Wenn Fließgewässer Unternehmen und Naturschützer Unternehmensberater wären - Ein etwas anderer Seminarbericht
Ergebnisse des Seminars "Zielarten für den Naturschutz an Fließgewässern - Mehr Raum für Bäche und Flüsse" vom 19.09. bis 20.09.2000
Stellen wir uns vor, wir wären Unternehmensberater. Unsere Aufgabe besteht darin, Betriebe, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stehen zu beraten [Naturschutzfachliche Herausforderungen]. Unternehmen des produzierenden Gewerbes stehen im Mittelpunkt unserer Tätigkeit. Das Budget unserer Auftraggeber erlaubt es in aller Regel nicht, dass wir eine tiefgehende Analyse der Betriebe vornehmen können. Zeit ist Geld und Geld ist knapp! Deshalb haben wir Methoden einzusetzen, mit denen wir bei geringem Aufwand ein zuverlässiges Ergebnis erzielen können.

Von welchen Annahmen können wir ausgehen?

Wir wissen, dass Firmen nur dann erfolgreich arbeiten können, wenn gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind. Zunächst einmal bedarf es eines hinreichend großen Betriebsgeländes. Darauf stehen die eigentlichen Fertigungsstätten, in denen die Produkte, die das Unternehmen verkaufen will, hergestellt werden. Die Arbeit in der Fertigung stellt hohe Anforderungen an die Qualifizierung der dort arbeitenden Teile der Belegschaft. Selbstverständlich müssen auch genügend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen da sein, damit die Produktion störungsfrei abläuft. Mit den Beschäftigten aus der Fertigung und mit den Werkstätten allein ist es aber nicht getan. Die Rohstoffe für die Produktion müssen eingekauft und die fertigen Produkte müssen verkauft werden. Dazu sind Einkäufer und Verkäufer unverzichtbar. Zur Abwicklung der aus Einkauf und Verkauf resultierenden Geschäftsvorgänge bedarf es einer Buchhaltung, für die eigene Büros zur Verfügung stehen müssen. Es bedarf aber auch des Versandes, der mit Lagerräumen und den notwendigen Geräten zum Warenumschlag ausgestattet sein muss, damit die Waren, die die Verkäufer anbieten, in den Handel und zum Kunden gelangen können. Das Unternehmen muss darüber hinaus über Einrichtungen zur inner- und außerbetrieblichen Kommunikation verfügen und zu guter letzt sollte auch ein Unternehmer da sein, in dessen Händen die Fäden zusammenlaufen.

Stellen wir uns im weiteren vor, dass die Unternehmen, die unserer Beratung bedürfen, aufgrund verschiedener Außenwirkungen nicht so funktionieren wie sie eigentlich funktionieren sollten. Sie werfen keine Gewinne ab und schreiben rote Zahlen. Unsere Aufgabe als Unternehmensberater ist es, die Ursachen dafür zu ergründen und Maßnahmen zur Gesundung des Unternehmens zu entwickeln [EU-Wasserrahmenrichtlinie]. Da wir nicht alle Strukturen und Abläufe des Betriebes bis ins Detail beleuchten können, müssen wir uns einfacher, aber dennoch erfolgversprechender Verfahren zur Beurteilung und Bewertung des Unternehmens bedienen [Indikatoren].

Die Mitarbeiter als Schlüsselfaktoren des Erfolges

Es sollte doch möglich sein, das Unternehmen anhand jener Mitarbeiter zu beurteilen, die Schlüsselfunktion besetzen [Zielarten]. Wir entscheiden uns für die Mitarbeiter aus der Fertigung. Sie sind es, die die Rohstoffe, die das einkauft verarbeiten. Sie sind es, die die Produkte, von deren Verkauf das Unternehmen lebt, anfertigen. Wenn wir also feststellen, dass Produktionsmitarbeiter nicht nur vorhanden, sondern auch beschäftigt sind, sollten wir doch schlussfolgern können, dass auch der Einkauf funktioniert. In diesem Fall muss auch Buchhaltung arbeiten, denn der Rohstoffnachschub wäre auf Dauer nicht gesichert, wenn die Lieferantenrechnungen unbezahlt blieben. Wir nehmen ferner an, dass aus Gründen begrenzter Lagerkapazitäten die von der Fertigung produzierten Waren auch verkauft werden. Denn wäre dieses nicht der Fall, so würde irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem kein Platz mehr für die Lagerung der produzierten Artikel vorhanden wäre. Dieses deutet wiederum auf einen funktionierenden Versand und einen funktionierenden Verkauf hin. Und wo verkauft wird, werden auch Umsätze gemacht. Das Unternehmen müsste also - dieses legt zumindest die Betrachtung der Zielperson "Mitarbeiter in der Fertigung" nahe - durchaus gesund und somit betriebswirtschaftlich rentabel sein.

Tatsächlich ist es das von uns untersuchte Unternehmen aber nicht. Nach wenigen Monaten wird das Konkursverfahren eröffnet. Was war passiert? Wir hatten einen wichtigen Punkt übersehen. Die Gebäudesubstanz der Firma war hochgradig marode. Mit kleineren Reparaturen und Ausbesserungen versuchten die betriebseigenen Handwerker immer wieder, die bauliche Substanz der Betriebsstätten zu erhalten. Dadurch verschlimmerten sie jedoch die Situation. Aufgrund unsachgemäß ausgeführter Reparaturen stieg die Zahl der Betriebsunfälle, der Personalausfall führte zu Produktionsausfällen und damit zu Umsatzeinbußen. Und eines Tages verfügte die Gewerbeaufsicht aufgrund der gravierenden Sicherheitsmängel die Stillegung des Betriebs.

Die Betriebsstätte als Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens

Wenn wir die Betriebe nicht nach ihren Mitarbeitern beurteilen können, dann helfen uns vielleicht die Gebäude und Betriebsausstattungen weiter [Niedersächsisches Fließgewässerschutzsystem]. Wir unterstellen, dass in Werkhallen und Büros, die sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden, auch ordentliche Arbeit geleistet wird.

Tatsächlich werden wir bei der Analyse des nächsten Betriebes bei dessen infrastruktureller Ausstattung alsbald fündig: Die Werkhallen befinden sich in einem erbärmlichen Zustand. Hier und dort wurden bauliche Veränderungen vorgenommen, die die Betriebsabläufe stören. Wir erfassen die Veränderungen in der Bausubstanz und sorgen für die Beseitigung der Störstellen. Weitere Mängel stellen wir in den Büros der Verwaltung fest. Das Computernetzwerk ist, da von den Beschäftigten immer wieder virenversuchte Spielesoftware installiert wird, hochgradig mit Computerviren und Trojanern infiziert. Auch hier kümmern wir uns so gut es geht um die Beseitigung der Mängel. Und wir meinen, dass sich unsere Bilanz sehen lassen kann, von 37 baulichen Mängeln haben wir 27 beseitigt und das Netzwerk von 38 der 54 feindlichen Viren befreit werden. Mehr ließen die Umstände leider nicht zu.

Dennoch müssen wir einige Monate später der Tageszeitung entnehmen, dass für das Unternehmen das Konkursverfahren eröffnet wurde. Der Zustand der Baulichkeiten und die Probleme des Computernetzwerks waren nicht die alleinigen Ursachen für die Schwierigkeiten, in denen die Firma steckte. Hinzukam noch, dass viele nicht mit qualifiziertem Personal sondern mit Hilfs- und Vertretungskräften besetzt waren. Sie hielten den Betrieb mehr oder weniger gut am Laufen. Mit der Zeit stieg aber die Zahl der Reklamationen, der Warenabsatz kam ins Stocken und auf Dauer war das Konkursverfahren nicht zu vermeiden.

Die Firma als Organismus

Nach dem Besuch eines Seminars und vielen Diskussionen mit Freunden und Kollegen erarbeiten wir uns ein neues Bewertungskonzept. Bei unserem nächsten Auftrag probieren wir es aus. Wir untersuchen das Unternehmen jetzt nicht nur nach strukturellen Gesichtspunkten und konzentrieren uns nicht nur auf ausgewählte Belegschaftsangehörige. Stattdessen skizzieren wir zunächst das Bild eines für den Wirtschaftsraum idealtypischen Unternehmens. Wir formulieren Kriterien für die Räumlichkeiten des Betriebs und entwickeln einen idealtypischen Stellenplan [River - Continum - Concept]. Die Frage, ob die Sekretärin Frau Meyer und die Maschinenführer Schmidt, Müller oder Schulze heißen, interessiert uns dabei wenig. Wesentlich bedeutsamer ist für uns, ob das Sekretariat im betrieblichen Kontext seine Funktionen erfüllt und ob die Maschinenführer planstellengemäß ihrer Arbeit nachgehen.

Bei der Analyse des Unternehmens offenbaren sich uns dann recht schnell die Schwachstellen: in der Fertigung sind zahlreiche offene Stellen nicht oder nur mit Hilfskräften besetzt, der Versand und das Rechnungswesen sind hingegen personell überbesetzt und dank des übereifrigen Einkaufs haben sich große Bestände an unverarbeiteten, aber zu bezahlenden Rohstoffen angehäuft. Aufgrund dieser differenzierten Analyseergebnisse sehen wir uns jetzt in der Lage, die Abläufe des Unternehmens gezielt im Sinne unseres Leitbildes und unter Beachtung der Rahmenbedingungen der Wirtschaftsregion (Verkehrsanbindung, Arbeitsmarkt usw.) zu verändern: Im Versand und in der Buchhaltung werden Stellen gestrichen. Mit den eingesparten Mitteln können wir es uns leisten, die offenen Stellen in der Fertigung mit gutbezahlten und auch entsprechend qualifiziertem Personal zu besetzen. Und schließlich setzen wir für den Einkauf ein Budget fest, das sich prozentual an den Erträgen ausrichtet.

Nach gut einem Jahr verrät uns der Blick auf die Wirtschaftsseite der Tageszeitung folgendes: Der Betrieb hat sich dank unserer Beratung erholt. Erstmals seit Jahren konnten wieder Gewinne erwirtschaftet und die Kredite abgezahlt werden.

Unser Fazit?

Die alleinige Ausrichtung der Beratertätigkeit auf ausgewählte Betriebsangehörige war nicht erfolgreich. Die Pleite des Unternehmens ließ sich dadurch nicht verhindern. Mit dem Betriebsstätten-Ansatz fuhren wir schon etwas besser, konnten aber die Einleitung des Konkursverfahrens, das zumindest noch die Chance zur Rettung des Unternehmens bietet, nicht verhindern. Richtig erfolgreich waren wir hingegen erst, als wir den Betrieb als Organismus betrachteten und die Infrastrukturen, die Mitarbeiter sowie die Rahmenbeingungen des Wirtschaftsraums in unsere Analyse einbezogen haben.

Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut Sunder

Zitatempfehlung:
Schulte, Ralf (2001): Wenn Fließgewässer Unternehmen und Naturschützer Unternehmensberater wären - Ein etwas anderer Seminarbericht. Ergebnisse des Seminars "Zielarten für den Naturschutz an Fließgewässern - Mehr Raum für Bäche und Flüsse" vom 19.09. bis 20.09.2000
www.nabu-akademie.de/berichte/00fluss.htm (15.03.2001)

Weiterführende Links zum Thema
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