Niedermoore - Krisengebiete der Landnutzung

Ergebnisse eines Seminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 8. - 11. Oktober 1996
Drastische Entwässerungsmassnahmen und nicht an den Standort angepasste Nutzungen haben die Niedermoore zu Krisengebieten der Landnutzung werden lassen. Ziel der Tagung war es, verschiedene Möglichkeiten der Wiederbelebung zu erörtern sowie zu versuchen, vermeintliche Gegensätze zwischen den Zielsetzungen des Boden- und Artenschutzes zu klären. Aspekte der Landnutzung fanden dabei ebenso Berücksichtigung wie sozioökonomische Fragen. 

In seinem einleitenden Beitrag rief U. Fischer vom Botanischen Institut der Universität Greifswald am Beispiel nordostdeutscher Standorte die aktuelle Situation der Niedermoore, ihre Entstehung und ihr Vergehen in Erinnerung. Der Niedergang der Niedermoore, die ursprünglich weite Teile der nacheiszeitlichen Landschaften Norddeutschlands prägten, begann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Tiefgreifende Entwässerungsmassnahmen verfolgten das Ziel, die Standorte für die landwirtschaftliche Grünlandproduktion nutzbar zu machen. Wie M. Trepel vom Ökologiezentrum der Universität Kiel ausführte, verloren die Niedermoore damit ihre Senkenfunktion. Seit der letzten Eiszeit akkumulierten die Niedermoortorfe in erheblichem Umfang Kohlen- und Nährstoffe und entzogen sie auf diese Weise den Kreisläufen. Die Entwässerung förderte hingegen die Mineralisierung der organischen Substanzen. In der Folge ergaben sich Nährstoffausträge in Oberflächengewässer sowie Di-Stickstoffoxid- und Kohlendioxidemissionen. Nach Schätzungen belaufen sich die Stickstoffausträge der degenerierten schleswig-holsteinischen Niedermoore auf jährlich 2.500 bis 5.700 t, während die jährlichen CO2- Emissionen nach überschlägiger Rechnung mit etwa 1,5 Mio. t zu veranschlagen sind. Die pro Jahr in Mecklenburg-Vorpommern durch Moormineralisierung freigesetzten 11 Mio. t Kohlendioxid übersteigen die im gleichen Bundesland durch den Strassenverkehr verursachte CO2-Belastung der Atmosphäre. Entwässerte Niedermoore sind somit nicht nur zu einer bedeutsamen Quelle für klimarelevantes Kohlendioxid geworden, sondern tragen auch in erheblichem Masse zur Belastung der Gewässer mit Nährstoffen bei. 

Die Melioration der Niedermoore hat darüber hinaus die starke Degradation des Oberbodens zur Folge. In Extremfällen führt die starke Vermullung zur Devastierung der Böden, so dass unter Umständen die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung erforderlich wird. Starke Entwässerungen im Frühjahr mit Absenkungen des Wasserstandes von 60 bis 80 cm unter Flur sind nach Dr. G. Schalitz die Voraussetzung für intensive Bewirtschaftung. Die starken Entwässerungen haben zudem nicht nur ausgeprägte Sommertrockenheiten zur Folge, sondern leisten auch der Verqueckung der Pflanzengesellschaften Vorschub. Nur immer kürzer werdende Intervalle von Umbruch und Neuansaaten mit hochwertigen Gräsern sowie weitere Hydromeliorationen können in diesen Degradationsstadien noch eine halbwegs wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der ehemals hochproduktiven Flächen sichern. Die landwirtschaftliche Intensivnutzung als auch spätere Auflassung beschleunigen die weitere Degradation und fördern die Quellenfunktion der Niedermoore. 

Die Entwässerung der Niedermoore schädigt jedoch nicht nur die abiotischen Elemente der Ökosysteme, sondern bewirkt auch den Niedergang der charakteristischen und mehrheitlich hochspezialisierten Niedermoorfauna. Kati Hielscher vom ZALF Müncheberg unterstrich am Beispiel ihrer eigenen Untersuchungen im Rhinluch, dass Limikolen, Rallen und Weihen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den Charaktervögeln dieser Feuchtlebensräume zählten. Die Meliorationen führten bei den Charakterarten, als auch bei vielen anderen Feuchtraumbewohnern zu dramatischen Bestandsrückgängen. So sind beispielsweise im Rhinluch nur noch weniger als die Hälfte der ehemals 44 Brutvogelarten vorhanden. Fast ein Viertel der Arten muss sogar als ausgestorben betrachtet werden. Die gegenwärtige Situation der Avifauna verdeutlicht nach Einschätzung von Hielscher zugleich, dass die eingeleiteten Extensivierungs- und Biotopschutzprogramme bislang weder eine Umkehr noch eine Trendwende erkennen lassen. 

Modelle und Szenarien zur Wiederbelebung von Niedermooren sowie ersten Erfahrungen zur Renaturierung standen daher im Mittelpunkt des zweiten Teils der Veranstaltung. Das von Dr. H. Kretschmer (ZALF Müncheberg) vorgestellte ökologische Entwicklungskonzept zur komplexen Renaturierung des Oberen Rhinluch sowie die von J. Göttke-Krogmann (Naturschutzstation Dümmer) referierten Erfahrungen mit der Renaturierung von Niedermooren in der Diepholzer Moorniederung verfolgen das Ziel, die torfzehrenden Intensivnutzungen zumindest durch moorschonende, optimalerweise aber durch torfbildende Nutzungen zu ersetzen. 

Als "Erste-Hilfe"-Massnahmen für die Fauna der Niedermoore regten Hielscher und Arter übereinstimmend die Entwicklung von Brachen auf feuchten bis nassen Standorten an. Als vergleichweise artenreich haben sich auf den vorgenannten Standorten sowohl hinsichtlich der Avi- als auch der Wirbellosenfauna Hochstaudenfluren erwiesen. 

Als moorschonende Nutzungsalternative bietet sich nach Auffassung von Dr. Schalitz die extensive Beweidung an. Zwar erfordert auch die extensive Beweidung eine Absenkung des Grundwasserstandes, allerdings in weitaus geringerem Masse als es für Intensivnutzungen erförderlich wäre. Standortangepasste Beweidungssysteme können demnach sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht der Mahd bei weitem überlegen sein. Auch stellt sich in diesen Fällen nicht die für den Flächenschutz bedeutsame Frage nach der Verwertung bzw. Deponierung des Aufwuchses. Aufgrund des Viehvertritts sei zudem selbst bei nur geringen Besatzdichten ein Verzicht auf das nicht unumstrittene Walzen möglich. 

Die Suche und Erprobung torfbildender Nutzungsvarianten stand im Mittelpunkt der von Dr. Wichtmann vorgestellten Forschungsvorhaben. Geplant ist die Sanierung der Standorte über den Anbau nachwachsender Rohstoffe wie Schilf in semiaquatischen Ökosystemen. Vorteile derartiger Nutzungen wären einerseits die Wiederherstellung des Torfspeichervermögens mit Wasserrückhaltung sowie Nährstoff- und Schadstofffestlegung, andererseits wäre bei hoher oberirdischer, wirtschaftlich nutzbarer Phytomasseproduktivität gleichzeitig die unterirdische Akkumulation gewährleistet. Als weitere Massnahme bietet sich nach Wichtmann die Nutzungsauflassung bei grundlegender Wiedervernässung an. In Abhängigkeit vom Degradationsstadium und dem Grad der Wiedervernässung können auf diese Weise Rohrkolben- oder Schilfröhrichte, Gross- oder Kleinseggenriede bzw. Erlenbruchwälder neu entwickelt werden. 

Aus den Beiträgen und ihrer intensiven Diskussion ergibt sich für den Natur- und Umweltschutz folgendes Bild: 
  • Die Mehrzahl der Niedermoore Ost- und Westdeutschlands befindet sich aufgrund tiefgreifender Eingriffe in den Wasserhaushalt und der Folgewirkung intensiver landwirtschaftlicher Nutzung in einem besorgniserregenden Zustand. Nur äusserst geringe Teile können gegenwärtig noch als naturnah eingestuft werden. 
  • Die seit der letzten Eiszeit im Niedermoortorf akkumulierten Kohlenstoff- und Nährstoffvorräte belegen die Senkenfunktion natürlicher Niedermoore. Darüber hinaus hatten die Niedermoore Retentionsfunktion (Hochwasserschutz). Die anthropogene Störung der niedermoortypischen Stoffkreisläufe bewirkt den Verlust der den Niedermoorsystemen einstmals innewohnenden grossflächigen Entsorgungs- und Speicherwirkung. Degenerierte Niedermoore sind insbesondere im Hinblick auf die N- und CO2-Emissionen zu Quellen der Umbelastung geworden. Auch Retentionswirkungen sind kaum noch vorhanden.Die nach der Melioration vorübergehend erzielte gute landwirtschaftliche Nutzbarkeit verschlechterte sich mit der fortschreitenden Strukturveränderung des Torfs erheblich (Mulm). Gleichzeitig büssten sie ihre Bedeutung als Lebensstätte für niedermoortypische Tier- und Pflanzenarten ein.
  • Vordringliches Ziel des Natur- und Umweltschutzes auf Niedermoorstandorten muss die Wiederherstellung des Wasserhaushalts und die Revitalisierung der natürlichen Stoffkreisläufe sein. Die Renaturierungschancen stehen dabei in Abhängigkeit zum bis dahin erreichten Degenerationsstadium. Je weiter die Torfzersetzung vorangeschritten ist, desto geringer sind die Aussichten, eine Rückquellung der Torfmoose zu erreichen.

Verschiedene Ansätze der Niedermoorrevitalisierung müssen diskutiert und unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt werden: 

  • Moorschonende Massnahmen, die die weitere Mineralisation bei hohen Winterwasserständen verlangsamen:
  • extensive Grünlandnutzung durch Beweidung und/oder Mahd
  • naturschutzgerechte Pflegenutzung mit Beweidung und/oder Mahd.
  • semiaquatische Produktion nachwachsender Rohstoffe (Schilf)
  •  Torfbildende Massnahmen bei ganzjährig hohen Wasserständen:
  • Erhöhung der Wasserstände auf Bodenoberkante bei gleichzeitiger Nutzungsauflassung, 
  • semiaquatische Produktion nachwachsender Rohstoffe (Schilf) (nur bei amphibischer Mähtechnik).

Die Veranstaltung verdeutlichte die besonders schwierige Problemlage, mit der der Naturschutz bei der Renaturierung von Niedermooren konfroniert ist. Es wurde herausgestellt, daß die vielfach unter dem Schlüsselbegriff "Wiedervernässung" laufenden Maßnahmen in der Gefahr stehen, im Sinne einer umfassenden Wiederbelebung der Senkenfunktion deutlich zu kurz zu greifen, da sie unter Umständen weder die weitere Degeneration stoppen noch die gewünschte Rückquellung der Torfmoose bewirken können. 

Die Veranstaltung führte die zwingende Notwendigkeit vor Augen, sich bei der Lösung von Naturschutzproblemen mit komplexen und für den naturwissenschaftlichen Laien zum Teil nur schwer überschaubaren Fragestellungen auseinanderzusetzen. Selbst gut gemeinte Pflege- und Entwicklungskonzepte sind bei Mißachtung dieser Voraussetzungen zum Scheitern verurteilt. 

Dipl.-Biol. Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder 

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Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.