Zum Hintergrund Die "Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen
Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen" (kurz Fauna-Flora-Habitat-
oder FFH-Richtlinie) trat nach sechsjährigen zähen Verhandlungen im Juni 1992 in Kraft
und hätte ebenfalls innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden müssen. Sie ist das
derzeit umfassendste Naturschutzinstrument der Europäischen Union. Ziel der
FFH-Richtlinie ist die Entwicklung und der Schutz eines EU-weiten Netzwerkes von
Schutzgebieten zur Erhaltung bedrohter Lebensräume sowie besonders gefährdeter Tier- und
Pflanzenarten (Netzwerk "Natura 2000"). Hierzu sollen ausdrücklich auch die
Schutzgebiete gemäß der EG-Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG (sogenannte Europäische
Vogelschutzgebiete, SPAs) und die für Zugvögel wichtigen Schutzgebiete gemäß der
Ramsar-Konvention gehören. Die Richtlinie verlangt darüber hinaus den Schutz vor
stofflichen Einflüssen, den Umgebungsschutz (Pufferzonen!), den Schutz ökologischer
Korridore (Biotopverbund) und eine generell nachhaltige Nutzung der Natur. Sie ist damit
ein zentrales Instrument zur Umsetzung der 1992 in Rio verabschiedeten Konvention über
biologische Vielfalt, wozu sich sowohl die Europäische Union als auch deren einzelne
Mitgliedsstaaten verpflichtet haben.
Sowohl hinsichtlich der rechtlichen Umsetzung dieser Richtlinie als auch bezogen auf die
Einrichtung eines Netzwerkes von Schutzgebieten hinken Bund und Länder hinter anderen
EU-Mitgliedsstaaten her. Die rechtliche Umsetzung der FFH-Richtlinie hätte bis zum Juni
1994 erfolgen müssen. Da die Anpassung des Bundesnaturschutz gesetzes (BNatSchG) an die
strengeren Schutzmaßstäbe der Richtlinie immer noch nicht erfolgt ist, hat die
Europäische Kommission bereits ein Vertragsverletzungs-verfahren gemäß Art. 169
EWG-Vertrag gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Im Gegensatz zu Deutschland haben fast
zwei Drittel der Mitgliedsstaaten inzwischen ihre nationalen Rechtsinstrumente an die
Richtlinie angepaßt, u.a. Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland,
Luxemburg, die Niederlande und Österreich. Auch bei der Benennung von Schutzgebieten
droht Deutschland das Schlußlicht in Europa zu werden: Nach den Bestimmungen der
FFH-Richtlinie hätten die Mitgliedsstaaten der EU und damit auch die Bundesländer der
EU-Kommission bis zum Juni 1995 eine Liste von Gebieten benennen müssen, die für die
Erhaltung der in Anhang I dieser Richtlinie genannten Lebensräume (Biotoptypen) sowie der
in Anhang II genannten gefährdeten Tier- und Pflanzenarten erforderlich sind, und die zu
einem EU-weiten Schutzgebietsnetz "Natura 2000" entwickelt und vernetzt werden
sollen. Im Gegensatz zu fast allen anderen EU-Mitgliedsstaaten wie z.B. Belgien,
Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Italien, Spanien und selbst den neuen
EU-Mitgliedern ist die Bundesrepublik auch dieser Pflicht bislang nicht nachgekommen.
Wegen Unstimmigkeiten zwischen Bund und Ländern wurden bisher noch nicht einmal bereits bestehende Schutzgebiete wie
Naturschutzgebiete und die Kernzonen von Nationalparks gemeldet. Die
Umweltministerkonferenz beschloß im Frühjahr 1995 einvernehmlich, selbst diese
ausgewiesenen Schutzgebiete nicht zu melden, solange die rechtliche Umsetzung der
Richtlinie im BNatSchG nicht erfolgt sei. Lediglich die Bundesländer Bayern,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein hatten bis Sommer 1997 Listen aufgestellt und dem
Bund zur Weitermeldung nach Brüssel überreicht. Davon wurden bislang nur die bayerischen
Meldungen, 79 Gebiete, sowie 1 Gebiet aus Sachsen-Anhalt, um in den Genuß von
Fördergeldern der EU zu kommen, nach Brüssel gemeldet.
Das Seminar verfolgte daher das Ziel, Inhalte und Ziele der Richtlinie vorzustellen, den
aktuellen Sachstand darzustellen und daraus den erforderlichen Handlungsbedarf für
Politik, Behörden und Naturschutzverbände abzuleiten. Die wesentlichen Ergebnisse seien
nachfolgend in Kürze zusammengefaßt.
Stand und Umsetzung der FFH-Richtline in
Deutschland
Der Vertreter des BMU, Klaus Iven, ging vor allem auf die
rechtliche Einbindung der Richtlinie in nationales Recht sowie auf die Frage der
Direktwirkung ein. Im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat wurde
zwischenzeitlich beschlossen, nach Scheitern der "großen" BNatSchG-Novelle nun
eine kleine Novelle zur Umsetzung der FFH-RL und der neuen EU-Artenschutzverordnung
vorzunehmen, die bis Sommer 1998 verabschiedet sein soll. Die Bundesregierung will dieses
Verfahren u.a. deshalb forcieren, um drohenden Zwangsgeldern aus den laufenden
Vertragsverletzungsverfahren zu entgehen. Der Bund beharrt aber nach wie vor darauf, daß
die Länder auch vor Umsetzung in nationales Recht in der Pflicht sind, Schutzgebiete
auszuweisen. Iven betonte in diesem Zusammenhang die unmittelbare Rechtswirkung der RL,
insbesondere Art. 6, für Vogelschutz-, aber auch potentielle Vogelschutz- und
FFH-Gebiete, die sich aus der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH ergebe
(Großkrotzenburg, Santona, Lappel-Bank). Hinsichtlich der rechtlichen Umsetzung
bestätigte Iven, daß die RL über die Eingriffsregelung nach nationalem Recht hinausgehe
und sich darüber hinaus auch auf Pläne beziehe (also auch Linienbestimmungsverfahren,
Bauleitpläne etc.); dies sei in der Novelle zu berücksichtigen. Hinsichtlich des
Schutzregimes für FFH-Gebiete vertritt das BMU im Gegensatz zur Kommission die
Auffassung, daß Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes alleine nicht ausreichen (wg.
mangelnder Rechtswirkung gegenüber Dritten), sondern daß FFH-Gebiete zumindest als LSG,
Vorkommen prioritärer Arten aber als NSG auszuweisen seien.
Diese Ausführungen wurden von Dr. Andreas Fisahn vom Verein für Umweltrecht, Bremen, im
wesentlichen bestätigt. Fisahn ging v.a. anhand der Hamburger Fälle (Wachtelkönig,
Schierlingswasserfenchel) nochmals auf die unmittelbare Wirkung der FFH-Richtlinie ein. Da
die Meldungen der Verbände genügend exakt und fachlich richtig seien, unterlägen diese
Gebiete zweifelsfrei dem Schutz der Richtlinie. Bei Nichtmeldung durch das Land Hamburg
bzw. Beeinträchtigung könne bzw. müsse die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren
bzw. ein Konzertierungsverfahren nach Art. 5 durchführen.
Michael Gerhard vom Landesbüro der Naturschutzverbände NRW (LaBü) stellte Methoden und
Ergebnisse der Erarbeitung einer Schattenliste von FFH-Gebieten in Nordrhein-Westfalen
vor, wobei u.a. auf das Biotopkataster der LÖBF und Befragungen der Kreis- und
Stadtverbände des NABU zurückgegriffen wurde. Das LaBü hat sich hierbei strikt an die
in den Anlagen I, II und II der Richtlinie genannten Kriterien sowie des
Standard-Datenbogens gehalten. Hierbei wurde die frühere Forderung des NABU bestätigt,
daß die willkürliche Grenzziehung der Länder (Meldung von NSG über 75 ha) aus
fachlicher Sicht nicht aufrecht erhalten werden kann. Das LaBü kommt nach Auswertung auf
ca. 1.100 Flächen in NRW, die 13 bis 16 % der Landesfläche beinhalten. Dabei seien
seltene Biotoptypen fast vollständig, häufige (z.B. Luzulo-Fagetum) immer noch sehr
unvollständig erfaßt.
Olaf von Drachenfels stellte die entsprechenden Arbeiten des niedersächsischen
Landesamtes für Ökologie vor, das sich seit 1993 sehr intensiv mit der Ausarbeitung
einer Schutzgebietsliste befaßt. Im November 1995 wurde eine erste Tran-che von ca. 50
großen Schutzgebieten im Kabinett beschlossen, sowie der Arbeitsauftrag für eine Tranche
II abzustimmender Gebiete erteilt. Im Juli 1997 erfolgte dann ein Kabinettsbeschluß über
84 (von ursprünglich 164 fachlich geeigneten !) Gebieten. Über 80 % der gestrichenen
Gebiete waren schon als Vorranggebiete im Landesraumordnungsprogramm vorgesehen, und
wurden aus rein politischen Gründen blockiert. Abschließend wandte v. Drachenfels sich
gegen die sehr detaillierten Berichtspflichten gemäß der FFH-RL (vgl. Natur &
Landschaft 11/97), die zu "nicht mehr Naturschutz, sondern zu mehr Bürokratie"
führen würden. Andererseits herrschte unter den Diskussionsteilnehmern Konsens, daß
Bund und Länder die RL mit verabschiedet hätten und insofern in der Pflicht seien,
hierfür die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen bereit zu stellen.
Birgit Beckers vom Landesvorstand des NABU NRW referierte die Forderungen der
Naturschutzverbände. Diese decken sich mit denen des NABU auf Bundesebene, die Claus Mayr
vorstellte. Zentrale Forderungen sind: - Schnelle rechtliche Umsetzung der FFH-Richtlinie.
Nachdem die Gesamtnovelle des BNatSchG im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und
Bundesrat im September 1997 endgültig gescheitert ist; sollte hierzu bis zum Sommer 1998
zumindest ein FFH-Umsetzungsgesetz erlassen werden. - Umgehende Meldung aller den
Kriterien der Richtlinie entsprechenden Schutzgebiete inklusive der Ramsar- und
Vogelschutzgebiete an die Europäische Kommission nach Brüssel. Der NABU hatte hierzu
bereits 1996 in Anlehnung an die IBA-Liste potentieller Vogelschutzgebiete gemäß
EG-Vogelschutzrichtlinie als Orientierungshilfe für Kommission, Bund und Länder bereits
eine "shadow list" der potentiellen Natura 2000-Gebiete erarbeitet. Diese
vorläufige Liste enthält 1.017 Gebiete mit insgesamt 32.134 qkm, was etwa 9 % der
Landesfläche der Bundesrepublik Deutschland entspricht; sie wurde bzw. wird derzeit für
einige Bundesländer wie Hessen und NRW ergänzt (s.o.). - Nachdem die Bundesländer
Bayern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bereits erste Gebietslisten vorgelegt haben,
muß die Phalanx der restlichen blockierenden Länder aufgebrochen und das
"Schwarze-Peter-Spiel" zwischen Bund und Ländern beendet werden. Hierzu müssen
die Länder ihren Boykott-Beschluß von 1995 aufheben, endlich eine öffentliche
Diskussion über die vom NABU vorgeschlagenen Schutzgebiete unter Beteiligung der
Naturschutzverbände und der betroffenen Nutzergruppen ermöglichen und die Listen in den
Länderkabinetten beschließen. Ziel muß ein breiter politischer Konsens über die
FFH-Gebiete sein, wie dies auch in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der
Fall ist. - Da die Listen der FFH-Gebiete schon im Rahmen der Diskussion in den Ländern
und im Vorfeld der Kabinettsbeschlüsse "gefiltert" werden, darf der Bund keinen
weiteren Einfluß auf diese Listen nehmen, sondern lediglich seine
"Briefträger-Funktion" Richtung Brüssel wahrnehmen. Konkurrierende Ansprüche
an ein potentielles Schutzgebiet dürfen ausschließlich in dem gemäß FFH-Richtlinie
vorgesehenen Konzertierungsverfahren (Art. 5) zwischen der Europäischen Kommission und
den Bundesländern geklärt werden. In diesem Zusammenhang wurde allerdings auch
klargestellt, daß diese Forderung der "Briefträger-Funktion" sich
ausschließlich auf die politische Rolle des Bundes bzw. der Ressorts beziehe. Aus
fachlicher Sicht sei dagegen eine Überprüfung der Gebietsmeldungen der Länder durch das
Bundesamt für Naturschutz notwendig, um die von der RL geforderte Repräsentanz aller
Arten und die "Kohärenz" des Netzwerkes sicherstellen zu können; hierzu sei
nur das Bundesamt für Naturschutz in der Lage.
Dr. Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschutz Bayern (LBV) stellte Methoden
und Ergebnisse der bayerischen "shadow list" vor, mit der der LBV bereits im
Frühjahr 1995 etwa 200 Gebiete der bayerischen Landesregierung vorgeschlagen hatte. Auch
hier wurde ein intensiver Austausch mit den Daten des behördlichen Naturschutzes
sichergestellt. Aus der bayerischen Artenkartierung wurden zudem die Verbreitungsangaben
der gem. Anhang II relevanten Arten übernommen und entsprechende Schutzgebietsvorschläge
erarbeitet. Auch Bayern hat bisher offiziell aber erst 79 Gebiete mit ca. 120.000 ha
gemeldet, die aus fachlicher Sicht nicht ausreichen, die Anforderungen der Richtlinie zu
erfüllen, so daß auch der LBV zur Zeit v.a. die politische Lobbyarbeit forciert. Als
wirksames Argument erwies sich dabei die Ver-knüpfung der LIFE-Förderung mit der Meldung
von Schutzgebieten. V. Lindeiner stellte allerdings auch klar, daß LIFE-Anträge einen
hohen Arbeitsaufwand bedeuten; er bezifferte der Aufwand zur entscheidungsreifen
Ausarbeitung eines LIFE-Antrages mit ca. 3 Monaten.
Abschließend stellte Oliver Schall von der Europäischen Kommission, DG XI, die
Entwicklung, Ziele und Inhalte der Richtlinie sowie den aktuellen Sachstand aus Sicht der
Kommission dar. Auch er betonte, daß aufgrund der hinreichenden Bestimmtheit der RL und
ihrer Anhänge sowie der ständigen Rechtsprechung des EuGH für die Mitgliedsstaaten kein
großer Ermessensspielraum hinsichtlich der Gebietsmeldungen bleibe. Bedauerlich sei vor
allem, daß Deutschland, nachdem bis auf Frankreich alle anderen Mitgliedsstaaten
zumindest erste Tranchen gemeldet hätten, zum europäischen Schlußlicht werde. Er
betonte, daß die Kommission anstrebe, in den Treffen der biogeographischen Regionen bis
Mitte 1998 - und somit fristgerecht entsprechend der Richtlinie - die Gebietslisten
zusammenzustellen, um sie dann vom "European Topic Center for Nature
Conservation" (ETC/NC) in Paris auf Plausibilität und Vollständigkeit prüfen zu
lassen.
Quintessenz
Die Vorträge und Diskussionen machten deutlich, daß sich
die NABU-Landesverbände im derzeitigen Stadium v.a. der politischen Lobbyarbeit widmen
sollten, um die fachlich erarbeiteten Listen der Landesanstalten möglichst ohne
Streichungen über die Hürden der öffentlichen Beteiligung (v.a. Landwirtschaft,
Kommunen) und der Kabinettsabstimmungen zu "retten". Da die Erarbeitung von
"shadow lists" sehr aufwendig ist (vgl. NRW, HE und BY), sollte sich diese evtl.
auf Konfliktgebiete beschränken, um hier gute fachliche Argumente für evtl.
Konzertierungsverfahren zu haben.
Dies gilt auch für Hamburg, Baden-Württemberg, Thüringen und Berlin, deren erste Listen
derzeit bereits beim Bundesumweltministerium bzw. Bundesamt für Naturschutz zur Prüfung
liegen. Sollten bei diesen Gebietslisten massive Lücken bestehen, sollte dies deutlich
gemacht und auf Nachbesserung gedrungen werden.
Für die öffentliche Diskussion ist vor allem wichtig, das Thema FFH-Richtlinie
"positiv" zu besetzen. Zudem fühlen sich viele NABU-Gruppen noch unzureichend
informiert. Leider hatte das BMU einen entsprechenden Antrag des NABU 1994 abgelehnt;
allerdings existieren seitens der EU-Kommission inzwischen einige gute Info-Materialien.
Auf dem Seminar wurde zusätzlich vereinbart, seitens mehrerer Verbände nochmals einen
LIFE-Antrag für eine Öffentlichkeitskampagne (Broschüre, Vortragsveranstaltungen,
Mediationsverfahren) zu stellen.
Insbesondere Behördenvertreter appellierten zudem an die Naturschutzverbände, den
mittlerweile von den Politikern überall geforderten "regionalen Konsens" (s.a.
Nationalpark-Diskussion) zu hinterfragen, wenn es um das europäische Naturerbe gehe.
Schließlich werde bei zum Beispiel bei Autobahnbauten auch nur nach übergeordneten
Gründen, aber nicht nach lokalem Rückhalt für die Projekte gefragt! Bezeichnet für die
derzeitig von einseitiger Polemik und Blockade geprägte Auseinandersetzung ist die
Tatsache, daß sowohl die eingeladenen Referenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV)
sowie des Städte- und Gemeindebundes ohne Angabe von Gründen ferngeblieben.
Claus Mayr, NABU Bundesgeschäftsstelle, Bonn |