Erhalt des nationalen Naturerbes - Wie geht es weiter?

Ergebnisse eines Infoseminars der NABU-Akademie Gut Sunder vom 09.12.2003


Beim Schutz des nationalen Naturerbes wurde in den vergangenen Jahren einiges erreicht. Als Erfolge sind die Umsetzung des Nationalpark-Programms der DDR, die Konversion zahlreicher Truppenübungsplätze im Osten Deutschland zu Naturschutzgebieten oder der Stopp des Flächenverkaufs durch die BVVG zu nennen. Für etliche ökologisch wertvolle Naturgebiete von gesamtstaatlicher Bedeutung konnten bislang jedoch keine zufriedenstellenden Schutzlösungen gefunden werden. Zu erwarten ist auch, dass im Laufe der nächsten Jahre für weitere Gebiete mit einem hohen naturschutzfachlichen Stellenwert (z.B. Aufgabe des Braunkohletagebaus, Aufgabe von militärischen Übungsplätzen) Nutzungsveränderungen und Flächenverkäufe anstehen. Die Frage der Zukunft des nationalen Naturerbes stand daher im Mittelpunkt eines Infoseminars, zu dem die NABU-Akademie Gut Sunder und die NABU-Bundesvertretung nach Berlin eingeladen hatten.

Zunächst galt es, den Begriff nationales Naturerbe zu definieren. Dr. Dieterich (BMU) erläuterte, dass darunter in erster Linie Arten und Lebensräume von nationaler oder supranationaler Bedeutung zu verstehen seien. Als Vertreter der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe schloss sich Unselt dieser Definition an, wollte den Begriff aber darüber hinaus auf alle noch großflächig naturnahen Landschaftsräumen im Eigentum des Bundes ausgedehnt wissen. Die Pflicht des Bundes zur naturschutzkonformen Sicherung ihrer ökologisch besonders bedeutsamen Liegenschaften (z.B. Militärflächen, Bergbaufolgelandschaften und Flächen im Gebiet des Grünen Bandes) leitet sich für Unselt aus der Verantwortung als Eigentümer ab. Anders als Unselt sah Dieterich keine besondere Eigentümerverantwortung des Bundes im Naturschutz. Der Bund sei ein Grundbesitzer wie jeder andere auch. Wenn seine Flächen eine besondere Bedeutung für den Naturschutz hätten, dann müsste dieser zunächst einmal von den jeweils zuständigen Landesverwaltungen festgestellt und dann die erforderlichen Verfahren zur Unterschutzstellung eingeleitet werden. Als Ausnahmen wollte Dieterich lediglich die Gebiete der Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Nord- und Ostsee sowie in gewissem Rahmen auch die aktiv genutzten militärischen Übungsplätze gelten lassen, denn hier stünde der Bund sowohl in der Rolle des Grundeigentümers als auch der zuständigen Verwaltungsbehörde. Für Unselt leitet sich die Zuständigkeit des Bundes für den Naturschutz auf Bundesliegenschaften hingegen auch aus einer besonderen moralischen Verpflichtung des Bundes ab. Die Bundesrepublik Deutschland habe sich schließlich in einer Reihe internationaler Abkommen und Verträge den Zielen und Anliegen des Naturschutzes verpflichtet und müsste sich deshalb auch als Grundeigentümer besonders vorbildlich verhalten.

Folgt man der weitergehenden Definition von Dieterich, so steht das nationale Naturerbe in Deutschland auf sechs Säulen:

  • Mit den Naturschutzgroßprojekten fördert der Bund den Schutz national bedeutsamer Landschaften (z.B. Lüneburger Heide, Wurzacher Ried, Saar-Blies-Gau, Hohe Rhön). Er leistet damit auch einen Beitrag zur Erfüllung supranationaler Naturschutzverpflichtungen. 743.000 ha der Kerngebietsflächen sind bisher als Naturschutzgebiete ausgewiesen.

  • Die zweite Säule bilden vielfältige geschützte Landschaften in den neuen, die oft schon seit Jahrzehnten unter Naturschutz stehen, ein besonders hohes Naturpotential aufweisen und im Zuge der Wiedervereinigung in den Besitz des Bundes kamen (sog. BVVG-Flächen). Nach bereinigten Meldungen der Bundesländer umfasst die zur Rede stehende Flächenkulisse rund 48.500 ha. Auf der Grundlage des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes beabsichtigt der Bund davon 20.875 ha unentgeltlich und 222 ha entgeltlich an die Länder zu übertragen. Zur unentgeltlichen Übertragung an Naturschutzverbände oder Stiftungen sind 13.107 ha vorgesehen. Tatsächlich wurden bislang 14.695 ha an die Länder und 2.417 ha an Nicht-Regierungsorganisationen übergeben.

  • Das sogenannte "Grüne Band", der 1.393 km lange und zwischen 50 und 200m breite ehemalige Grenzstreifen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland bildet die dritte Säule. Von den insgesamt rund 18.000 ha stehen 2.700 ha in kommunalen, 3.600 in privatem und 11.700 ha in Bundeseigentum. Die frühere Zonengrenze ist mit nicht weniger als 109 Biotoptypen und rund 160 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten der längste Biotopverbund innerhalb Deutschlands. Der Bundesfinanzminister beabsichtigt die unentgeltliche Übertragung seiner Flächen, sofern sie nicht mit Rückübertragungswünschen belegt sind, an die Bundesländer. Im November 2003 empfahl die Umweltministerkonferenz den Bundesländern die Übernahme der Flächen des Grünen Bandes aus Bundeshand in Landesbesitz.

  • Die vierte Säule besteht aus den Bergbaufolgeflächen, die aufgrund ihrer Großflächigkeit und Unzerschnittenheit sowie der Nährstoffarmut zu Refugien für viele bedrohte Arten der Offenlandschaft geworden sind. Von den rund 90.000 ha sind ca. 10.000 ha für den Naturschutz gesichert. 12.500 ha stehen noch zur Disposition.

  • Aktive und ehemalige Militärübungsplätze bilden die fünfte Säule. Die Flächenkulisse besteht aus rund 185.000 ha militärisch genutzter Gebiete. Für 25.000 ha wird in den nächsten Jahren die Nutzungsaufgabe erwartet und 190.000 ha vorrangig ostdeutscher Übungsplätze sind bereits aus der Nutzung entlassen. Von den letztgenannten konnten lediglich 45.000 ha für den Naturschutz gesichert werden, obwohl schätzungsweise 70% der Flächen aufgrund ihrer Großflächigkeit und Unzerschnittenheit sowie ihres Naturinventars wertvolle Naturgebiete sind und den Ansprüchen eines NSG- bzw. FFH-Gebiets entsprechen würden.

  • Die letzte, aber nicht minderwichtige Säule bilden die Meeresschutzgebiete (SPA- und FFH-Gebiete) in der ausschließlichen Wirtschaftszone. Für diese Gebiete in einer Größenordnung von rund 700.000 ha in der Nord- und ca. 250.000 ha in der Ostsee gibt es eine ausschließliche und unmittelbare Bundeszuständigkeit. Schutzkonzepte sind in der Entwicklung und beginnenden Umsetzung.

Die weiteren Diskussionen konzentrierten sich auf jene Flächen des nationalen Naturerbes, für die aus Sicht der Naturschutzverbände und -stiftungen akuter Handlungsbedarf besteht, da sie einem zunehmend wachsenden Verwertungs- und Nutzungsdruck unterliegen. Nach Erhebungen der thüringischen David-Stiftung summieren sich die ungesicherten Flächen der BVVG, des Grünen Bandes, der militärischen Übungsplätze und der Bergbaufolgelandschaften auf 123.500 ha. Genährt werden die Sorgen von der gegenwärtigen Verwertungspraxis des Bundes und der Länder. Sie begründen den Verkauf der Flächen mit der Notwendigkeit zur Haushaltskonsolidierung. Zudem wirft die in der Vergangenheit geübte Praxis der Übertragung von Flächen an Naturschutzorganisationen zur Zeit mehr Fragen als Antworten auf.

106.700 ha naturschutzrelevanter Flächen der öffentlichen Hand sind bisher bzw. werden in naher Zukunft an verschiedene neue Träger übertragen worden. Mit 65.000 ha übernahmen. Privatorganisationen des Naturschutzes nach Aussage von Adrian Johst den größten Anteil. Mit dem Eigentumswechsel gingen auch die Eigentümerpflichten an die neuen Grundeigentümer über. Obwohl zahlreiche Flächenübertragungen unentgeltlich erfolgten, investierten die Naturschutzorganisationen 15 Mio € in den Flächenerwerb. Zusätzlich waren Nebenkosten in Höhe von rund 1 Mio € aufzubringen und die Folgekosten, die sich z.B. aus Beitragspflichten gegenüber Wasser- und Bodenverbände oder der Notwendigkeit zum Abschluss von grundstücksbezogenen Versicherungen (Waldbrandversicherung u.a.) ergeben, schlagen nach Berechnungen der David-Stiftung mit weiteren 50 € pro Hektar und Jahr zu Buche. Johst sieht deshalb auf die Naturschutzorganisationen laufende jährliche Kosten in Höhe von 3,25 Mio € zu kommen. Diese immense Belastung reduziere die Möglichkeiten zur weiteren - selbst unentgeltlichen - Flächenübernahme erheblich, und stelle u.U. sogar die langfristige Sicherung der bereits übernommen Flächen in Frage. Vor dem Hintergrund der bereits eingegangenen Verpflichtungen und angesichts der noch zur Rede stehenden Übertragung weiterer 123.000 ha müsse das bisherige Verfahren der Flächenübernahme auf den Prüfstand gestellt und die Frage "Wie geht es weiter?" erörtert werden, so die übereinstimmenden Positionen von Johst und Unselt.

Gegenwärtig suchen die Naturschutzorganisationen unter dem Dach der DNR-Strategiegruppe Naturschutzflächen nach zukunftsweisenden Lösungen. Diskutiert werden neben Finanzierungs- und Versicherungsfragen auch die Möglichkeiten des gemeinsamen Liegenschaftsmanagements. Die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe plädiert darüber hinaus für die Einrichtung eines Kapitalstocks seitens des Bundes und der Länder, mit dessen Kapitalerträgen der Erwerb und der laufende Unterhalt der Naturschutzflächen dauerhaft gedeckt werden können. Denkbare Modelle wären aus Sicht von Unselt z.B. eine Bundesstiftung Naturschutz oder ein zusätzliches, zweckgebundenes Sondervermögen in Verwaltung der DBU. Nach seiner überschlägigen Rechnung wäre für den Fall der unentgeltlichen Flächenbereitstellung ein Stiftungskapital von 250 Mio € und bei einem Flächenankauf für durchschnittlich 1.800 €/ha ein Stiftungsvolumen von 500 Mio € notwendig. Bei einer angenommenen jährlich Verzinsung von 5% ließen sich die Folgekosten des Flächenmanagements aus den Stiftungserträgen solide finanzieren. Als weitere Vorteile des Modells "Bundesstiftung Naturschutz" nannte Unselt, dass der Bund auf diese Weise seiner Verantwortung für die Bewahrung des Nationalen Naturerbes gerecht und gleichzeitig durch einen einmaligen Kostenaufwand eine dauerhafte und langfristig tragbare Lösung erreicht werde. Denn eines müsse klar sein, so das abschließende Fazit von Unselt und Johst, der Bund und die Länder haben eine gemeinsame Verantwortung für den Erhalt des nationalen Naturerbes. Die vielfältigen Vorleistungen der Naturschutzorganisationen machten deutlich, dass sie bereit stünden, Bund und Länder bei der langfristigen Bewahrung des nationalen Naturerbes zu unterstützen. Für ein "Outsourcing", mit dem sich diese jedoch ihrer Verantwortung zu entziehen versuchten und die Lasten auf die Seite der Stiftungen und Verbände verschöben, seien sie aber kaum zu gewinnen.

Ralf Schulte



Die Tagungsveranstaltung wurde vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Die Veranstaltungsinhalte und -ergebnisse geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesumweltministeriums, des Bundesamt für Naturschutz oder des Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder.