Rund hundert Jahre nach der fast vollständigen Ausrottung
sind die Biber (Castor fiber) in Deutschland wieder "auf dem Damm". Der Bestand
stieg von wenigen 100 Tieren, die zur Jahrhundertwende den Ausrottungsfeldzug an der
Mittelelbe überlebt hatten, auf fast 5.000 Biber an. Der Biber kann damit in Deutschland
als gerettet gelten. Die Gefahr des Aussterbens besteht zur Zeit nicht.
Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) und die Akademie des Naturschutzbund Deutschland
(NABU) e.V. nahmen das Comeback des Bibers zum Anlaß, im Kreis europäischer Spezialisten
über die Perspektiven und Zukunftsaufgaben des Biberschutzes zu beraten. Die Ergebnisse
werden im folgenden zusammenfassend dargestellt.
Die aktuelle Situation des Bibers in Deutschland und angrenzenden Gebieten
Schwerpunkte der Verbreitung stellen zur Zeit das auf autochthone Biber zurückgehende
Vorkommen im Elbe-Havelgebiet, die aus Um- und Wiederansiedlungsversuchen aufgebauten
Bestände im deutsch-polnischen Oderraum sowie die das Donausystem zwischen Ulm im Westen
und Bratislava im Osten besiedelnde Population dar. Mit über 6.000 Tieren bilden diese
drei langsam auch über die Wasserscheiden hinweg zusammenwachsenden Populationen das
Rückgrat des Bibers in Mitteleuropa.
Gegenwärtig noch regional begrenzt sind die durch erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekte
etablierten Populationen im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet entlang des Hochrheins
zwischen Schaffhausen und Lauffenburg (30 bis 50 Tiere), in den elsässisch-lothringischen
Restrheinen (230 bis 250 Tiere), im hessisch-bayerischen Spessart sowie in der Nordeifel
(80 bis 100 Tiere).
Lokale Bedeutung haben die Aussetzungsvorhaben an Ill und Biest im Saareinzugsgebiet sowie
im Unterlauf der emsländischen Hase zurück.Positive
Bestandsentwicklungen, die für die nächsten Jahre weitere Arealausweitungen und die
Neubesiedlung von Gewässerläufen erwarten lassen, kennzeichnen nahezu alle vorgenannten
Vorkommen. An Elbe, Oder und Donau dürften die zur Zeit noch bestehenden
Verbreitungslücken in naher Zukunft durch natürliche Ausbreitung geschlossen werden.
Enorme Entwicklungspotentiale bestehen darüber hinaus in den Restrheinen des Oberrheins
zwischen Breisgrau und Mannheim. Auch im deutsch-niederländischen Grenzgebiet kann sich
bei anhaltend positiver Entwicklung der Vorkommen in der Nordeifel sowie im
niederländischen Gelderse Polder eine Population herausbilden, die sich von den
Höhenlagen der Nordeifel über die Maas bis an den Niederrhein erstreckt.
Selbst Städte und Gewässerquerverbauungen, denen bis vor wenigen Jahren noch eine
Barrierewirkung unterstellt werden musste, scheinen nach jüngsten Erkenntnissen bei
ausreichend großem Populationsdruck keine gravierenden Ausbreitungsschranken
darzustellen. Der Korrektur bedarf darüber hinaus die klassische Lehrmeinung des
hochspezialisierten, eng an Weichholzauen gebundenen Säugers. Zwar müssen
weichholzreiche Auenlandschaften weiterhin als die optimalen Lebensräume, in denen der
Biber seinem Ruf als Landschaftsgestalter in herausragender Weise gerecht werden kann,
angesehen werden, die wachsende Zahl dauerhafter und lebensfähiger Ansiedlungen in der
Feldflur unterstreicht aber, daß Biber sowohl hinsicht der Nahrungs- als auch der
Habitatwahl als Opportunisten und Generalisten einzustufen sind. Selbst in den
innerstädtischen Erholungslandschaften Wiens konnten Biber überall dort dauerhaft
heimisch werden, wo ein Minimum an Habitatausstattung gegeben war.
Mit der Bestandszunahme in den Hauptverbreitungsgebieten und der verstärkten Abwanderung
von Tieren in weniger optimale Habitate wächst die Zahl der Konfliktmeldungen. Betroffen
sind im wesentlichen Landnutzungen im Nahbereich der Bäche und Flüsse. Als Ursache für
die Konflikte erweisen sich dabei neben der nicht standortgemäßen Nutzung der Auen
insbesondere das hohe Anpassungsvermögen sowie die Fähigkeit zur aktiven
Habitatgestaltung. In der Praxis zeigt sich aber auch, daß einseitige
Medienberichterstattung sowie polemische Verbändepositionen (Bayerischer Bauernverband:
"Rattenpest des Mittelalters") die örtlich objektiv bestehenden Schäden und
Nutzungsbeeinträchtigungen in ein krasses Mißverhältnis rücken.
Andererseits verdeutlichen gerade die bayerischen Erfahrungen erhebliche Handlungs- und
Vollzugsdefizite des staatlichen Naturschutzes, zu dessen gesetzlich fixierten Aufgaben
letztendlich auch der Biberschutz zu zählen ist. Statt wegbereitend die
Habitatentwicklung in den Vorkommens- und Ausbreitungsgebiten voranzutreiben, läuft der
Naturschutz vielerorts den vom Biber deutlich gemachten Landnutzungsproblemen hinterher.
Weder der Hinweis auf die naturschutzrechtlich Grundregel, daß durch Wildtiere
hervorgerufene Schäden oder Nutzungsbeeinträchtigungen nicht der staatlichen
Entschädigungspflicht unterliegen, noch die wider besseres Wissen vorgenommenen
Umsiedlungen, gewährleisten eine dauerhafte Lösung. FROBEL gab zu Bedenken, daß,
solange die Fruchtfolge auf landwirtschaftlich genutzten Auenstandorten nicht Weizen,
Mais, Biberland heißt und ein offensiver, großflächiger Habitatschutz nicht auch
staatlicherseits als beste Maßnahme des vorbeugenden Konfliktmanagements erkannt wird,
auch die herausragenden Erfolge des Biberschutzes weiterhin unter dem Schatten ungelöster
lokaler Konflikte stehen werden. Selbst gelegentlich gemeldete Übergriffe oder
Nachstellungen sind aber zur Zeit kaum in der Lage, den Fortbestand des Bibers in
Deutschland nachhaltig negativ zu beeinflussen. Das in Jahrzehnten intensiver
Artenschutzes angestrebte Ziel, das Aussterben des Bibers zu verhindern, ist nach
einhelliger Auffassung aller beteiligten Fachleute somit erreicht.
Perspektiven und Zukunftsaufgaben des Biberschutzes
Der Biberschutz steht damit vor der Aufgabe der Neuorientierung. Die bisher eingesetzten
Strategien, Konzepte und Methoden bedürfen der kritischen Überprüfung. Während
mehrerer Jahrzehnte bildeten Wiederansiedlungsversuche und Maßnahmen der
Bestandsentwicklung den naturschutzfachlichen Schwerpunkt des Biberschutzes. Ihr
vorrangiges Ziel war es, den populationsbiologischen Flaschenhals, in dem die wenigen
verbliebenen Tiere steckten, möglichst rasch und effektiv zu überwinden. In Anbetracht
des derzeitigen Gesamtbestandes von mehr als 6.000 Tieren kann von weiteren
Wiederansiedlungen jedoch kein nennenswerter Beitrag mehr erwartet werden. HEIDECKE regt
deshalb an, weitere Vorhaben zukünftig nur noch nach konkreter Prüfung des Einzelfalls
und ausschließlich im Rahmen der überregionalen Bestandsentwicklung (Ober- und
Niederrhein, Oberlauf der Elbe) durchzuführen.
Vordringliches Ziel des Biberschutzes muß es nach einhelliger Meinung aller beteiligten
Fachleute zukünftig sein, den gravierenden Mangel an geeigneten Lebensräumen zu
überwinden. Neue Maßstäbe setzen - gerade auch im Hinblick auf die immer bedeutsamer
werdende Schadensprophylaxe - die von JACOB für Elsaß-Lothringen vorgestellten
Fließgewässerrenaturierungsprojekte sowie das von KAISER erläuterte LIFE-Projekt zur
Stabilisierung des Biber- und Fischottervorkommens durch habitatverbessernde Maßnahmen im
niedersächsischen Amt Neuhaus. Anstatt abzuwarten bis sich die ersten Probleme zeigen,
verfolgen die Vorhaben das Ziel, bereits im Vorfeld zukünftiger Ansieldungen, zumindest
aber parallel mit der Ansiedlung der ersten Pioniere die naturschutzgemäßen Entwicklung
der Gewässersysteme voranzutreiben. Nur geringe Erfolgsaussichten versprechen hingegen
jene Vorhaben, die den "Landschaftsgestalter" Biber selbst zur Renaturierung der
Auen einsetzen wollen; denn entgegen der in Naturschutzkreisen verbreiteten Auffassung,
sind Biber auch nicht in der Lage kanalisierte und ausgebaute Vorfluter wieder in
naturnahe Bachläufe zu verwandeln.
Als Versäumnis erweist sich rückblickend die in der Vergangenheit bei
Wiederansiedlungsprojekten häufig gepflegte "Geheimniskrämerei", da sie in der
Bevölkerung anstatt Akzeptanz und Unterstützung eher Skepsis und Ablehnung förderte.
Die Wiederherstellung der Lebensräume muß deshalb zukünftig von einer konsequenten und
professionellen Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Der zum Biber leicht herstellbare
emotionale Bezug zwingt förmlich dazu, ihn als Leitart in lebensraumbezogene
Naturschutzprojekte einzubinden. So stellt auch die derzeitig unter dem Motto
"Lebendige Flüsse" laufende Naturschutzkampagne der Deutschen Umwelthilfe den
Biber als "Zugpferd" in den Mittelpunkt.
Auf Anregung von HEIDECKE gründete sich eine Spezialistengruppe, die die zukünftigen
Aufgaben des praktischen Schutz und der Forschung formulieren sowie mögliche
Ansieldungsprojekte beurteilen sollte. Für Behörden, Verbände und am Biberschutz
interessierte Personen und Institutionen soll an der NABU-Akademie Gut Sunder eingerichtet
werden.
Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder |