Perspektiven des Biberschutzes in Deutschland

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 4. - 7. April 1997
Rund hundert Jahre nach der fast vollständigen Ausrottung sind die Biber (Castor fiber) in Deutschland wieder "auf dem Damm". Der Bestand stieg von wenigen 100 Tieren, die zur Jahrhundertwende den Ausrottungsfeldzug an der Mittelelbe überlebt hatten, auf fast 5.000 Biber an. Der Biber kann damit in Deutschland als gerettet gelten. Die Gefahr des Aussterbens besteht zur Zeit nicht.   

Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) und die Akademie des Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. nahmen das Comeback des Bibers zum Anlaß, im Kreis europäischer Spezialisten über die Perspektiven und Zukunftsaufgaben des Biberschutzes zu beraten. Die Ergebnisse werden im folgenden zusammenfassend dargestellt.  

Die aktuelle Situation des Bibers in Deutschland und angrenzenden Gebieten  

Schwerpunkte der Verbreitung stellen zur Zeit das auf autochthone Biber zurückgehende Vorkommen im Elbe-Havelgebiet, die aus Um- und Wiederansiedlungsversuchen aufgebauten Bestände im deutsch-polnischen Oderraum sowie die das Donausystem zwischen Ulm im Westen und Bratislava im Osten besiedelnde Population dar. Mit über 6.000 Tieren bilden diese drei langsam auch über die Wasserscheiden hinweg zusammenwachsenden Populationen das Rückgrat des Bibers in Mitteleuropa.  

Gegenwärtig noch regional begrenzt sind die durch erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekte etablierten Populationen im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet entlang des Hochrheins zwischen Schaffhausen und Lauffenburg (30 bis 50 Tiere), in den elsässisch-lothringischen Restrheinen (230 bis 250 Tiere), im hessisch-bayerischen Spessart sowie in der Nordeifel (80 bis 100 Tiere).   

Lokale Bedeutung haben die Aussetzungsvorhaben an Ill und Biest im Saareinzugsgebiet sowie im Unterlauf der emsländischen Hase zurück.

Positive Bestandsentwicklungen, die für die nächsten Jahre weitere Arealausweitungen und die Neubesiedlung von Gewässerläufen erwarten lassen, kennzeichnen nahezu alle vorgenannten Vorkommen. An Elbe, Oder und Donau dürften die zur Zeit noch bestehenden Verbreitungslücken in naher Zukunft durch natürliche Ausbreitung geschlossen werden. Enorme Entwicklungspotentiale bestehen darüber hinaus in den Restrheinen des Oberrheins zwischen Breisgrau und Mannheim. Auch im deutsch-niederländischen Grenzgebiet kann sich bei anhaltend positiver Entwicklung der Vorkommen in der Nordeifel sowie im niederländischen Gelderse Polder eine Population herausbilden, die sich von den Höhenlagen der Nordeifel über die Maas bis an den Niederrhein erstreckt.  

Selbst Städte und Gewässerquerverbauungen, denen bis vor wenigen Jahren noch eine Barrierewirkung unterstellt werden musste, scheinen nach jüngsten Erkenntnissen bei ausreichend großem Populationsdruck keine gravierenden Ausbreitungsschranken darzustellen. Der Korrektur bedarf darüber hinaus die klassische Lehrmeinung des hochspezialisierten, eng an Weichholzauen gebundenen Säugers. Zwar müssen weichholzreiche Auenlandschaften weiterhin als die optimalen Lebensräume, in denen der Biber seinem Ruf als Landschaftsgestalter in herausragender Weise gerecht werden kann, angesehen werden, die wachsende Zahl dauerhafter und lebensfähiger Ansiedlungen in der Feldflur unterstreicht aber, daß Biber sowohl hinsicht der Nahrungs- als auch der Habitatwahl als Opportunisten und Generalisten einzustufen sind. Selbst in den innerstädtischen Erholungslandschaften Wiens konnten Biber überall dort dauerhaft heimisch werden, wo ein Minimum an Habitatausstattung gegeben war.  

Mit der Bestandszunahme in den Hauptverbreitungsgebieten und der verstärkten Abwanderung von Tieren in weniger optimale Habitate wächst die Zahl der Konfliktmeldungen. Betroffen sind im wesentlichen Landnutzungen im Nahbereich der Bäche und Flüsse. Als Ursache für die Konflikte erweisen sich dabei neben der nicht standortgemäßen Nutzung der Auen insbesondere das hohe Anpassungsvermögen sowie die Fähigkeit zur aktiven Habitatgestaltung. In der Praxis zeigt sich aber auch, daß einseitige Medienberichterstattung sowie polemische Verbändepositionen (Bayerischer Bauernverband: "Rattenpest des Mittelalters") die örtlich objektiv bestehenden Schäden und Nutzungsbeeinträchtigungen in ein krasses Mißverhältnis rücken.  

Andererseits verdeutlichen gerade die bayerischen Erfahrungen erhebliche Handlungs- und Vollzugsdefizite des staatlichen Naturschutzes, zu dessen gesetzlich fixierten Aufgaben letztendlich auch der Biberschutz zu zählen ist. Statt wegbereitend die Habitatentwicklung in den Vorkommens- und Ausbreitungsgebiten voranzutreiben, läuft der Naturschutz vielerorts den vom Biber deutlich gemachten Landnutzungsproblemen hinterher. Weder der Hinweis auf die naturschutzrechtlich Grundregel, daß durch Wildtiere hervorgerufene Schäden oder Nutzungsbeeinträchtigungen nicht der staatlichen Entschädigungspflicht unterliegen, noch die wider besseres Wissen vorgenommenen Umsiedlungen, gewährleisten eine dauerhafte Lösung. FROBEL gab zu Bedenken, daß, solange die Fruchtfolge auf landwirtschaftlich genutzten Auenstandorten nicht Weizen, Mais, Biberland heißt und ein offensiver, großflächiger Habitatschutz nicht auch staatlicherseits als beste Maßnahme des vorbeugenden Konfliktmanagements erkannt wird, auch die herausragenden Erfolge des Biberschutzes weiterhin unter dem Schatten ungelöster lokaler Konflikte stehen werden. Selbst gelegentlich gemeldete Übergriffe oder Nachstellungen sind aber zur Zeit kaum in der Lage, den Fortbestand des Bibers in Deutschland nachhaltig negativ zu beeinflussen. Das in Jahrzehnten intensiver Artenschutzes angestrebte Ziel, das Aussterben des Bibers zu verhindern, ist nach einhelliger Auffassung aller beteiligten Fachleute somit erreicht.   

Perspektiven und Zukunftsaufgaben des Biberschutzes  

Der Biberschutz steht damit vor der Aufgabe der Neuorientierung. Die bisher eingesetzten Strategien, Konzepte und Methoden bedürfen der kritischen Überprüfung. Während mehrerer Jahrzehnte bildeten Wiederansiedlungsversuche und Maßnahmen der Bestandsentwicklung den naturschutzfachlichen Schwerpunkt des Biberschutzes. Ihr vorrangiges Ziel war es, den populationsbiologischen Flaschenhals, in dem die wenigen verbliebenen Tiere steckten, möglichst rasch und effektiv zu überwinden. In Anbetracht des derzeitigen Gesamtbestandes von mehr als 6.000 Tieren kann von weiteren Wiederansiedlungen jedoch kein nennenswerter Beitrag mehr erwartet werden. HEIDECKE regt deshalb an, weitere Vorhaben zukünftig nur noch nach konkreter Prüfung des Einzelfalls und ausschließlich im Rahmen der überregionalen Bestandsentwicklung (Ober- und Niederrhein, Oberlauf der Elbe) durchzuführen.   

Vordringliches Ziel des Biberschutzes muß es nach einhelliger Meinung aller beteiligten Fachleute zukünftig sein, den gravierenden Mangel an geeigneten Lebensräumen zu überwinden. Neue Maßstäbe setzen - gerade auch im Hinblick auf die immer bedeutsamer werdende Schadensprophylaxe - die von JACOB für Elsaß-Lothringen vorgestellten Fließgewässerrenaturierungsprojekte sowie das von KAISER erläuterte LIFE-Projekt zur Stabilisierung des Biber- und Fischottervorkommens durch habitatverbessernde Maßnahmen im niedersächsischen Amt Neuhaus. Anstatt abzuwarten bis sich die ersten Probleme zeigen, verfolgen die Vorhaben das Ziel, bereits im Vorfeld zukünftiger Ansieldungen, zumindest aber parallel mit der Ansiedlung der ersten Pioniere die naturschutzgemäßen Entwicklung der Gewässersysteme voranzutreiben. Nur geringe Erfolgsaussichten versprechen hingegen jene Vorhaben, die den "Landschaftsgestalter" Biber selbst zur Renaturierung der Auen einsetzen wollen; denn entgegen der in Naturschutzkreisen verbreiteten Auffassung, sind Biber auch nicht in der Lage kanalisierte und ausgebaute Vorfluter wieder in naturnahe Bachläufe zu verwandeln.   

Als Versäumnis erweist sich rückblickend die in der Vergangenheit bei Wiederansiedlungsprojekten häufig gepflegte "Geheimniskrämerei", da sie in der Bevölkerung anstatt Akzeptanz und Unterstützung eher Skepsis und Ablehnung förderte. Die Wiederherstellung der Lebensräume muß deshalb zukünftig von einer konsequenten und professionellen Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Der zum Biber leicht herstellbare emotionale Bezug zwingt förmlich dazu, ihn als Leitart in lebensraumbezogene Naturschutzprojekte einzubinden. So stellt auch die derzeitig unter dem Motto "Lebendige Flüsse" laufende Naturschutzkampagne der Deutschen Umwelthilfe den Biber als "Zugpferd" in den Mittelpunkt.  

Auf Anregung von HEIDECKE gründete sich eine Spezialistengruppe, die die zukünftigen Aufgaben des praktischen Schutz und der Forschung formulieren sowie mögliche Ansieldungsprojekte beurteilen sollte. Für Behörden, Verbände und am Biberschutz interessierte Personen und Institutionen soll an der NABU-Akademie Gut Sunder eingerichtet werden.  

Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder  

Interessante Links zum Thema
Die Wiederansiedlung des Bibers im Saarland
Zur Einwanderung des Bibers nach Niedersachsen

Die Tagungsveranstaltung wurde von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) e.V. gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) e.V. oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.