zwar spielen beide Faktoren bei großen Populationen kaum eine Rolle, für die Fortexistenz kleiner Populationen sind sie aber u.U. von entscheidender Bedeutung. Andererseits ist festzustellen, daß Populationen über Mechanismen zur Pufferung des Umweltrauschens verfügen. Dieses gilt insbesondere für Metapopulationen, die durchaus lokal aussterben, regional aber trotzdem überleben. Aus populationsbiologischer Sicht stellt sich daher nicht die Frage der Mindestgröße eines Lebensraumes, sondern die Frage: Wie gut oder schlecht sind lokale Populationen untereinander vernetzt?

Auch die für die Funktion von Ökosystemen relevanten Prozesse stehen in keinem direkten Bezug zur Flächengröße. Zum einen bestimmen kontinuierliche Prozesse wie biologische oder abiotische und biogeochemische Vorgänge die Entwicklung, zum anderen haben Prozesse wie Störungen eine zentrale Bedeutung. Nach WHITE & PICKETT (1985) sind Störungen relativ diskrete Ereignisse in der Zeit, welche die (momentane) Struktur von Ökosystemen, Organismengemeinschaften oder Populationen zerreißen und Ressourcen, Substratverfügbarkeit oder die physikalische Umgebung verändern. Derartige Störungen können beispielsweise Waldbrände oder Borkenkäferbefall sein. Da Erkenntnisse über die Auslöser von Störungen und das Wirken von Störungen aus Mitteleuropa aber weitestgehend fehlen, ist es auch kaum möglich, verläßliche Größenanforderungen für Schutzgebiete zu formulieren. Auf alle Fälle sollte die Minimum Dynamic Area eines Nationalparks aber so groß sein, daß bei auftretenden natürlichen Störungen, interne Wiederbesiedlungsquellen erhalten bleiben und die Aussterbewahrscheinlichkeit minimiert ist.

Wie stellt sich die Situation der Nationalparke in Deutschland dar?

Nationalparke (NP) sind rechtsverbindlich festgesetzte, einheitlich zu schützende Gebiete, die "großräumig und von besonderer Eigenart sind, im überwiegenden Teil ihres Gebietes die Voraussetzungen eines Naturschutzgebietes erfüllen, sich in einem vom Menschen nicht oder wenig beeinflußten Zustand befinden und vornehmlich der Erhaltung eines möglichst artenreichen heimischen Pflanzen- und Tierbestandes dienen" (§ 14 Abs. 1 BNatSchG). Fast 20 Jahre lang wurde diese Schutzgebietskategorie in Deutschland, einem Land, das sich gerne als Vorreiter in Sachen Naturschutz darstellt, ausgesprochen stiefmütterlich behandelt. Und bis heute erfüllen nur drei von vierzehn deutschen Nationalparken die Kriterien der IUCN. Die IUCN (World Conservation Union) hat die Schutzkategorie II "Nationalpark" klar definiert und wacht über deren Einhaltung. Sie besteht aus staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen aus derzeit 125 Staaten. Die IUCN erarbeitet im Auftrag der UNO die Nationalparkkriterien und diejenigen der anderen fünf IUCN-Schutzgebietskategorien und wurde mit der Erstellung und Führung der "United National List of National Parks and Protected Areas" betraut. Weltweit gibt es derzeit 2041 international anerkannte Nationalparke, davon 180 in Europa.

Dr. Uwe Wegner (Nationalpark Hochharz) erläuterte in seinem Beitrag die verschiedenen IUCN-Schutzgebietskategorien:

Kategorie Schutzgebiet
Ia+b Strenges Natureservat und Wildnisgebiete
II Schutzgebiete von Ökosystemen, die auch der Erholung dienen (z.B. Nationalparke).
III Naturmonumente
IV Biotop- und Artenschutzgebiete
V Landschaftsschutzgebiete und Biosphärenreservate (z.B. alle englischen Nationalparke)
VI Gebiete zum Ressourcenerhaltung mit Management

Nationalparke der IUCN-Kategorie II sind Naturgebiete, die dazu bestimmt sind, die ökologische Unversehrtheit eines oder mehrerer Ökosysteme für jetzige und künftige Generationen zu erhalten, Nutzungen oder die Inanspruchnahme, die der Zielsetzung unvereinbar sind, sind auszuschließen, die Möglichkeiten für geistig-seelische Erfahrungen sowie Forschung und Bildung sollten vorhanden sein.

Wichtige Auswahlkriterien für Nationalparke sind die Repräsentativität und die hinreichend Größe des Gebiets. Nationalparke sollten i.d.R. der obersten Verwaltungsbehörde unterstellt werden. In BRD werden verschiedene Modelle realisiert, von der Anbindung an ein Landratsamt über spezielle Nationalparkämter bis zur Anbindung ans Landwirtschaftsministerium.

Für Waldnationalparke empfehlen die EUROPARC-Leitlinien eine Kernzonenanteil von 75%. Entwicklungsnationalparke sollten in absehbaren Zeiträumen das Entwicklungsziel erreichen. In einzelnen Ländergesetzen bzw. Rechtsverordnungen für Nationalparke sind bereits eine ganze Reihe von Kriterien enthalten, die die neuen Vorgaben der IUCN bestätigen oder vorweg bereits abgesichert haben.

Nr. Nationalpark Gründungsjahr Gesamtfläche (ha) IUCN-Anerkennung
I Bayerischer Wald + Erweiterung 1970/1997 13042+10800 Ja
II Berchtesgaden 1978 21000 Ja
III Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer 1985 285000 Nein
IV Niedersächsisches Wattenmeer 1986 240000 Nein
V Hamburgisches Wattenmeer 1990 11700 Nein
VI Vorpommersche Boddenlandschaft 1990 80500 Nein
VII Jasmund 1990 3000 Ja
VIII Müritz-Nationalpark 1990 31800 Nein
IX Hochharz 1990 5868 Nein
X Sächsische Schweiz 1990 9292 Nein
XI Harz 1994 15800 Nein
XII Unteres Odertal 1995 22400 Nein
XIII Hainich 1997 7600 Nein
XIV Elbtalaue 1998 10500 Nein
Quelle: Bundesamt für Naturschutz/eigene Recherche

Am Beispiel des Nationalparks Harz beschrieb Dr. Wolf-Eberhardt Barth (Nationalpark Harz) die Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der IUCN-Kriterien in Deutschland. Primäres Schutzziel des Nationalparks Harz ist der Schutz der Eigendynamik der Natur. Dieses Ziel soll langfristig auf 100% der Fläche erreicht werden. Dazu werden gegenwärtig Entwicklungsmaßnahmen in 3 Bereichen durchgeführt: Die Zonen 1 a und 1 b bleiben als Naturbereiche unangetastet. In der Zone 2 erfolgt der Waldumbau in Richtung auf das Entwicklungsziel „Wildnis", das in 30 Jahren erreicht werden soll. Auf einem Drittel der Zone 2 - Fläche wird Borkenkäferbekämpfung betrieben. Auf 2/3 der Fläche erfolgen keine Maßnahmen gegen Borkenkäfer.

Die aktuelle Situation der Nationalparke in Mecklenburg-Vorpommern schilderte der Beitrag von Ilka Wedekind (Nationalparkamt Mecklenburg-Vorpommern). Die Nationalparke Mecklenburg-Vorpommerns sind durchgängig acht Jahre alt und nehmen rund 3% der Landfläche (ohne Ostsee) ein. Als einziger der Nationalparke erreichte bislang der Nationalpark Jasmund das Ziel einer 75%igen Kernzone. Der Müritz-Nationalpark verfügt nach den jüngsten Ergebnissen der Forsteinrichtung über eine Kernzone von rund 50%. Bis zur nächsten Forsteinrichtung in etwa 10 Jahren soll das Ziel von 75% Kernzone erreicht sein. Erhebliche Probleme bereitet zur Zeit dem Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, daß er sich in eine Kern- und Entwicklungszone gliedert. Ursache für die Probleme sind im Bereich der Bundeswasserstraße geltende Ausnahmen von den Schutzvorschriften wie die Aufhebung des Ankerverbots oder das Befahren mit Motorbooten. Hinzu kommt die hohe touristische Nutzung des Nationalparks, die durch die gute infrastrukturelle Erschließung gefördert wird.

Internationale Maßstäbe wie die IUCN-Kriterien sind nach Auffassung von Frau Wedekind hilfreich und sollten beachtet werden, da sie dazu zwingen, über den nationalen Tellerrand hinaus zuschauen. Darüber hinaus bietet die Erfüllung der Kriterien wertvolle Wettbewerbsvorteil bei der Vermarktung der Nationalparke und der Gewinnung von Sponsoren. Nicht zuletzt bestätigt die Anerkennung durch die IUCN aber auch die eigene gute Leistung (Ehre, Renommée).

Die Leitbilder des NABU für Nationalparke in Deutschland stellte Dr. Markus Rösler (NABU-Präsidium) zur Diskussion. Er stellte heraus, daß die Zielstellung von Nationalparken weder in der Konservierung gestriger oder heutiger Zustände noch in der Rettung von "guten" oder der Bekämpfung von "bösen" Tier- und Pflanzenarten bestehen könne. Der Mensch sollte daher in Nationalparken weder nutzend noch pflegend oder lenkend eingreifen und scheinbare "Katastrophen" wie Windwurf, Hochwasser, Wildverbiß oder Borkenkäferbefall als normales Naturgeschehen begreifen und zumindest in den Kernzonen zu lassen. Auf diesen Flächen sollten die Nationalparke Natur Natur sein lassen. Das bedeutet auch, natürliche Prozesse ungestört zu lassen und auf jede Wertung des Geschehens bewußt zu verzichten. Diese Kernzonen müssten spätestens 20 - 30 Jahre nach der Gründung des Nationalparks mindestens 75% der Fläche ausmachen. Ausgehend von dieser Prämisse entwickelte Rösler die aus Sicht des NABU zu verfolgenden ethisch-religiösen, wissenschaftlichen und pädagogischen Leitbilder. Er unterstrich dabei die weitgehenden Gemeinsamkeiten der NABU-Positionen mit denen von EUROPARC.

Nationalparke, aber keine nationalen Parke? – Ein Fazit

Nationalparke in Deutschland sind beliebt als Ausflugs- und Urlaubsziele. Doch dieses vordergründig positive Resumée hat eine Schattenseite. Eine Reihe von deutschen Nationalparken scheint – zumindest drängt sich der Eindruck auf – lediglich als billiges Etikett für das Prestigestreben von Politikern oder Tourismusvertretern mißbraucht zu werden. Die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen machen deutlich, daß – gemessen an den Kriterien der IUCN - sich nicht hinter jedem Nationalparkschild auch ein echter Nationalpark verbirgt. Die derzeitige Situation der deutschen Nationalparke legt auch den Eindruck nahe, daß der Bund eher mit Scham denn mit Stolz auf seine nationalen Schutzgebiete, das Tafelsilber unseres Naturerbes, blickt. Die Folge der mangelhaften Unterstützung durch den Bund dürfte sein, daß eine ganze Reihe der bestehenden Nationalparke erhebliche Probleme mit ihrer Aufnahme in Kategorie II haben werden, da die ausgewiesenen Kernzonen zu klein und zu wenig geschützt sind, um als "echte" Nationalparke in die IUCN-Liste aufgenommen werden zu können. Ein Mangel, der sich auch angesichts der zur Zeit gegen vier Nationalparks gerichteten Normenkontrollverfahren als Bumerang nicht nur für die Großschutzgebiete im besonderen, sondern den Schutz der biologischen Vielfalt im allgemeinen erweisen könnte.

Nationalparke heißen Nationalparke weil sie dazu da sind, den Schutz des national bedeutsamen Naturerbes, die Erhaltung der wichtigsten Naturlandschaften eines Landes zu garantieren. Unter den besonderen Bedingungen der intensiv genutzten mitteleuropäischen Kulturlandschaft sicherlich keine leichte Aufgabe. Aber gerade darin besteht, so das Fazit des Seminars, die Herausforderung und die Chance unserer Generation. 

Nationalparke erfordern, die Normenkontrollverfahren machen es deutlich, klar definierte Leitbilder mit einer naturschutzfachlichen, ethisch-moralischen, geistig-spirituellen und sozioökonomischen Begründung, die die Arbeit der Nationalparke in den Kontext der Agenda 21 und der Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt stellen. Leitbilder, die zugleich deutlich machen, daß Nationalparke – ebenso wie andere Naturschutzgebiete – nicht in die Beliebigkeit von Politikern, Nutzerinteressen oder auch Artenschützern gestellte Objekte des Prestigegewinns sein können, sondern als Referenzgebiete für die Erarbeitung von Konzepten und Methoden zur umweltverträglichen und nachhaltigen Landnutzung dienen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Bedeutung der Nationalparke für die Realisierung eines Bundeslandschaftsprogramms sowie ein bundesweites Biotopverbundsystem.

Voraussetzung dafür ist aber eine an internationalen Kriterien, wie denen der IUCN, ausgerichtet Auswahl, Dimensionierung und Entwicklung der Nationalparke. Doch wie sollen Nationalparke den in sie gesetzten Anforderungen gerecht werden können, wenn nicht einmal das vorhandene rechtliche Instrumentarium die notwendigen Rechtsnormen beschreibt. Obwohl von Naturschutzverbänden seit langem gefordert, nimmt das Bundesnaturschutzgesetz bis heute in seiner Definition eines Nationalparks (§ 14 BNatSchG) keinen Bezug auf die Kriterien der IUCN-Kategorie II. Auch das zumindest in den Kernzonen der Nationalparke  zu verfolgende Naturschutzziel von 75% Wildnis entbehrt der rechtlichen Würdigung.

Es irritiert feststellen zu müssen, daß sich der Bund finanziell und fachlich für Schutzgebiete gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung oder Naturschutzgroßprojekte engagiert, sich den national bedeutsamen Großschutzgebieten gegenüber aber eher zurückhaltend verhält.

Die Bund-Länder-Kompetenzen in Fragen der nationalen Schutzgebiete sollten neu geregelt werden. Es ist hohe Zeit, daß der Bund die Hemmnisse der föderalen Strukturen überwindet und die Rahmengesetzgebung aufweitet, sich mehr Kompetenzen in Nationalparkfragen verschafft und sich in die Lage versetzt, die Entwicklung der Nationalparke stärker zu fördern; denn nicht von ungefähr heißen Nationalparke Nationalparke. Die Aufgabe des Bundes darf sich nicht auf die passive Beratung und Information der Länder beschränken. Der Bund muß eine aktive, integrative Funktion bei der Auswahl und Entwicklung der Großschutzgebiete übernehmen, wie sie in ähnlicher Form in den USA vom National Park Service wahrgenommen wird. Diese im Jahre 1916 geschaffene Behörde gewährleistet die einheitliche Verwaltung der Schutzgebiete. Das US National Park Service (NPS) hat heute einen weitgestreuten Aufgabenbereich, der weit über den Schutz der Nationalparke hinausgeht. Es umfaßt das Management der Schutzgebiete, die ihm anvertraut wurden, die wissenschaftliche Grundlagenforschung für die verschiedenen Planungs- und Managementinstrumente für Schutzgebiete und die Information der Besucher und der Öffentlichkeit, um nur einige zu erwähnen. In Manuals, die die spezifischen Besonderheiten der einzelnen Nationalparke berücksichtigen, legt der NPS die Entwicklungziele und –schritte fest und schreibt sie regelmäßig fort. Auch in Deutschland besteht dringender Bedarf an klaren und für alle Beteiligten transparenten Richtlinien für die Entwicklung von Nationalparken. Diese zu erarbeiten und mit den Landesinstanzen abzustimmen, wäre eine der wichtigen Aufgaben des Bundes. Denkbar wäre, daß diese Aufgabe nicht unmittelbar von einer Bundesbehörde, sondern im Auftrag des Bundes von einer anerkannten Institution wie EUROPARC oder den §29-Verbänden wahrgenommen werden könnte.

Vor dem Hintergrund der immer wiederkehrenden und wissenschaftlich bis heute nicht beantwortbaren Frage der Größe von Nationalparken erweist sich das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen, die es erlauben, eine untermauerte Verbindung zwischen den Nationalparken und dem genutzten Raum herzustellen, als großes Manko. Auch zur Frage der Störungen von Ökosystemen fehlen für Mitteleuropa weitestgehend die Erkenntnisse. In vom Bund initiierten und koordinierten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sollten Antworten auf die offenen Fragen gesucht werden.

Jährlich besuchen mehrere Millionen Menschen die deutschen Nationalparke. Kaum eine andere Einrichtung des Naturschutzes kann vergleichbar hohe Besucherfrequenzen aufweisen. Obwohl Meinungsumfragen immer wieder eine positive Grundhaltung großer Bevölkerungsteile zu Nationalparken feststellen, erstaunt es, daß die Mehrzahl der Bundesbürger nicht zwischen Nationalparken, Naturparken oder anderen Schutzgebietstypen zu unterscheiden weiß. Dadurch offenbaren sich erhebliche Defizite in der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit insbesondere der Nationalparke. Scheinbar gelingt es den Nationalparken trotz aller Anstrengungen nicht, seinen Besuchern die eigenen Ziele und Aufgaben hinreichend verständlich und transparent zu machen. Doch wenn die Informationsarbeit schon in so grundlegenden Themen versagt, bestehen berechtigte Zweifel am Erfolg der Informationsarbeit bei wesentlich weitreichenderen und komplexeren Themen wie beispielsweise dem Schutz der biologischen Vielfalt.

Ursache dafür könnte sein, daß der Naturschutz in Nationalparken aus dem Elfenbeinturm heraus agiert. Die Nationalparke müssen sich bemühen, sich nicht als elitären Selbstzweck, sondern vielmehr als eine besondere Art der Allmende-Nutzung darzustellen und gleichermaßen Spielwiesen für Massenbesucher wie auch Nischen für hoch interessierte Wildnisbesuchern anzubieten. Stattdessen setzt der Naturschutz alles daran „mit fertigen Sachen, andere Leute fertigt zu machen" (Trommer). Die Nationalparke laufen Gefahr, durch eine nicht an den tatsächlichen Erfordernissen der Besucher ausgerichtete Informationsarbeit, Gegner und Feinde zu züchten statt Freund und Förderer zu gewinnen.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

Weiterführende Links zum Thema
Übersicht deutscher Nationalparke mit Kurzbeschreibungen und Links zu deutschen Nationalparken (Zusammenstellung des FH Eberswalde)
BMU-Bildschirmschoner: Der interaktive Screensaver zeigt, wo in Deutschland Nationalparke, Naturparke und Schutzgebiete zu finden sind.
EUROPARC Deutschland - Homepage
IUCN-Kriterien für Nationalparke (Österreichisches Bundesumweltministerium)
US Nationalpark Service - Informiert ausführlich über amerikanische Nationalparke (Geschichte, Bedeutung für den Naturschutz, Organsiation usw.)

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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.